Die Rentnerclique: 6. Der Leichenfund

Der Leichenfund

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(von Joachim Größer)

 

Als wir zwei Wochen später, zurückblickend auf diesen sogenannten Geheimauftrag, uns Gedanken zu neuen „Taten“ machten, überraschte uns Martina mit der Bitte eines Journalisten. Es war der junge Heißsporn, den Martina damals das kleine schwarze Notizbuch übergeben hatte, und der nun mehr über unsere Aktivitäten erfahren wollte.

Martina übermittelte uns seinen Wunsch, eine kleine Serie über unsere „Rentnerclique“ zu schreiben; dazu noch ein paar hübsche Fotos von den aktiven Alten und schon wäre unsere 12-Frauen-Männer-Schar eine kleine lokale Berühmtheit.

Der Jurist fasste unsere Empfindungen in diesem Satz zusammen: „Um Himmelswillen, nie und nimmer!“

Ja, wir hatten keine Lust, eine lokale Berühmtheit zu werden. Wo wir auftauchten, würde man uns beobachten! Hätten wir einen neuen Fall, so würden wir unsere Anonymität aufgeben. Niemand würde mehr denken: „Das sind ein paar alte schrullige Rentner!“ Jetzt würde man denken: „Was spionieren die Alten jetzt wieder aus!“

So überbrachte Martina dem Journalisten unsere Entscheidung und der junge Mann war klug genug, diese zu akzeptieren. Aber er bat uns, wenn er mit seinen Recherchen nicht weiter kommen sollte, unsere Hilfe in Anspruch nehmen zu dürfen. Und diesem Vorschlag konnten wir uneingeschränkt zustimmen, hofften wir doch, an einige interessante und knifflige Fälle heranzukommen.

Und es dauerte gar nicht lange, da bat uns der Journalist, für ihn in den Wäldern der Umgebung zu ermitteln. Der Winter sei hart und lang und der Revierförster meldete viele Holzdiebstähle. Und er, der Journalist, sollte zu diesen Diebstählen einen Bericht abgeben. Viel Zeit für unsere Ermittlungen hätten wir nicht, maximal 14 Tage. Nur er selber könnte sich doch nicht Tag und Nacht auf die Lauer legen, um einen Holzdieb zu erwischen. Und der Revierförster sagt selbst, dass er bei dieser Vielzahl von Diebstählen nicht überall sein könnte.

Ja, das war ein angenehmer Auftrag, so sagten wir uns. Jeden Tag an der frischen Luft, viel Bewegung, die uns die Ärzte sowieso auferlegt hatten, und dann noch etwas Kriminalistik – wir waren sehr zufrieden und der Journalist konnte also mit unserer Hilfe rechnen. Nun war der Forst rings um unsere Stadt nicht gerade klein. Auch wollten wir nicht nachts unterwegs sein. Wichtig war, überhaupt einen dieser Diebe zu erwischen.

Wir waren 12 Leute, also teilten wir den Wald in zwei etwa gleichgroße Reviere ein und gingen immer zu zweit, manchmal auch zu viert, zu den unterschiedlichsten Zeiten in den Forst. Kaum hörten wir ein Geräusch, das nach Axtschlägen oder Motorsägen klang, eilten wir zu diesem „Tatort“. Nun wussten wir aber, dass der Revierförster auch Holz zum Selbereinschlagen verkauft hatte. Also mussten wir sehr vorsichtig und umsichtig vorgehen, denn wir wollten auch keinen Unschuldigen verdächtigen.

Bereits zweimal hatten wir mit dieser Methode – Lauschen, Hingehen, Schwätzchen machen – schwitzende Hobby-Holzfäller ausgemacht. Und beide Male hatten wir die Ehrlichen besucht. Doch auf einem solchen „Waldspaziergang“ fassten wir einen richtigen Holzdieb. Der Oberlehrer und ich spazierten bei leichtem Schneefall hinter unsere Frauen her, als wir direkt an einer Weggabelung einen schweren Geländewagen mit einem noch schwereren Anhänger sahen. Beim Näherkommen sahen wir auch den Besitzer dieses Gefährtes. Scheinbar im Akkord lud er den Hänger mit bereits gespaltenem Holz, wie es sich bestens als Kaminholz einsetzen lässt, voll. Wir begannen ein Schwätzchen und dies war dem etwas korpulentem Herrn gar nicht recht, denn er arbeitete verbissen weiter. Da wir wie die Zecken nicht abzuschütteln waren, hielt er uns ein Buchenscheit hin und sagte: „Keine Zeit, meine Herrschaften. Hab vorige Woche das Holz gefällt und muss es noch heute abtransportieren. Der Schnee macht sonst den Weg unpassierbar. Und ein gutes Eichenholz im Kamin will man doch im kalten Winter nicht missen.“

Also verabschiedeten wir uns höflich, prägten uns die Autonummer ein, meine Karla hatte noch schnell „aus der Hand“ ein hübsches Foto von dem schwitzenden Dicken und seinem halb voll beladenen Autoanhänger gemacht und kaum, dass wir aus der Sichtweite des Dicken waren, griff der Oberlehrer zum Handy. Wir erwischten den Juristen und den Chemiker und baten beide, am Waldrand den Dicken zu warten und ihm bis zu seiner Wohnung zu folgen. Als der Jurist fragte, warum wir so sicher seien, dass wir den Holzdieb hätten, knurrte der Oberlehrer: „Ersten erzählt er uns, dass er erst vor einer Woche das Holz geschlagen habe, aber die Holzflächen waren nicht frisch geschnitten. Und zweitens hält er uns ein Buchenholz vor die Nase und meint, dass dies eine Eiche sei. Jedes Kind in der dritten Klasse kann an der Rinde Eiche und Buche unterscheiden. Entweder ist unser Dicker strohdoof oder er hält uns dafür. Und das ist schon ein gewichtiger Grund!“

