Die Rentnerclique: 8. Wer löst den Kriminalfall?

Wer löst den Kriminalfall?

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(von Joachim Größer)

 

Kennen Sie das: Man durchlebt eine glückliche Zeit und meint, so müsste es bis ans Ende der Tage weitergehen! So erging es uns, den Frauen und Männern unserer Rentnerclique. Wir genossen unseren Ruhestand, verwöhnten die Enkel zum Leidwesen der Eltern, lebten in den Tag hinein und selbst der Vierteljahresbesuch beim Hausarzt wurde nur zu einem Rezept-Abhole-Termin. Wir schluckten unsere Pillen, der Eine mehr, der andere weniger. Aber jeder von uns, mit Ausnahme des Chemikers, hatte sich im Laufe der Zeit ein Zipperlein zugelegt, das nach Meinung der Ärzte regelmäßig „gepflegt“ werden musste.

Der Chemiker baute sich uns als ein Vorbild auf. Immer wieder betonte er, wie gesund er doch lebe, dass kein Gramm Fett zu viel auf seinen Rippen wäre und dass einige von uns ihm ruhig nacheifern sollten. Obwohl er bei diesen Attacken niemanden ansah – geschweige denn ansprach, jeder wusste, er meinte besonders den Juristen und den Techniker. Beide hatten in letzter Zeit Abstand von einer gesunden Lebensführung genommen. Der Jurist hatte sich neu eingekleidet, um dem vorgewölbten Bauch genug Platz in der Hose zu geben. Maxi, seine Frau hatte es aufgegeben, ihm immer wieder die Hälfte des schönen Essens vom Teller zu nehmen und so kam, was kommen musste. Unser Jurist legte in kürzester Zeit mehr als 10 Kilo zu - Speck wohlgemerkt.

Der Techniker wurde nicht dicker – trotz seines ungesunden Lebenswandels. Seine Leidenschaft war das Bier. Er selbst sagte von sich: „Komme ich noch einmal auf die Welt, so werde ich Bierbrauer. Ich kreiere euch Biere, die euch alle Geschmacksknospen explodieren lassen. Ich baue euch Maschinen, die ein Bier erschaffen, dass selbst die Ambrosia der Götter wie Abwaschwasser schmeckt.“

Nach solchen Ergüssen pflegte dann des Technikers Frau Hilda nur zu bemerken: „Franz, du spinnst!“ Und uns sagte sie: „Er hat heute schon sein zweites Bier getrunken! Er versäuft noch seinen Verstand.“ Und sie gab ihrem Franz einen Kuss und holte ihm ein neues Pils. „Trink nur, ich kriege ja 60 % deiner Rente! Trink nur!“

Dann allerdings schob Franz, der Techniker, das Pils zur Seite und machte ein ganz böses Gesicht – wenigstens für zwei Minuten.

Na ja, auch wir anderen merkten, dass ein leichter Anstieg uns die Luft nahm. Dann verzichteten unsere lieben Frauen auf das zweite Stück Torte und die Männer schworen sich, wieder mehr im Wald zu wandern. Wenn solch eine Situation eintrat, konnten wir uns darauf verlassen, dass der Chemiker feixend angab: „Vorsätze, nichts als gute Vorsätze! Macht‘s mir nach! Ausgewogene Mahlzeiten, regelmäßig sportliche Übungen – ich habe nicht eure Sorgen. Und dann schaltete er seinen „Turbo“ an und enteilte uns am nächsten Berg.

Und dieser vorbildlich lebende Mensch, dieses Musterexemplar einer gesunden fleischarmen Ernährung, dieser Mann, der ein wanderndes Lexikon der gesunden Ernährung war, unser Chemiker wurde im „Turbo“ ins Krankenhaus gekarrt. „Herzinfarkt“, lautete die eindeutige Diagnose.

Als uns Martina, seine Frau, dies mitteilte, konnten wir es nicht glauben. Unser Gesundheitsexperte, Nichtraucher, Mann mit dem Idealgewicht, sportlich durchtrainiert – dieser Mann hatte einen Herzinfarkt?!

Als wir ihn nach drei Tagen zum ersten Male besuchen durften, fanden wir einen wieder zum Leben erweckten Chemiker, der zwar matt, aber hoffnungsvoll in die Zukunft blickte.

