Die Rentnerclique: 7. Unser größter Fall

Unser größter Fall                

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(von Joachim Größer)

 

Es war einer der schönsten Sommer, die wir Rentner gemeinsam verbracht hatten. Diese Ausgrabung hatte uns körperlich gefordert, ohne dass wir uns verausgaben mussten. Nun kam der Winter und der Jurist, der sehr schnell sein Körpergewicht in die Höhe bringen konnte, schaute schon sehr verlegen auf die leichte Wölbung unter seinem Hemd.

„Im Sommer war noch alles glatt“, meinte er verwundert. „und ich esse auch nicht mehr als sonst.“

Da wollte zwar seine Maxi heftig protestieren, doch der Chemiker kam ihr zuvor: „Wir brauchen wieder eine Aufgabe! Dann nimmst du auch wieder ab!“

Ja, woher nehmen – diese Aufgabe? So vertrieben wir uns die Zeit mit Spaziergängen, Skatabenden - und nicht zu vergessen: Shoppen gehen!

Zum Glück für die geplagten Männerseelen meinten unsere Angebeteten, mit uns wäre das Einkaufen zu langweilig und sie verbannten uns aus den Kaufhäusern. Dafür schleifte uns der Techniker zu den Baumärkten und ich staunte nur, wie viele solcher Geschäfte es in unserer Umgebung gab, die ich noch nie betreten hatte. Der Techniker war jetzt in seinem Element, auch der Chemiker fand es gut - nur wir anderen vier überhaupt nicht. Nach dem zweiten Baumarkt wurde es uns stinklangweilig. So setzten wir uns nach dem dritten Baumarkt ab und machten einen einsamen Stadtbummel und dies heißt bei den Männerseelen: Schaufenster von außen ansehen – reingehen verpönt!

Und beim schönsten Schaufensterschauen hörte ich hinter mir eine Frauenstimme: „He Sie, ja Sie!“

Ich drehte mich gemeinsam mit den anderen Drei um. Vor uns stand eine junge, na ja eine nicht mehr ganz junge Frau. Sie starrte uns an und entschied dann, ihre Aufmerksamkeit mir zuzuwenden.

„Ihre Frau ist doch die Karla?“, herrschte sie mich an.

„Ja und?“, entgegnete ich verärgert.

„Ja, Fred, erkennst du mich nicht mehr? Ich bin’s – die Griseldis?!“

O Gott, ich soll eine Griseldis kennen? Eine Griseldis, knapp vor oder über die 60, blond gefärbtes kurzes Haar und eine Figur, wie sie so typisch für ältere Damen ist. War es mein ratloses, um nicht dämliches Gesicht dazu zu sagen, war es ihre Schwatzhaftigkeit – egal, sie half meinem Gedächtnis auf die Sprünge. Und während sie in großer Geschwindigkeit einen Satz dem nächsten folgen ließ, zeichnete mein Gedächtnis ein Bild von dieser Griseldis – allerdings war sie damals bedeutend jünger, bedeutend schlanker und brünett.

„Weihnachtsfeier vor zwanzig oder dreißig Jahren?“

„Fast richtig, Fred!“, jubilierte sie. „Weihnachtsfeier vor 13 Jahren. Wir beide durften den Geburtstagswalzer tanzen!“

Jetzt fiel es mir wie Schuppen von den Augen: Geburtstagswalzer mit Griseldis! O Gott, eine meiner unangenehmsten Erinnerungen. Griseldis hatte Geburtstag, und da sie ohne männliche Begleitung erschienen war – zwar war sie schon dreimal verheiratet, aber genauso oft auch wieder geschieden – erkor sie mich zu ihrem Tanzpartner. Ich – ein Tänzer?! Es waren schlimme vier Minuten. Tapfer ertrug Griseldis meine Füße auf den ihrigen, ja sie bedankte sich hinterher bei mir für diesen tollen Tanz. Und das wiederum ärgerte meine Karla, da ich immer, wenn es ans Tanzen geht, mit Ausreden nicht verlegen bin.