Also, um diesen Begriff „strohdoof“ auch zu begründen, genügte die Tatsache, dass unser Dicker mit seinem vollgepackten Hänger eine Stunde später aus dem Wald fuhr und die beiden Autos, die ihm bis zu seiner Wohnung folgten, nicht bemerkte. In einem ansehnlichen Grundstück am Rande der Nachbarstadt fuhr er auf einen Hof und der Chemiker konnte im Vorbeifahren noch ein großes Schild lesen: „Kaminholz zu verkaufen!“

Alles andere war nicht mehr unsere Sache. Der Journalist erhielt Autonummer, Straße und Hausnummer, ein hübsches Foto vom Dicken, wie er den Hänger belud. Damit ging er zum Förster und beide dann zur Polizei. Eine Hausdurchsuchung folgte und ein hübscher Artikel in der Lokalzeitung über einen Holzdieb, der Buche nicht von einer Eiche unterscheiden konnte.

Wir hatten dem Journalisten und dem Förster geholfen, uns in der klaren Winterluft bei unseren Spaziergängen „sauwohl“ gefühlt und nicht zuletzt unsere Ärzte mit unserem guten Gesundheitszustand sehr glücklich gemacht. Also wollten wir, solange nichts Neues und Aufregendes passierte, diese Waldspaziergänge fortsetzen. Nur dass wir jetzt meist gemeinschaftlich, d. h. vorn die Frauengruppe – hinten die Männer, die frische klare Winterluft genossen.

An einem Vorfrühlingstag, ein Warmluftvorstoß hatte die weiße Pracht dahinschmelzen lassen, erkundeten wir eine neue Wanderroute mitten durch den Wald. Das Dumme bei solchen Touren ist, dass der Weg mit einem Male zu Ende ist und wir vor der Frage standen: zurück oder weiter. Der Techniker mit seiner Wanderkarte in der Hand schwor Stein und Bein, dass wir richtig seien und es immer weiter geradeaus ginge. Doch ein Rinnsal, jetzt nach der Schneeschmelze schon ein ausufernder Bach, versperrte uns den Weg.

„Kommt nur!“, meinte der Techniker. „Wir hieven unsere Frauen drüber und sparen uns den Rückweg.“

Und um dies zu bekräftigen, nahm er einen kurzen Anlauf und wollte mit einem großen Satz den Bach bezwingen. Er bezwang ihn auch – mit seinem Hinterteil, das jetzt pitschenass im eiskalten Bachwasser saß. Doch während wir, je nach Temperament vor Lachen prusteten oder auch nur lächelten, hob unser Techniker die Hand empor und unser Lachen erstarb. Einen Schädel, einen menschlichen Schädel hielt er hoch. Dann griff der Techniker nochmals an den Bachrand und zeigte uns weitere Knochen. Jetzt bargen wir unseren Freund aus dem Bach, und nachdem der Techniker triefend am Bachrand stand, hielten wir Kriegsrat ab.

Lydia als erfahrene ehemalige Krankenschwester musste uns bestätigen, dass dies menschliche Knochen wären, der Jurist musste danach die 110 anrufen und unsere Leiche melden.

Der Techniker rannte nun mit seiner Hilda, so schnell eben ein Rentner noch rennen kann, zum Waldparkplatz. Begleitet wurden sie von Bob und meiner Person. Wir wollten die Polizisten am Parkplatz empfangen und zum Fundort begleiten.

Auf dem Parkplatz stand noch kein Polizeiauto. Hilda packte ihren bibbernden Franz in eine Decke und startete den Motor. In diesem Augenblick fuhr ein Polizeiauto auf den Platz. Bob und ich verabschiedeten den frierenden Techniker und gaben ihm noch „wohlgemeinte“ Ratschläge, wie er sein nasses und kaltes Hinterteil erwärmen könnte. Doch unser Techniker, sonst immer um keine Antwort verlegen, meinte nur mit klappernden Zähnen: „Haltet mich auf dem Laufenden!“

Auch die Polizisten wollten erst einmal aufgeklärt werden. Nachdem wir ihnen erzählt haben, wie unser Techniker die Leichenteile gefunden hat, knurrte der Ältere der beiden Polizisten: „Wieso fährt dann solch ein wichtiger Zeuge einfach weg?!“

Diese Art, mit uns Alten so umzugehen, gefiel weder meinem Bruder noch mir. Ehe ich dem Polizisten eine Antwort geben konnte, fauchte mein Bruder schon: „Na, mein Herr, ich möchte Sie mal sehen, wenn Sie mit nassem und eiskaltem Hintern auf einen jungen Polizisten warten sollen, der Ihnen dann Fragen stellt, die 10 andere Zeugen auch beantworten können! Wenn Sie ihn befragen wollen, dann machen Sie einen Krankenbesuch. Angebracht wäre, einen Blumenstrauß mitzunehmen. Auch wä…“

Ich stieß meinen Bruder in die Rippen und zischte: „Das reicht, der Arme hat’s doch verstanden!“

Ja, der Polizist hatte es verstanden und bat uns nur noch den Weg zu zeigen. Kaum, dass er den Weg wusste, immerhin gingen vom Parkplatz drei Wege ab, befahl er seinem jüngeren Kollegen, der am Steuer saß: „Na los, fahr ’n wir mal hin!“

Ich schrie dem Polizisten noch hinterher: „Ohne Auto! Sie bleiben stecken!“, aber irgendwie hatte ich den Eindruck, der ältere Polizist wollte nichts mehr mit uns zu tun haben.