„Was mich nicht umbringt, macht mich stärker!“ Er lächelte, als er das sagte. „Ich weiß zwar nicht, von wem der Ausspruch ist, aber jetzt hilft er mir.“

„Der ist von Nietzsche!“, sagte der Oberlehrer und wollte sofort einen Kurzvortrag über den von ihm bewunderten Philosophen halten.

„Untersteh dich!“ Martina stellte sich schützend zwischen Nietzsche-Verehrer und Herzinfarkt-Patient. Und dann kam auch schon eine Schwester ins Zimmer gefegt, die, als sie uns elf Alte in dem Raum sah, nur fauchen konnte: „Das ist eine Intensivstation, meine Herrschaften! Raus!“

Nach drei Tagen durften wir unseren Skatbruder wieder besuchen – diesmal lag er nicht mehr auf der Intensivstation. Er teilte sich das Zimmer mit einem älteren Patienten, mit dem er sich recht gut verstand. Gustav, so hieß der kurz vor der Verrentung stehende Patient, war ein gesprächiger Mensch. Das Wort „geschwätzig“ ist hier wohl nicht angebracht. Der Chemiker erfuhr innerhalb einer Stunde alles Wichtige und noch mehr Unwichtiges aus dem Leben des Gustavs. Das kann zwar sehr unterhaltsam, aber auch sehr ermüdend sein. In diesem konkreten Fall entschied sich der Chemiker für: „ Das ist ja aufregend! Mensch Gustav, das wäre ein neuer Fall für unsere Rentnerclique!“

Und wir? Wir hörten uns die Geschichte an und einstimmig meinten wir: „Das ist ein neuer Fall!“ Und was für ein Fall! Endlich konnten wir wieder unserer Spürnase eine Chance geben, endlich brachte ein neuer Fall – und dazu noch ein hochinteressanter – Abwechslung in unser Alltagsleben.

Und das wurde unser neuer Fall:

Gustav lebt seit geraumer Zeit allein. Seine Frau starb vor einiger Zeit und seine Tochter fand den Mann für das Leben. Seit einem dreiviertel  Jahr darf Opa Gustav ab und zu, wenn auch nur unter Aufsicht seiner Tochter, das Enkelchen Olaf auf den Armen schaukeln. Es gibt keinen glücklicheren Menschen als diesen Gustav, wenn er Klein-Olaf in den Schlaf summt. Nach Gustavs Aussagen ist sein Schwiegersohn eine wahre Perle. Wie oft hatte er sich einen solchen Schwiegersohn gewünscht, einen Mann, der das ungezügelte Temperament seiner Tochter bändigen könnte. Schon glaubte er, dass sein einziges Kind niemals heiraten würde, als sie dann eines Tages diesen schüchternen Mann mit den großen Händen und dem ruhigen Blick ins Haus brachte. Und dieser Mensch mit dem altertümlichen Vornamen Hieronymus und dem am häufigsten vorkommenden Nachname Meyer, dieser Hieronymus Meyer also setzte sich in den Sessel, schwieg und gewann in kürzester Zeit mit seiner ruhigen und überlegenden Art das Herz des alten Gustavs. Immer hoffte der, dass seine Tochter diesen Freier nicht abweisen würde. Aber nie getraute er sich seine Tochter zu fragen, ob dass nun endlich - nach all den vielen anderen Heiratskandidaten – der wirklich einzig richtige sei.

Und als seine Tochter ihm verkündete, dass sie heiraten wolle, so fragte er nur leise: „Den Hieronymus?“ Nach dem „Ja, den Hieronymus!“ umarmte er sein einziges Kind und ein überglücklicher Gustav richtete ihnen die Hochzeit aus.

Sie müssen verzeihen, liebe Leser, dass ich dieses so ausführlich darstelle. Auch wenn es nicht zu dem Fall gehört, so ist es enorm wichtig für das Verständnis dieses Kriminalfalles. Denn dieser Hieronymus Meyer wird nämlich angeklagt, eine Tankstelle kurz vor Mitternacht überfallen und ausgeraubt zu haben.