Meine Freunde hatten sich während des Gespräches feixend ans nächste Schaufenster geschlichen. Taktvoll registrierten sie die beinahe Umarmungen dieser korpulenten Blondine. Weniger taktvoll fielen hinterher ihre anzüglichen Bemerkungen aus. Mein Bruder Bob grinste unverschämt: „Weiß das meine liebe Schwägerin, dass es in deinem Leben eine dralle Griseldis gibt? Soll ich sie aufklären?“

„Tu das! Dann ersparst du mir, von dieser Person zu berichten. Aber dann musst du auch mit Lydia dabei sein, wenn Griseldis ihre alte Arbeitskollegin besucht. Übrigens ist der Termin bereits in zwei Tagen. Ich geh zum Oberlehrer und spiele die Schachpartie zu Ende. Einverstanden?!“

Das hatte gesessen! Mein Brüderlein hielt seine große Klappe und winkte nur verlegen ab.

Aber diese Griseldis und dieser Besuch bei meiner Karla – ich konnte mich unter einem gewichtigen Vorwand bereits eine halbe Stunde vorher verdrücken – brachte uns einen neuen Fall. Und dieser Fall sollte die Krönung unserer bisherigen Detektivarbeit werden.

Die beiden Frauen hechelten wohl alles durch: Arbeit, ehemalige Kollegen, Probleme und natürlich auch Privates. Das Gespräch plätscherte wohl so seicht dahin, als meine Karla – sie hatte schon immer einen sehr klugen Kopf und das Gespür für das Zutreffende – bei dem Stichwort „gehäufte Anzahl von Diebstählen“ sofort nachfragte.

Für Sie, liebe Leser, ist es jetzt notwendig zu bemerken, dass meine Karla bis zu ihrer Verrentung in einer Filiale eines großen Versicherungsunternehmens beschäftigt war. Und da sie damals mit der Schadensregulierung beauftragt war, wusste sie, was Griseldis meinte, als sie von einer Beinahe-Katastrophe sprach.

Hier ist es wohl doch notwendig, etwas mehr zu dieser „Beinahe-Katastrophe“ zu schreiben. Das Unternehmen musste in den letzten Wochen und Monaten, Griseldis meinte, es könnten sogar Jahre sein, gestohlene Autos bezahlen. Es waren Autos, die noch keine Zulassung hatten, noch nach Leder und Plastik rochen und es waren sowohl Kleinwagen als auch Wagen der Extraklasse. Da das Unternehmen republikweit agierte, kamen so einige Millionen zusammen, die an die bestohlenen Autohäuser ausgezahlt werden mussten. Nie aber wurde ein Autohaus in demselben Monat noch einmal bestohlen, nie brachten die Überwachungskameras eine brauchbare Täterbeschreibung. Selbst als Wachleute des Nachts eingesetzt wurden, wurde weiter geklaut – nicht dort, wo man die Autos bewachte, nein, drei Straßen weiter, wo kein Wachmann unterwegs war. Die Polizei vermutete zuerst Einzeldiebstähle, dann wurden die Auto-Transporter an der Grenze besonders unter die Lupe genommen. Nichts, rein gar nichts fanden die Zollbehörden. Die Polizei sprach von der Mafia, schwieg sich aber aus, ob es die italienische, die polnische, die albanische, die ukrainische, die russische oder sonst was für eine Mafia sein soll. Im Klartest: Die Polizei tappt bis heute im Dunkeln!

Das Versicherungsunternehmen erhöhte die Prämien für die Autohäuser. Die klagten und jammerten, mussten aber notgedrungen bezahlen.

All dies schilderte Karla am nächsten Skatabend und mal wieder wurde nicht Skat „gedroschen“, sondern ein neuer Fall analysiert. Denn das dies ein Fall für unsere Rentnerclique wäre, da waren sich alle sicher.

Der Jurist wurde zum Oberchef für diesen Fall berufen und er durfte sogleich die ersten Aufgaben verteilen. Da er davon ausging, dass wir noch viel mehr Informationen brauchen, sollte Karla mit mir ihre ehemalige Arbeitsstätte aufsuchen und nach Möglichkeit, noch mehr Einzelheiten zu diesen ominösen Diebstählen erfragen. Er selbst wollte versuchen, über noch intakte Informationskanäle zu der Staatsanwaltschaft Fakten zu erhalten. Und alle anderen sollten sich die Autohäuser in der Umgebung ansehen und in Gesprächen die Lage sondieren.