Und es kam, wie es kommen musste. Keine 300 Meter weiter saßen die Herren Polizisten mit ihrem Auto im Schlammloch fest. Der Ältere hatte versucht, mit Schieben das Gefährt aus der Kuhle zu bringen, und wurde für diese Anstrengung mit einem braunen glitschigen Überzug auf seiner schönen Uniform belohnt.

Den fragenden Blick des Polizisten, ob wir nicht mitschieben könnten, beantwortete mein Bruder mit einer Aufforderung: „Lassen Sie den Wagen stehen, wir gehen zu Fuß. Sie können ja einen zweiten Streifenwagen anfordern, der den Wagen herausziehen kann. Kommen Sie, meine Herren!“

Doch es ging nur der Ältere mit, der Jüngere sollte per Funk Hilfe anfordern.

Ich sah das Gesicht des jüngeren Polizisten und dachte mir, dass garantiert sein älterer Kollege ihm die ganze Schuld an dem Malheur gegeben hatte.

Als nun der Junge zum Mikrofon griff, meinte ich nur: „Warten Sie, wir bekommen Ihren Wagen auch so flott.“

Verwundert blickte der Polizist zu mir: „Wollen Sie schieben?“

„Nee, kleine Äste und Zweige sammeln. Die legen wir unter die Antriebsräder und drauf kommt, wenn nötig, eine Fußmatte. Dann ‚schaukeln‘ wir den Wagen raus.“

Und ohne auf den Polizisten zu warten, begann ich mit dem Sammeln und dem Stopfen. „So, nun ‚schaukeln‘ Sie mal!“

Der junge Mann konnte mit meinem „Schaukeln“ nichts anfangen. „Darf ich?“

Ich zeigte aufs Lenkrad. Irgendwie erleichtert nickte er. Also bewegte ich zum ersten Mal in meinem Leben ein Polizeiauto und stellte fest, besonders gepflegt ist es nicht. Der Gang hakelte, der Motor „hing nicht richtig am Gas“, es war ein sehr beanspruchtes Auto – dieses Polizeiauto. Aber mit dieser alten Methode, sich so selbst aus Schneewehen oder Schlammkuhlen zu befreien, zeigte ich dem jungen Spund die „hohe Kunst“ des Autofahrens. Ich will mich ja nicht loben, aber bereits beim ersten Male, fassten die Räder wieder festen Boden.

Der Polizist fuhr den Wagen rückwärts zum Parkplatz und wollte dort auf die Kriminaltechniker warten, denn dass die kommen werden, war doch klar.

Ich selbst lief zum „Tatort“ zurück. Dort stand ein vorsichtiger Polizist am glitschigen Bachrand, ein Notizbuch in der Hand, und begutachtete die Leichenteile, die ihm der Oberlehrer vor die Nase hielt.

Lydia, meine Schwägerin, zeigte auf die Zähne und erklärte dem Polizisten, dass es sich aufgrund dieses Gebisses um einen sehr jungen Menschen handeln müsste. Dann zückte der Polizist ein Handy und forderte den technischen Kriminaldienst an. „Sag den Kollegen, sie müssen zum Tatort laufen. Der Weg ist nicht befahrbar.“

Ich griente innerlich und dachte: „Lernfähig ist er ja.“

Dann halfen wir dem Herrn beim Abriegeln des „Tatortes“, indem wir eifrig die rot-weißen Bänder hielten und um die Bäume schlangen.

Jetzt hätte es der Polizist wohl gerne gehabt, dass wir uns entfernen sollten, doch wir dachten gar nicht dran. Noch nie hatten wir eine Leiche gefunden, noch nie gesehen, wie der Tatort abgesucht wird und noch nie waren wir von einem echten Kriminalkommissar befragt worden. Und dass er uns befragen musste, davon gingen wir einfach aus. Also mutmaßten wir, wie lange die Leiche schon „tot“ sei, wie sie zu Tode gekommen sei, wer ein solches Verbrechen begangen haben könnte. Jeder gab seinen „Senf“ dazu und die tollsten Theorien wurden aufgestellt. Nur der Oberlehrer hielt sich zurück. Er starrte, wie magisch angezogen, auf den Rand des Baches. Man sah es ihm an, am liebsten wäre er zu dieser Stelle gegangen. Er fragte auch den Polizisten, ob er noch einmal den „Tatort“ betreten könne, doch der knurrte nur genervt: „Sie bleiben gefälligst hinter der Absperrung!“

Ich fragte den Oberlehrer, was er ausgemacht hätte und er zeigte auf die Stelle am Bachrand, die vom Wasser umspült wurde: „Fred, siehst du dort den Stein?“

Na klar sah ich den Stein, es war ein abgesplitterter Stein, der vom Wasser freigespült wurde.

„Und?“, fragte ich.