Als die Polizei am späten Nachmittag an der Haustür klingelte, war Gustav zu Besuch bei seiner Tochter und mit Klein-Olaf beschäftigt. Deutlich hörte er durch die halb offene Tür die Stimme des Kommissars: „Herr Hieronymus Meyer, Sie werden beschuldigt, gestern Abend um 23.45 Uhr die Tankstelle an der Ecke Hauptstraße-Schillerstraße überfallen zu haben. Sie sollen den Inhaber niedergeschlagen und die Kasse ausgeraubt haben. Ich nehme Sie vorläufig fest.“

Gustav hörte seine Tochter aufschreien. Ihm wurde schwarz vor Augen, ein heftiger Schmerz in seiner Brust ließ ihn taumeln. Sein letzter Blick ging zu seinem Enkel, der friedlich in seinem Bettchen schlummerte. Dann fiel Gustav hin. Das letzte, was er hörte, war: „Was ist? Hast du Schmerzen?“

Er hoffte, dass sein Schwiegersohn sehen konnte, dass er den Arm hob und mit dem Finger auf die Brust zeigte. Wie er dann hinterher erfahren hat, war er aber nicht mehr dazu in der Lage. Und wie ihm dann seine Tochter auch berichtete, schnauzte sein Schwiegersohn den Kommissar an, als der hilflos neben den am Boden Liegenden stand.

„Nun fassen Sie an! Mein Schwiegervater ist herzkrank. Er muss sofort in die Klinik! Nun fassen Sie endlich zu oder wollen Sie den Menschen hier sterben lassen?!“

Und als der Kommissar immer noch zögerte und zum Handy greifen wollte, brüllte der Hieronymus: „Ich laufe Ihnen nicht davon! Aber wenn mein Schwiegervater hier wegen Ihrer Unentschlossenheit stirbt, so verklage ich Sie wegen unterlassener Hilfeleistung!“

So trugen der Kommissar und der Festgenommene den bewusstlosen Gustav die Treppen hinunter zum Polizeiauto. Bereits die beiden uniformierten Polizisten, die an der Haustür standen, wunderten sich. Als dann der Kommissar den Fahrer anschnauzte: „So starren Sie nicht! Fahren Sie!“, fragte doch der Fahrer: „Wohin Herr Kommissar? Zur Wache?“

„Ins Krankenhaus und mit Sirene und Blaulicht! Sie Ho…“ Den Rest des Wortes verschluckte der Herr Kommissar - zum Glück.

Glück hatte der Gustav. „Noch rechtzeitig zu mir gefunden, Herr Gustav Schmid!“ So begrüßte ihn der behandelte Arzt, als Gustav wieder ins Leben fand. „Viel Glück gehabt und dazu einen sehr energischen Schwiegersohn, der das einzig Richtige getan hat!“

Und als Gustav seinen Bericht endete, fragte er: „Glauben Sie, dass solch ein Mensch einen anderen niederschlägt, um aus der Kasse lumpige 350 € zu stehlen? Ich kann und will es nicht glauben!“

Ja, es war schwer sich vorzustellen, dass ein solcher Mensch zu einer bösen Straftat fähig sein soll. Aber wie sagt doch das Sprichwort: „An Meinen und Glauben bindet man kein Pferd fest.“ Wir meinten und glaubten zwar auch, aber wir wussten nicht, dass dieser Hieronymus unschuldig sei. Dieses sagten wir natürlich so dem Gustav nicht. Dafür versprachen wir ihm, diesen Fall zu übernehmen. Und unser Chemiker verkündete: „Gustav, wir übernehmen den Fall. Du wirst sehen, es wird sich alles finden.“

„Du übernimmst den Fall nicht!“, verkündete erregt Martina, des Chemikers Frau. „Du nicht! Wir – ohne dich!“ Und alle zehn Alte, die sie anblickte, nickten ihr zustimmend zu.

Alles andere, was wir noch an Informationen benötigten, erhielten wir von der Ehefrau des Hieronymus und von seinem Anwalt. Dieser Anwalt, es war ein junges Bürschlein, der unserem Juristen beichtete, dass dies sein erster Fall überhaupt sei und dass er jede Hilfe, die er von einem erfahrenen Anwalt erhalten könne, annehmen werde, erläuterte uns Alten bei Kaffee und Kuchen die Anklagepunkte.

Und das nun waren die Knackpunkte und Ungereimtheiten der Anklage:

1. Hieronymus Meyer gab an, zur Tatzeit in der Wohnung gewesen zu sein. Da Klein-Olaf zahnte, war seine Frau im Kinderzimmer, um das greinende Kind zu beruhigen. Er habe sich während dieser Zeit im Wohnzimmer mit dem Computer beschäftigt. Kurz vor ein Uhr ist er dann mit seiner Frau ins Bett gegangen. Die Anklage ist nun der Ansicht, dass dies kein Alibi sei, da seine Frau nicht beeiden könne, dass ihr Mann nicht die Wohnung verlassen habe.