„Ihr müsst ja nicht gleich ein neues Auto kaufen, aber so tun müsst ihr schon“, meinte er grinsend. „Aber wenn ihr ein Schnäppchen seht, dann sagt mir bescheid, ich muss doch langsam meine alte Klapperkiste ersetzen.“

So, jetzt hatten wir wieder einen Fall und einen äußerst kniffligen. Nach acht Tagen fasste der Jurist unsere Recherchen zusammen: „Wir haben keine neuen Erkenntnisse!“

Bei diesen Diebstählen wurden drei Automarken bevorzugt, alle Fahrzeuge hatten Wegfahrsperren, die aber wohl alle geknackt worden sind. Alle Fahrzeuge waren funkelnagelneu und standen höchstens 14 Tage bei den Autohändlern.

Wir sahen wohl sehr bedeppert aus, denn der Techniker meinte: „Auch wenn wir nichts wissen, wir wissen, dass es sehr moderne Fahrzeuge mit sehr effektiven Sicherheitseinrichtungen waren. Eine solche Wegfahrsperre knackt man nicht so nebenbei. Ich vermute, die wurde überhaupt nicht angerührt! Wir sollten bei unseren Überlegungen ganz andere Wege gehen. Und für mich sind diese Wegfahrsperren der Schlüssel zu unserem Erfolg.“

So sprach er und erwartete jetzt unseren Zuspruch zu seiner Theorie. Doch die erhielt er nicht, konnte er doch selbst nicht erklären, wie dann die Autos weggeschafft worden sind. Und als er dann meinte, dass dies mit den Schlüsseln, die die Autohäuser ja hätten, ein leichtes sei, erhielt er auch dafür keine Zustimmung. So musste er klein beigeben, als meine Karla ihm erklärte: „Kein Schlüssel fehlte, alle Schlüssel werden nachts im Tresor aufbewahrt. Das ist Pflicht für jeden Händler, denn sonst verliert er den Versicherungsschutz.“

Wir kamen einfach nicht weiter. Jetzt verstanden wir auch, warum die Kriminalpolizei trotz der Einsetzung einer SOKO keine Erfolge aufweisen konnte. Die Diebe haben eine Lücke im System erkannt und diese nutzen sie gekonnt aus. Und wir suchten diese Lücke auch!

Aber zuerst suchte Maxi ihr neues Auto, denn wenn man sich jeden Tag Autos ansieht, so meint man, das alte Vehikel müsste durch ein neues Fahrzeug ersetzt werden. Und da der Jurist schon lange auf der Suche war, meinte Maxi, sie habe ihr Auto gefunden: klein und fein und somit für jede Parklücke geeignet.

Doch so klein wollte der Jurist nicht und natürlich durften die beiden ihre unterschiedlichen Ansichten zu einem guten Auto nicht allein austragen, jetzt waren auch die anderen gefragt. Maxi holte sich Unterstützung bei Hilda und die blies natürlich wie auch meine Karla, Lydia, Antonia und Martina in das gleiche Horn. Also bildete sich automatisch eine Gegenfront, aus den Männern bestehend, die vom Techniker angeführt wurde. Er führte Sicherheitsbedenken, Komfort und was nicht alles an, um so den Juristen in seinem Autowunsch zu unterstützen. Da an diesem Tag keine Einigung zwischen den Eheleuten erzielt wurde, wurde beschlossen, am nächsten Tag mehrere Autohäuser abzuklappern, um das Traumauto für ein Ehepaar zu finden.

Der Techniker legte sich dabei so ins Zeug, dass er sogar bereit war, sich selbst ein neues Auto zuzulegen. Doch seine Hilda warnte nur: „Franz, unser Auto ist ein Jahr alt!“

„Man wird ja noch mal denken dürfen“, erwiderte der Techniker betreten.