„Fred, ich glaube, wir haben einen archäologischen ‚Tatort‘ vor uns. Vermute Jungsteinzeit! Man müsste die Steinsplitter genauer betrachten können.“

Mannomann, wenn der Oberlehrer recht hätte?! Ich wollte schon die anderen auf des Oberlehrers Vermutungen aufmerksam machen, doch der bat nur: „Warte, Fred. Wenn ich mich irre, bin ich blamiert. Soll erst der Kommissar seine Meinung dazu abgeben.“

Und der Herr Kommissar kam mit zwei Frauen und einem Mann, der die schweren Koffertaschen durchs Gelände schleppte. Zuerst steuerte der Kommissar zu dem Polizisten und ließ sich unterrichten, dann kam er zu uns, begrüßte uns Alte jovial und stellte noch ein paar allgemeine Fragen, deren Sinn keiner von uns so richtig verstand. Aber dies gehörte wohl zum Ritual einer Befragung. Indessen waren die Drei von der Kriminaltechnik nicht müßig und stiefelten mit ihren Gummistiefeln im Bach umher und suchten nach weiteren Knochen. Dann begann der Mann vorsichtig, am Bachufer zu buddeln. Auf diesen Moment hatte der Oberlehrer nur gewartet.

„Hallo Herr, ja Sie! Da liegt ein Steinsplitter. Ist etwas mit diesem Stein?“

Der Kriminaltechniker hob den Steinsplitter auf, betrachtete ihn und meinte dann: „Ist nur ein Stein!“

„Können Sie ihn mir zuwerfen?“

Und schon war ein Splitter in der Hand des Oberlehrers. Jetzt bildeten wir einen Ring um den Oberlehrer und erwarteten von ihm eine Erklärung für sein ungewöhnliches Verhalten.

„Hab ich es mir doch gedacht, es ist Flint“, murmelte der Oberlehrer.

 „Was ist Flint und was hat das mit der Leiche zu tun?“, fragte Maxi.

„Flint ist Kieselsäure in fester Form“, kommentierte der Chemiker des Oberlehrers Aussage. „Bekannter unter den Namen Feuerstein.“

„Und was hat der Feuerstein mit der Leiche zu tun?“ Maxi wollte es wissen.

Jetzt war der Oberlehrer in seinem Element. „Weißt Maxi, der Feuerstein ist das Werkzeug der Steinzeitmenschen gewesen. Sie benutzten es als Messer, als Schaber, als Bohrer und Feuerstein war auch begehrtes Tauschobjekt. Dieser Flint hat die Eigenschaft, messerscharfe Bruchstellen zu besitzen, die so scharf sind, dass ein Chirurgenmesser vor Neid erblassen kann. Unsere Altvorderen haben damit sogar komplizierte Schädelöffnungen vorgenommen und die Menschen lebten danach sogar weiter – wie man aus archäologischen Funden weiß. Alles klar, Maxi?“

„Nee, Oberlehrer, was hat der Feuerstein mit der Leiche zu tun? Das hast du mir noch nicht verraten!“

„Ich denke …“ Weiter kam der Oberlehrer nicht, denn just in diesem Moment wollte sich der Kommissar vom Tatort entfernen.

„Herr Kommissar, Herr Kommissar!“, schrie der Oberlehrer und winkte dem Herrn Kommissar zu sich.

Er kam auch, etwas verwundert zu uns Alten. Der Oberlehrer hielt ihm den Feuerstein hin und begann, dem Herrn einen kleinen Vortrag zu halten. Der Herr Kommissar hört auch geduldig zu, um am Ende des Vortrages den Oberlehrer zu fragen: „Was hat dieser Stein, nach Ihrer Meinung ist das also ein Feuersteinschaber, mit der Leiche zu tun?“

Jetzt hörten wir einen Vortrag über Bestattungsrituale in der Steinzeit, der dann in dem Ausruf gipfelte: „Dieser Tatort, Herr Kommissar, ist kein Tatort, sondern eine archäologische Fundstelle! Sie sollten den Denkmalschutz benachrichtigen, damit die Grabungen organisieren können. Wenn ich recht vermute, wird dieses Gebiet zukünftig ein geschütztes Bodendenkmal sein.“

„So, das vermuten Sie?! Vermuten Sie ruhig weiter, ich überlasse als Erstes die Leiche unserem Pathologen. Der wird uns zuerst sagen können, wie lange die Leichenteile im Boden schon liegen. Und alles andere wird sich dann finden.“

Freundlich uns zunickend, entfernte sich der Herr Kommissar. Er ließ einen mürrisch dreinblickenden Oberlehrer zurück, den jetzt seine Antonia versuchte zu trösten.

„Lass nur, Gregor. Der Herr wird schon wissen, was er tun muss.“

Die Kriminaltechniker fanden wohl keine Knochen mehr, denn die eine ältere Frau befahl: „Einpacken, wir gehen!“

Auch wir begaben uns mit ihnen zum Parkplatz. Ein irgendwie geknickter und doch zugleich wütender Oberlehrer begann mit mir ein Gespräch.