Als man den Hof des vierten Autohauses betrat, steuerten Maxi und der Jurist gezielt auf ein Auto zu: nicht klein und nicht groß, innen viel Platz und außen klein, ausreichend motorisiert und bequem selbst für längere Autobahnfahrten – das Kompromiss-Auto!

Die Probefahrt gefiel, die Farbe gefiel Maxi nicht. Doch der Autoverkäufer wusste: Diese beiden wollten dieses Auto haben. Und er wollte sich das Geschäft nicht entgehen lassen. Also zog er seine Trumpfkarte: „Meine Herrschaften, folgen Sie mir bitte!“

Und zwölf Männlein und Weiblein folgten ihm. So hatte er garantiert noch kein Auto verkauft. Aber er ertrug uns alle mit einer Gelassenheit, die aus seiner Überzeugung herrührte: „Heute verkaufe ich ein Auto!“

Auf einem hinteren Teil des großen Abstellplatzes stand ein Auto in der Farbe, wie sie Maxi sich wünschte. So blieb dem Juristen nur zu sagen: „Gut, den nehmen wir!“

Und Maxi wollte ihn am liebsten gleich mitnehmen. Doch der Autoverkäufer wehrte ab: „Wir müssen das Auto noch herrichten, wir brauchen dafür wenigstens einen Tag. Auch ist der Fahrzeugbrief von der Firmenzentrale noch nicht eingetroffen. Er müsste morgen in der Geschäftspost sein. Rufen Sie bitte morgen an und dann machen wir den Termin für die Übergabe. Ach übrigens, wie möchten Sie zahlen, mein Herr?“

„Nehmen Sie Scheck? Wenn nicht, dann bar!“

„Wenns recht ist, mein Herr, bar wäre dem Haus lieber“, erwiderte der Autoverkäufer und verabschiedete sich sehr erfreut, im Stillen die Hände reibend.

Doch am nächsten Tag war der Fahrzeugbrief noch nicht in der Post, auch am nächsten und übernächsten nicht. Und als dann der Jurist, empört über diese Verzögerung, den Autoverkäufer zur Rede stellen wollte, kam ihm ein fassungsloser Geschäftsführer entgegen.

„Mein Herr, ich bitte vielmals um Entschuldigung. Dieses Auto können Sie nicht mehr kaufen! Es ist uns gestern Nacht gestohlen worden!“

Sofort rief der Jurist eine Lagebesprechung ein. Jetzt hatten wir einen ganz konkreten Fall, jetzt konnten wir erneut den Tatbestand analysieren. Und wieder kamen wir nicht weiter. Schon wollte der Jurist die Besprechung aufheben, als der Oberlehrer meinte, dass seine Antonia einen klugen Einfall hätte.

Schüchtern meinte Antonia: „Ach, was der Gregor da von sich gibt! Ob der Einfall klug ist, weiß ich nicht.“

Und Antonia sprach: „Wir suchen den Schlüssel zur Lösung dieses Falls. Alles wurde bisher verworfen, auch der Einfall des Technikers mit den Autoschlüsseln. Wir müssten nachforschen, ob es mit den Fahrzeugbriefen zusammenhängen könnte?“

Es gab eine Denkpause - eine recht lange. Dann schüttelte zuerst der Techniker den Kopf, dann alle anderen. Nur der Oberlehrer wiegte den Kopf bedächtig hin und her. Der Techniker sprach auch das aus, was die Männer dachten und auch glaubten, dass nämlich Antonias Einfall uns ins Abseits führen werde.

„Kein Auto wird ohne Fahrzeugbrief zugelassen. Ein Auto ohne Fahrzeugbrief ist kein Auto – es ist höchstens ein fahrbarer Ersatzteillieferant. Antonia, leider – dein Einfall bringt uns nicht weiter.“

Antonia, die immer sehr zurückhaltend ist, schluckte die Kritik und man sah es ihr an, dass sie sich wieder in ihr „Schneckenhaus“ zurückzog. Doch da kam die Solidarität der Frauen ins Spiel.