„Fred, glaub mir, ich habe recht. Du musst mir helfen, die anderen zu überzeugen, dass wir alleine diese steinzeitliche Grabstätte untersuchen.“

„Dürfen wir das denn?“

„Na ja, die Absperrung ist wieder beseitigt, es ist kein Tatort mehr, wir könnten ja irgendetwas suchen, so meine ich.“

„Oberlehrer, du druckst rum – dürfen wir archäologische Grabungen vornehmen?“

„Wenn wir etwas suchen und dann etwas finden, dann ist das doch keine Grabung! Oder?“

Am Nachmittag verabredeten wir uns zum „Krankenbesuch“. Während die Frauen in der Küche Hilda zur Hand gingen, umlagerten wir des Technikers Krankenlager. Seine Hilda hatte ihn ins Bett gesteckt, über das dickste Federbett noch mehrere Decken gelegt und ihrem Franz befohlen: „Du musst schwitzen!“

Das Einzige, was er seiner Frau abtrutzen konnte, waren mehrere Flaschen gutes Pilsner Bier, die er sich unter dem Vorwand „Bier treibt!“ erschlichen hatte. Als wir ihm nun erzählten, wie sich die Sache mit seiner Leiche entwickelt hatte, meinte er: „Menschenskinder, da findet man einmal in seinem Leben eine Leiche und dann passiert nichts Aufregendes?“

Das war wohl das Stichwort, auf das der Oberlehrer gewartet hatte. Er erklärte dem Techniker und damit auch uns noch einmal, welche Vermutung er bezüglich dieses Leichenfundes habe. Und er reichte dem Techniker den Feuersteinschaber. „Guck dir mal die Bruchstellen an, so bringt das die Natur nicht fertig. Hier wurde Hand angelegt, und zwar von einer Hand, die wusste, wie man zuschlägt, um solch messerscharfe Bruchstellen zu erzeugen. Prüf mal die Schärfe!“

Und der Techniker prüfte die Schärfe, um mit einem „Autsch!“ hinterher den blutenden Daumen abzulecken.

„Was willst du machen, Oberlehrer?“

Ja, auf diese Antwort wartete ich auch. Und der Oberlehrer „eierte“ mal wieder. Schließlich half ich ihm, indem ich erklärte: „Der Oberlehrer meint, wir sollten selber graben!“

„Das geht nicht!“, meldete sich sofort der Jurist. „Archäologische Grabungen ohne Erlaubnis sind illegal! Das dürfen wir nicht!“

„Mit Graben meinte ich doch nur ‚Suchen‘. Oder ist das Suchen auch illegal? Wir könnten ja was verloren haben.“ Ich gab meinen „Senf“ dazu, hoffend, damit dem Oberlehrer eine Hilfe zu sein.

„Ja!“, schrie der Techniker und saß kerzengerade im Bett, die vielen Decken von sich werdend. „Schaut her, Männer, so sieht mein Ehering aus. Und den habe ich doch gestern, als ich in den Bach stürzte, verloren. Schaut ihn euch genau an. Den müssen wir morgen früh um 10 suchen! Ich setze einen Finderlohn aus!“

Der Techniker zog seinen Ehering vom Finger und hielt ihn uns strahlend unter die Nase.

„Einverstanden, ich suche deinen Ring.“ Der Chemiker stimmte zuerst zu, aber auch die anderen nickten zustimmend. Selbst der Jurist meinte nun: „Gegen das Suchen eines Ringes an einem Ort, der kein Tatort mehr ist, ist nichts einzuwenden. Was setzt du denn als Finderlohn, Techniker? Aber sei nicht geizig!“

„In der Garage stehen gut verwahrt zwei Kästen von diesem herrlichen Pils. Der nächste Skatabend wird ein Hochgenuss!“

Als nun unsere Frauen uns mit Kuchen und Kaffee versorgten, erklärte der Techniker, dass wir alle morgen früh um zehn Uhr seinen Ehering suchen müssten. Hilda hörte „Ehering“ und ein lauter und sehr energischer Ausruf: „Franz, deinen Ehering?!“ bekräftige auch die Frauen darin, unbedingt die Ehe der Hilda „zu retten“.

Wohlweislich bat der Jurist, zum Suchen nur kleine Gartengeräte wie Handschaufel und Handharke mitzubringen. „Denkt immer dran: Wir suchen! Wir graben nicht!“

Und wir suchten am nächsten Vormittag. Zuerst stellte sich der Oberlehrer hin und prüfte das Gelände. „Ich würde sagen, zu beiden Seiten des Baches wäre es möglich, dass der Ring zu finden sei!“

Und wir suchten mit wahrer Leidenschaft. Dabei wussten wir eigentlich gar nicht, wonach wir suchen sollten. Ich guckte nach gebleichten Knochen und hob jedes Stückchen, das auch nur etwas Ähnlichkeit mit einem Knochen hatte zu Begutachtung auf. Andere, die sich mit einer Handschaufel ausgerüstet hatten, hoben vorsichtig Erde auf, um sie sogleich wieder fallen zu lassen. Dann endlich, nach fast einer Stunde, hörte ich neben mir meine Karla fragen: „Schau mal Fred, ist die Scherbe aus unserer Zeit?“

Sie hielt mir eine Scherbe hin und ich entdeckte in ihrer Hand eine schmutzig graue Tonscherbe, in der Linien eingeritzt waren.