„Franz, du weißt immer alles besser! Was ist, wenn nun Antonias Einfall der richtige ist?! Wie wäre es, ihn mal zu prüfen?!“ Hilda hatte kleine wütende Augen, als sie so ihren lieben Franz abkanzelte. Und sie war sich der Unterstützung aller Frauen sicher.

„Gut, dann prüft ihr eben diesen Einfall! Ich garantiere euch, ihr verplempert nur die Zeit. Ich suche weiter nach dieser Lücke im System. Diese Gauner sind so gewieft, dass man schon Respekt vor ihnen haben muss.“

Nun hatten wir wieder einmal diese Situation: Geschlecht gegen Geschlecht! Nur der Oberlehrer war noch wankelmütig, aber letztendlich musste er zur Männergruppe stoßen. Die Frauen beauftragten sofort meine Karla mit der Nachforschung, ob bei diesen Diebstählen Fahrzeugbriefe eine Rolle spielten. Doch an diese Informationen heranzukommen, erwies sich gar nicht so einfach. Drei Nachmittage mit Kaffee und viel Torte einschließlich der Schlagsahne waren notwendig, um Griseldis dafür zu gewinnen, alle alten Unterlagen durchzuforsten. Am vierten Kaffee-und–Kuchen-Tag sagte Griseldis: „Komisch, ihr habt recht! Alle Autos sind ohne Fahrzeugbriefe gestohlen worden. Das ist noch niemandem bei uns aufgefallen.“

Ein Riesenaufschrei ließ das kleine Café erzittern. Antonia und Griseldis wurden gefeiert, und da zur Feier in einer Frauenrunde auch ein guter Tropfen gehört, musste der Ober sehr häufig die Likörgläser füllen. Bevor der Herr Ober die leicht angeheiterten Damen in die Taxis bugsierte, schwor die Frauenrunde großes Schweigen gegenüber dem männlichen Geschlecht.

Doch das konnte auch einen Treffer aufweisen. Wieder einmal, wie schon so oft, war es der Freund und Helfer „Zufall“, der die Wende brachte.

Es war ein sonniger Nachmittag, als ich beschloss, meinem „Oldie“ eine kleine Tour zu gönnen. Keine Pfütze würde den Lack beschmutzen, kein Regentropfen würde das auf Hochglanz gewienerte Auto berühren. Und da meine Karla mit Kaffee und Kuchen beschäftigt war, fragte ich den Juristen, ob er Lust auf eine kleine Tour hätte. Er willigte sofort ein, meinte aber, dass er auf einer Fahrt - ob hin oder zurück wäre ihm egal - das Lenkrad in die Hand nehmen möchte. Und da der Techniker von der Tour hörte, schloss er sich sogleich an.

Wie bei solchen Ausfahrten üblich, mied ich Hauptverkehrsstraßen. So zuckelten wir gemütlich auf Neben- und Neben-neben-Straßen durch die Landschaft. Doch jäh unterbrach der Techniker das Schnurren des Motors.

„Jurist, schau mal nach links! Da wird gerade dein Auto abgeladen!“

Ja, wahrhaftig! Auf einem kleinen Auto-Hänger stand ein Auto, wie es sich der Jurist und seine Maxi ausgesucht hatten. Zwei Männer hantierten und schon stand das Fahrzeug auf der Straße. Ein Firmenschild verkündete: „Gebrauchtwagen – An- und Verkauf.“

Ich fuhr kurz entschlossen zu diesem Autohaus.

„Also Jurist, das Auto gucken wir uns an!“ Schon stand der Techniker draußen und ging zu den beiden Männern. So blieb dem Juristen und mir nichts anderes übrig, als ihm zu folgen.

Fazit des nun folgenden Gespräches war, dass dieses Auto einen Transportschaden hatte, der aber schon wieder repariert sei. Der Inhaber des Autohauses kaufe solche Autos auf und gebe sie kostengünstig an seine zufriedenen Kunden ab.