Der Oberlehrer wurde gerufen und der prüfte nicht lange das Corpus Delicti, was ja nun wirklich kein Tatwerkzeug war. Und dann verkündete er: „Ich bin mir ziemlich sicher: Bandkeramik, Jungsteinzeit - bestimmt mindestens 4000 bis 5000 Jahre alt – bin mir wirklich sicher – es ist Linienbandkeramik!“

Der Jurist fragte den Oberlehrer, ob dieses Stück so aussagekräftig sei, dass man nun eine Grabung vornehmen könnte. Und der Angesprochene erwiderte: „Jedenfalls müsste eine vorsichtige Stich-Grabung vorgenommen werden, um unseren Fund zu bestätigen. Und alles andere hängt dann vom Geld ab.“

„Gut, Techniker, du hast deinen Ring gefunden! Die Suche ist beendet!“ Irgendwie wirkte der Jurist erleichtert, als er dies verkündete.

Für den Oberlehrer begann jetzt eine Zeit mit vielen Telefonaten und noch mehr „Türklinken putzen“. Da er von mir den Eindruck hatte, dass mich die Archäologie interessieren würde, bat er mich um Unterstützung. Und die war aber auch notwendig. Was haben wir nicht für Ämter besucht, rumtelefoniert, uns scheel ansehen lassen und konnten bestimmt froh sein, nicht die Witze zu hören, die nach unserem Weggang über die beiden schrulligen Alten gerissen wurden. Aber wir gaben nicht auf. Sagte jemand zu unserem Fundstück: „Lassen Sie es hier, wir reichen es weiter!“, dann packten wir unsere jungsteinzeitliche Scherbe wieder vorsichtig ein und erwiderten nur: „Rufen Sie an, wir kommen dann vorbei und zeigen Sie dem Verantwortlichen!“

Aber es meldete sich nie ein Verantwortlicher, keiner vom Denkmalsschutz, keiner von der Gesellschaft zur Erhaltung von Bodendenkmalen, keiner vom Institut für Archäologie usw. usf.

Drei Wochen waren vergangen, da meinte Antonia: „Habt ihr schon beim Kommissar nachgefragt, was die Untersuchung der Knochen ergeben hat?“

Recht hatte sie mit dieser Frage, denn wenn der Pathologe festgestellt hat, dass die Knochen einige Tausend Jahre im Boden lagen, hatten wir neben unserer Scherbe ein sehr gewichtiges Argument. Also, hin zum Polizeipräsidium! Und dann ging hier das Suchen los. Da wir den Namen des Kommissars nicht wussten, beschrieben wir den Mann, mit dem Erfolg, dass man uns höflich aber bestimmt mitteilte, solch einen Kommissar gäbe es bei ihnen nicht. Und schwupp waren wir wieder draußen. Aber wenigsten hatten wir herausbekommen, wo sich die pathologische Abteilung befand. Aber dort knurrte der Pförtner nur: „Kein Zutritt für Unbefugte! Oder haben Sie einen Passierschein?“

Natürlich hatten wir keinen. Der Blick des Mannes hinter der Glasscheibe konnte man so deuten: „Was wollen die beiden Alten hier? Noch ein paar Jahre und sie kommen sowieso zu uns – waagerecht im Leichensack!“

Je länger unsere Odyssee dauerte, um so hartnäckiger wurden wir. Erkundigten sich unsere Freunde nach dem Fortkommen der Angelegenheit, bekamen sie ein müdes Abwinken oder die Aussage: „Keiner hat Interesse!“

„Vielleicht ist unser Fund auch völlig unbedeutend“, meinte Hilda.

Doch da wurde der Oberlehrer zum Streithammel: „Um das zu beurteilen, muss man den Ort untersuchen, Hilda!“

Die schaute verwundert und verlegen über die gereizte Reaktion des Oberlehrers. Ihr Mann, konterte: „Dann müssen wir selber die Sache in die Hand nehmen, selber graben!“

Es gab bestimmt in all den vielen Jahren, die die Freunde zusammen waren, öfters Unstimmigkeiten. An dieser aber wäre fast ihr gutes Einvernehmen zerbrochen. Da meine Karla und ich uns immer noch etwas als Außenstehende in dieser Gruppe fühlten, konnten wir jetzt die Situation retten. Karla hatte einen Einfall, den sie mir zuflüsterte und ich schrie: „Ruhe bitte!“ Dann sagte ich ausgesprochen leise: „Karla möchte euch einen Vorschlag machen!“

Und Karla meinte, dass immer dann, wenn nichts geht, die Presse, das Fernsehen Veränderungen bewirken könnten. Wir sollten den jungen Journalisten einweihen, mit ihm den Ort besuchen, paar hübsche Bilder machen und so nach Verbündeten suchen.

Martina griff, ohne lange zu diskutieren, sofort zum Telefon. Am nächsten Tag standen wir mit dem Journalisten im strömenden Regen am Fundort der Leiche. Einen Tag drauf konnten wir unter der Überschrift: „Sensationsfund im Stadtwald!“ eine Story lesen, wie wir sie so nicht ganz als die volle Wahrheit bezeichnen mussten. Wahr war darin nur, dass der Techniker die Leiche gefunden hatte, dass meine Karla beim „Suchen des Ringes“ die Scherbe fand und wahr war auch, dass keiner Interesse an unserer Meinung und diesem Fund hatte. Und da der Journalist meinte, das Thema gäbe auf der Lokalseite auch zukünftig noch einige Zeilen her, fragte er zum Schluss des Artikels: „Nun sollte sich die Kriminalpolizei äußern: Ist die Leiche aus der Gegenwart oder ist sie wirklich 5000 Jahre alt? Liegt hier ein Mord vor, so interessiert dies unsere Leser genauso, wie wenn es ein Fund aus der Jungsteinzeit wäre. Rufen Sie mich an, Herr Kommissar! Unsere Leser haben ein Recht auf Information!“

Nun warteten wie gespannt auf eventuelle Reaktionen. Aber am nächsten Tag gab es keinen neuen Artikel oder ein Interview, am übernächsten auch nicht, erst nach fünf Tagen bestellte uns Martina ins Büro der Heimatzeitung. „Der Junge will uns erneut befragen“, sagte sie am Telefon. Und wer bei ihr „der Junge“ war, das war uns allen klar.