Ob wir uns dieses Auto nicht einmal näher anschauen könnten, fragte der Techniker. Und ehe der Inhaber, der in diesem Moment zu uns trat, mit „Ja“ oder „Nein“ antworten konnte, hatte der Techniker schon die Jacke ausgezogen, sie mir zugeworfen und die Autotür geöffnet. Dem Juristen flüsterte er zu: „Frage nach dem Preis und lenke den Mann ein bissel ab!“

Während der Jurist den Autohändler nach Fahrzeugbrief, Anzahlung, Endpreis, Inzahlungnahme eines alten Gebrauchten ausfragte, hatte der Techniker die Motorhaube geöffnet und verschwand fast im Motorenraum.

„Fred, schreib auf!“, zischte er und ich suchte krampfhaft nach einem Kuli. Endlich fand ich einen und Franz diktierte mir die Fahrgestellnummer, die ich in Ermangelung eines Papieres mir auf den Handrücken schrieb.

Dann mischte sich der Techniker in das Gespräch ein. Er fragte den Händler nach diesem Transportschaden, und ob er sich den mal ansehen könne.

„Es war ein kleiner Schaden nur am Bodenblech, längst repariert und beeinträchtigt nicht die Qualität dieses Autos!“

Und ehe der Händler noch etwas hinzufügen konnte, lag der Techniker auch schon im Straßenstaub und rutschte unters Auto.

„Kannst den Wagen unbeschadet kaufen! Es ist nichts vom Schaden zu erkennen!“, schrie er.

Kaum dass er wieder auf beiden Beinen stand, fragte er nach dem Preis für das Auto. Der Händler räumte 10 % Nachlass wegen des angeblichen Schadens ein. Und nun begann ein Feilschen, in welchem der Techniker Sieger blieb, hatte er doch einen Gegenüber, der sehr schnell bereit war, sogar 20 % zu gewähren.

„Also mein Freund“, meinte der Techniker und schlug den Juristen auf die Schulter, lass dir den Wagen reservieren. In drei Tagen fahr ich dich mit deinem Scheck hierher. Ist doch recht so, Herr …?“

„Ich will doch meinen alten Wagen in Zahlung geben“, kommentierte der Jurist und der Händler stammelte: „Ja, ja, mein Herr, Ihren Alten nehme ich zum Listenpreis, dann aber nur noch 15 % Rabatt. Und bitte, keinen Scheck! Ich handle nur mit Barem.“ Und nach einer Weile fügte er hinzu: „Ist seit vielen Jahren mein erfolgreiches Geschäftsprinzip!“

Der Jurist ging nochmals um den Wagen herum und erklärte dann: „Gut, ich werde dieses Auto kaufen. Können Sie ihn mir eine Woche reservieren?“

Der Autohändler nickte zufrieden und verabschiedete sich sehr erfreut.

Als wir wieder im Auto saßen, fuhr ich erst einmal los, um ganz schnell einen Parkplatz aufzusuchen. Keine 500 Meter weiter fuhr ich in einen Waldweg hinein. Ich nahm sogar in Kauf, dass meine sorgsam gepflegten Reifen in einem modrigen Weg einsackten.

„Das ist dein Auto!“, rief der Techniker erregt. „Da bin ich mir so sicher, ich wette mit dir um 10 Kasten gutes Pilsner!“

„Aber diese Farbe gibt es doch hundertmal, wenn nicht tausendmal“, argumentierte der Jurist.

„Wir fahren jetzt zum Autohaus“, erwiderte der Techniker, „die müssen doch die Fahrgestellnummer haben. Und wenn wir sie haben, dann … dann haben wir den Fall gelöst.“

Abrupt schlug er mir auf die Schulter.

„Fred, du hast doch die Nummer?!“

„Ja doch“, knurrte ich und hielt meine Hand hoch, sodass er sie vom Rücksitz aus sehen konnte.

Ich startete den Motor und gemächlich, wie es sich für einen auf Hochglanz gewienerten Oldtimer gehörte, fuhr ich Richtung Autohaus.

„Nun fahr mal ein bissel schneller. Schließlich wollen wir den Ruhm vor unseren Frauen einstecken!“

Ich ignorierte seine Aufforderung und fragte stattdessen den Juristen: „Wolltest du nicht eine Tour fahren?“

Doch der Jurist winkte nur ab: „Fahr nur, fahr! Ich versuche krampfhaft herauszubekommen, wie ein Gauner an Fahrzeugpapiere herankommt. Es sei denn, der Techniker hat recht und das wäre das geklaute Auto. Ich finde einfach keine Lösung!“

Und der Jurist versank wieder ins Grübeln. Der Techniker hielt uns dafür, dass heißt eigentlich nur mir, einen Vortrag, wie einfach es doch sei, einen Fahrzeugbrief zu fälschen. Man brauchte dazu nur die richtigen Könner. Und während er sich in Einzelheiten der Fälscherkunst erging, lenkte ich meinen „Oldie“ auf den Hof des Autohauses.

Kaum sah uns der Geschäftsführer, als er auch schon zu uns eilte: „Noch keine Spur vom gestohlenen Auto!“, rief er uns auch schon von der Türe aus zu.

„Vielleicht haben wir eine Spur!“ Der Techniker war sich immer noch sehr siegessicher. Und wie zur Bestätigung nahm er meine Hand, auf der ich die Nummer notiert hatte, und hielt sie dem Geschäftsführer entgegen.

Alles andere war in wenigen Minuten erledigt. „Hab ich es euch nicht gesagt … ich hab’s euch gesagt! Wir haben die Diebesbande! Wir haben unsere Frauen besiegt!“

Der Techniker wollte noch am Abend den Sieg der Männer über die Frauen verkünden, allerdings spielten unsere lieben Frauen da nicht mit. Meine Karla z. B. lag auf der Couch, und als ich mit ihr reden wollte, meinte sie, ich würde brüllen. Dabei habe ich nur normal laut gesprochen. Ja, ja, was solch tückischer Likör alles anrichten konnte.

Dafür trafen wir uns am nächsten Vormittag. Unsere Frauen sahen noch mächtig verkatert aus, was wiederum die Männer veranlasste, spöttisch die Trinksucht der Frauen anzuprangern.

Der Techniker verkündete dann laut und deutlich den Sieg der Männer: „Wir haben das geklaute Auto gefunden! Nun sagt endlich, dass wir besser waren! Erkennt neidlos unseren Genius an!“

Das war zu viel für Hilda. Erregt griff sie ihren Franz an: „Genius, du und Genius? Antonia hatte den klugen Einfall und stell dir vor, mein lieber Franz, alle Autos wurden ohne Papiere gestohlen! Wir sind die Klügeren!“

Ehe die beiden sich weiter „beharken“ konnten, übernahm der Jurist die Gesprächsführung und erklärte, dass beide Gruppen zu einem wichtigen Ergebnis gekommen seien. Doch noch wisse man nicht, wie das ganze Diebes- und Betrugssystem funktionieren würde. Nur das überschreite die Möglichkeiten unserer Rentnerclique – das wäre die Aufgabe der Profis. Und er schlug uns vor, die Staatsanwaltschaft mit unseren Ergebnissen vertraut zu machen. Zum Schluss seiner Rede fragte er: „Was also könnten wir an konkreten Hinweisen dem Staatsanwalt mitteilen? Erstens, ein Autohändler verkauft gestohlene Autos! Zweitens, alle Autos, die gestohlen wurden, hatten noch keinen Fahrzeugbrief! Noch etwas?“

Der Techniker wollte uns jetzt seine Fälschertheorie erklären, aber der Jurist winkte nur ab. „Mannomann Techniker, das sind doch nur deine Spekulationen! Hat jemand anderes noch einen Einfall?“

Antonia meldete sich wie in der Schule. „Ja, ich hätte da einen Gedanken, der muss aber nicht richtig sein.“

Auf dem Juristen sein: „Lass hören, deine klugen Einfälle bringen uns weiter!“, sagte Antonia: „Die Fahrzeugbriefe werden doch in der Zentrale ausgestellt. Wenn jetzt dort Leute sitzen, die solche Briefe zurückhalten und dafür ihren Helfern den Auftrag geben, dieses Auto zu stehlen, dann hat diese Bande ein Auto mit gültigem Fahrzeugbrief.“