Wir trafen uns am nächsten Tag vor dem Verlagshaus und kaum, dass es 10 geschlagen hatte, rannte auch schon „der Junge“ aufgeregt zu uns.

„Danke, dass Sie alle gekommen sind. Bitte seien Sie bei diesem Interview locker und sprechen Sie das aus, was Sie bewegt. Ich habe einige Herren und meine Chefin eingeladen. Wenn es so klappt, wie ich mir das vorstelle und wünsche, dann schreiben Sie für unsere Heimat Geschichte. Und ich will daraus meine Geschichten machen!“

Und schon sauste er vorneweg und wir Alten trotteten gemächlich hinterher.

Als wir den Raum betraten, staunten wir nicht schlecht. Ein riesengroßer Konferenztisch, an dem fünf Herren und eine Dame Platz genommen hatten, füllte fast den gesamten Raum aus. Ich schaute mir die Fremden an und erkannte nur unseren Kriminalkommissar vom Tatort. Dann stellte uns der junge Journalist die Unbekannten vor. Und jetzt staunten wir nochmals, als wir hörten: Verlagsdirektorin, Polizeipräsident, stellvertretender Landrat, Chef vom Landesamt für Denkmalsschutz und ein Professor vom Institut für Ur- und Frühgeschichte.

Der Oberlehrer nahm neben mir Platz und raunte mir zu: „Diese Leute wollten wir erreichen – jetzt haben wir sie hier!“

Und dann ergab sich eins zum anderen. Der Kommissar erklärte, dass der Pathologe den Nachweis geführt habe, dass die Leichenteile schon einige Tausend Jahre im Boden liegen, der Polizeipräsident sicherte die weitere Unterstützung durch die forensische Abteilung zu, der Landrat versprach Geld – ohne das Wort „Geld“ in den Mund zu nehmen, die Herren vom Denkmalsamt und von der Universität erklärten, wie sie die Grabung in Angriff nehmen wollten, die Verlagsdirektorin erteilte „dem Jungen“ offiziell den Auftrag, eine Artikelserie über die Grabung zu schreiben.

Etwas schien den Oberlehrer sehr zu verwundern, und als er eine Möglichkeit sah, seine Frage anzubringen, staunte nicht nur er über die Antwort, die ihm der Herr vom Denkmalsamt gab. Der Oberlehrer wollte nämlich wissen, ob man nicht eine Probegrabung vornehmen sollte?

„Das dürfte nicht notwendig sein“, sprach der Herr vom Denkmalsamt, „wir wissen, dass es im Stadtwald ein jungsteinzeitliches Gräberfeld gibt, wir wussten aber nicht mehr wo. Der Krieg ist der Grund für dieses Dilemma. Der junge Archäologe, der mit der Grabung betraut war, ein Doktorand, wurde eingezogen und fiel an der Front. Das Archiv brannte in einer Bombennacht im Januar 1945 fast völlig aus. So wurde nur mündlich die Kunde von diesem Gräberfeld übermittelt. Mehrere Menschen wussten von diesen Gräbern, aber als in den 50- und 60-er Jahren Nachforschungen angestellt wurden, konnte keiner dieser Zeuge sagen, wo genau die alte Grabung gewesen war. So warteten meine Vorgänger auf einen Zufallsfund, den Sie meine Damen und Herren ja wohl recht spektakulär gemacht haben.“

Nach diesem Interview, indem eigentlich nur der Oberlehrer eine einzige Frage stellen konnte, war der Frieden in unserer kleinen Gemeinschaft wieder völlig hergestellt. Hatte man uns Alten doch „viel Honig ums Maul geschmiert“. Nicht nur, dass man sich bei uns bedankte, dass wir so hartnäckig auf Klärung bestanden haben, nein, man bat uns, an der Grabung teilzunehmen – natürlich ohne Bezahlung. Aber die wollten wir doch gar nicht! Wir wollten jetzt alle Zwölf graben, nach Knochen und Scherben buddeln, Skizzen zeichnen und Fotos machen. Wir konnten die warme Jahreszeit kaum erwarten, lasen alles, was es über die Archäologie zur Jungsteinzeit gab, schauten uns gemeinsam, natürlich bei einem guten Pils, Dokumentationen im Fernsehen an und fühlten uns dann Ende Mai, als ein Schreiben uns verkündete, dass ab 1. Juni gegraben wird, als „Fachkräfte“ für archäologische Grabungen.