Es herrschte Stille, eine lange Stille. Dann brach der Oberlehrer zuerst das Schweigen: „Mein Mädchen, du hast recht, so kann es sein! Das ist die Lücke im System, die wir gesucht haben! Spielen wir das einmal durch. Also wir haben jetzt ein Auto und den dazu passenden Brief. Wie wird jetzt das Auto gestohlen? Denkt an die Wegfahrsperre?“

„Es muss noch jemand in der ‚Schlüssel-Abteilung‘ sitzen. Dort, wo die Schlüssel für diesen Wagen codiert werden. Die Schlüssel werden zum Stehlen genutzt und anschließend mit dem Auto verkauft. Mannomann Antonia, das ist die Lösung!“ Der Techniker erkannte neidlos Antonias Klugheit an.

„Aber, jeder Wagen muss doch zugelassen werden? Fällt es da nicht auf, dass es sich um einen geklauten handelt?“

„Jetzt müssten wir wissen, ob die Zulassungsstellen ihre Fahrzeugdaten mit denen der Polizei abgleichen. Wenn sie das nicht tun, dann …“

„Dann haben wir den Fall gelöst!“ Der Techniker strahlte übers ganze Gesicht.

„Das müsste reichen, um jeden Staatsanwalt zum Handeln zu zwingen“, meinte der Jurist und ging zum Telefon. Nach 10 Minuten kam er grinsend wieder.

„Und?“ Alle starrten ihn an.

„Na ja, ich habe meinen alten Studienfreund angerufen. Ihr wisst doch, den ‚Chef‘. Der hat seinen Sohn informiert und der ist scharf auf weitere Beförderungen. Er möchte doch gerne Oberstaatsanwalt werden. Also muss er uns morgen um 11 Uhr empfangen. Einverstanden?!“

Um 13 Uhr saßen wir alle in einem noblen Restaurant und schwelgten auf Kosten des angehenden Oberstaatsanwaltes. Auch der ehemalige Studienfreund unseres Juristen saß am Tisch und meinte nur immer wieder: „Bestellt euch, mein Sohn darf bezahlen! Das ist er euch schuldig!“

So aßen wir all die leckeren Sachen, die unsere Ärzte alle auf die Verbotsliste gesetzt hatten. Und wir genossen diese Schlemmerei. Maxi strich ihrem Mann über die Bauchwölbung und erklärte: „Iss nur, ich mag dich auch mit Bauch!“

Und auch Hilda ließ ihrem Franz mehrere Pils sich hinter die Binde gießen. Alle waren zufrieden. Wir hatten einen Fall gelöst, an dem sich eine SOKO die Zähne ausgebissen hatte. Und Antonia wurde zum Chef-Kriminologen ernannt.

Dass unsere Recherche ein Volltreffer war, konnten wir dann spätestens nach drei Wochen in allen Zeitungen lesen. Bundesweit wurden Durchsuchungen durchgeführt, und nachdem der erste Gauner zu reden begann, wurden innerhalb weniger Stunden mehr als 20 Personen festgenommen.

Zu der Pressekonferenz hatte uns der Staatsanwalt eingeladen und hob unsere Rentnerclique als den entscheiden Hinweisgeber hervor. Die Fotoapparate blitzten und dann konnten wir solche Schlagzeilen lesen: „Rentner überführen Autodiebe!“, „Auto-Mafia durch clevere Rentner überführt!“, „Die Alten sind besser, als die Polizei!“

Aber diese gefiel uns am besten: „Wir brauchen unsere Alten!“

Unsere Fotos waren in allen Tageszeitungen und wir mussten uns ehrlich eingestehen, so berühmt zu sein, ist schon anstrengend. Bekannte und Unbekannte wollten von uns wissen, wie wir den Fall gelöst hatten. Also beschlossen wir, uns in einen wohlverdienten Urlaub zu begeben und wo hatten wir garantiert unsere Ruhe? Jawohl, auf der Burg - hoch auf dem Berg. Ein Anruf genügte und wir begannen in aller Eile, unsere Rucksäcke und Taschen zu packen. Auch beschlossen wir, unsere Detektivarbeit vorerst aufzugeben – bis man sich nicht mehr an uns und unseren größten Fall erinnert.

 

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