Ein junger Mann, der sich als angehender Doktor, vorstellte, erläuterte erstmal über eine Stunde lang das Anliegen der Grabungen. Vier junge Frauen und zwei Männer, Studenten im 6. Semester, schrieben eifrig mit, was uns der Doktorand verkündete. Und zum Schluss seiner Erläuterungen sagte er: „Diese Grabung ist nicht nur ein wesentlicher Teil meiner Doktorarbeit - nein, sie ist mehr! Der junge Doktorand, der 1939 einen Monat hier gegraben hatte und dann mit Kriegsausbruch zum Kriegsdienst befohlen wurde, war mein Urgroßvater. Ich könnte seine Arbeit zu Ende bringen und hoffe ganz stark auf Ihre Hilfe.“

Und auf die Hilfe konnte er sich verlassen. Allerdings mussten wir erstmal ganz schnell lernen, dass vor jeder Grabung gemessen und fotografiert wird, dass man den Untersuchungsort in Quadrate einteilt, dass man Schicht für Schicht abhebt und die Erde sieben muss, dass man die Stratigrafie der Schichten dokumentieren muss, dass …

Auch wenn wir Laien dachten, die Arbeit würde schneller von der Hand gehen, wir waren jeden Tag dabei, ob es regnete oder die Sonne herunterbrannte, wir Alten fühlten uns bei dieser Arbeit sauwohl.

Regelmäßig kam unser junger Journalist vorbei und immer erschien eine Notiz im Lokalteil, wenn es auch manchmal nur zwei Sätze waren. Als dann der erste spektakuläre Fund geborgen war, jubelten nicht nur der Doktorand und der Journalist, unsere Rentnerclique lud alle Beteiligten zum „Grabungsfest“ ein.

Der große Artikel auf der zweiten Seite unserer Heimatzeitung machte viele Menschen neugierig auf diese Grabung. Aber nicht nur Neugierige kamen. An einem Morgen mussten wir feststellen, dass Fremde sich des Nachts an unserer Grabungsstätte zu schaffen gemacht hatten – Schatzgräber! Die Polizei musste her - ein müdes Schulterzucken des überforderten Beamten zeigte seine Hilflosigkeit.

Selbst ist der Mann! Wir übernahmen die Nachtwache. Aber als nach einer Woche eine Regenperiode einsetzte und der Wald nur so vor Nässe triefte, da meinten unsere alten Knochen, dass die häusliche Wärme viel angenehmer sei.

Der Doktorand führte viele Telefonate, aber außer der Zusage, dass einmal nachts eine Polizeistreife die Ausgrabung kontrollieren wird, erreichte er nichts.

Bob hatte einen Einfall, der aber Geld kosten würde. Unsere alten „Freunde“ von der Detektei „Guck und weg“ waren, seit ihr Chef verhaftet wurde, arbeitslos. Bob hatte erfahren, dass sich drei der ehemaligen Mitarbeiter zusammengetan und eine neue Detektei gegründet haben. Viel Arbeit fiel wohl nicht an, denn regelmäßig boten sie mit selbst gemachten Flugblättern ihre Dienste an.

Wieder musste viel telefoniert werden, denn jetzt galt es zuerst, Geld für die Bezahlung des Wachdienstes aufzutreiben. Dann endlich gab es die Zusage vom Landratsamt.

Drei glückliche Männer schlugen ein einfaches Zelt auf, und als der Erste der Nachtwache uns in den Feierabend verabschiedete, erkannte ich in ihm doch den Dicken, den ich einstmals durch den Stadtpark gejagt habe. Aber auch jetzt musste ich feststellen, er erkannte mich nicht wieder – oder er wollte mich nicht wiedererkennen.

Es gab bis zum Ende der Grabung noch viele spektakuläre Funde, doch der Journalist verzichtete auf entsprechende Artikel, kam aber jedes Mal und notierte und fotografierte eifrig.

Mit dem ersten Schnee beendeten wir die Grabung. Der Journalist lud alle Beteiligten zum Gespräch und zu einem Umtrunk ein, und nachdem der Doktorand die wichtigsten Grabungsexponate in ihrer Bedeutung für die Wissenschaft nochmals erläutert hatte, startete der Journalist eine Artikelserie. So erfuhren alle interessierten Leser, dass zwölf Leichen geborgen wurden: Männer, Frauen, Kinder. Aufgrund dessen, dass es keinerlei Verletzungen an den Knochen und Schädeln gab, musste man davon ausgehen, dass es sich um eine Epidemie gehandelt haben musste, die so viele Menschen dahinraffte. Ferner war an der Lage zweier Toter, einem etwa 6-jährigen Jungen und seiner Mutter, interessant, dass man von diesem Bestattungsritual ableiten konnte, dass der Junge wahrscheinlich ohne Vater aufgewachsen war und damit als Junge als das Oberhaupt der Familie galt und so beerdigt wurde. Auch gaben die gefundenen Grabbeilagen einen Einblick in die Lebens- und Glaubenswelt unserer Altvorderen.

Über Vieles berichtete der Journalist, und als er den Grabungsleiter zitierte, der davon ausging, dass sich ja das jungsteinzeitliche Dorf in unmittelbarer Nähe des Friedhofes befunden haben musste und damit noch auf seine Entdeckung harrte, da meldeten sich viele Alte, die es unserer Rentnerclique nachtun und sich als ehrenamtliche Grabungshelfer zur Verfügung stellen wollten.

Mein Gott, nun wurden wir doch eine lokale „Berühmtheit“. Doch zum Glück ist Ruhm nicht von langer Dauer, und man vergaß uns Alten wieder. Ja, bis zu unserem nächsten spektakulären Fall, der uns wieder in die Presse brachte …

 

7. Episode "Unser größter Fall" - HIER!