2. Der Hieronymus Meyer soll zuerst an der Tankstelle getankt haben. Dann hat er den Kassenraum betreten und die Tankrechnung mit EC-Karte bezahlt. Als die Kasse aufsprang, habe er eine Pistole gezogen und den Inhaber, der den Nachtdienst übernommen hatte, mit der Waffe bedroht. Als der versuchte, sich zu wehren, wurde er mit dem Pistolenknauf niedergestreckt.

3. Der Hieronymus Meyer ließ seine EC-Karte zurück. Da alle Überwachungskameras eingeschaltet waren, konnte man den Hieronymus Meyer auch bildmäßig identifizieren. Ja, beim Tanken hatte er sogar den Kopf direkt zur Kamera gehalten, und da die Tankstelle hell erleuchtet war, konnte man durch einfache Bildbearbeitung ein wunderschönes Porträtfoto vom Angeklagten erhalten.

Das also waren die Fakten und wir alle fanden: Sie waren in sich widersprüchlich! Wieso soll ein Familienvater, der als Ingenieur ein sehr gutes Einkommen erzielt, eine Tankstelle um Mitternacht überfallen, um 350 € zu erbeuten? Wieso bezahlt der Räuber mit EC-Karte und lässt die dann auch noch zurück? Warum bezahlt er überhaupt? Nur, damit die Kasse aufspringt? Warum hat er sein Gesicht nicht verborgen, nicht vor den Kameras und nicht vor dem Inhaber?

Aber Fragen zu stellen reichte nicht – wir brauchten die Antworten dazu. Der Jurist, der in solchen schwierigen Fällen immer zum „Leiter der SOKO“ erkoren wurde, fragte in die Runde: „Womit fangen wir an? Was wollen wir zuerst herausfinden?“

Großes Schweigen herrschte im Wohnzimmer, jeder guckte jeden an, ob nicht der andere einen guten Einfall hätte. Dann endlich begann der Techniker – allerdings sehr zaghaft: „Wir könnten zuerst das Alibi des Hieronymus überprüfen!“

„Wie willst du das denn machen? Nochmals die Ehefrau fragen?“ Mein Bruder Bob schüttelte den Kopf. „Techniker, du hattest schon bessere Einfälle!“

„Mach einen besseren Vorschlag und ich halte den Mund! Hat jemand einen besseren?“ Betretenes Schweigen im Raum und dann sahen wir einen selbstbewussten Techniker, der jetzt sein Wissen ausspielte: „Da der Jurist ein Technik-Muffel ist und in seinem Haus das Wort Computer als Fremdwort buchstabiert wird, muss ich euch morgen zu mir einladen. Ich zeige euch, wie wir das Alibi des Hieronymus überprüfen können. Jurist, kannst du den Anwalt gleich mitbringen? Dann könnte der auch gleich den nächsten Schritt einleiten!“

Ja, unser Techniker war sich seiner Sache so sicher. Er saß so strahlend auf der Couch, dass man meinen könnte, der Fall wäre schon gelöst.

Auf dem Nachhauseweg rätselte ich wie alle anderen, wie der Techniker das anstellen wollte. Meine Karla fragte ihn mit einem sehr freundlichen Lächeln, doch der Techniker feixte nur: „Morgen, Karla! Ich brauche nur eine Minute dazu!“ Und das war’s!

Am nächsten Morgen, schon um ½ 9, standen wir dicht gedrängt im Arbeitsraum, den der Techniker gern als sein Spielzimmer bezeichnete. Drei Computer standen aufgereiht und waren eingeschaltet. Unser Techniker stellte sich in Positur und wollte uns einen Vortrag über das Web, über die IP-Nummer, die Provider, über all das völlig unnütze Zeug, dass eigentlich niemand wissen muss, wenn man mit dem Computer ins Internet geht.

„Techniker“, rief ihn der Jurist zur Ordnung, „keinen Vortrag! Unser Anwalt hier hat bereits in einer Stunde einen neuen Termin. Also zeige uns, was du uns zeigen willst!“

„Also gut! Ich gehe ins Internet. Mancher glaubt heute wirklich noch, man surft anonym. Aber alles wir aufgezeichnet, alles wird festgehalten und kann abgerufen werden. Drei Seiten reichen aus, um euch das zu verdeutlichen. Auf dieser Seite z. B. erfahre ich meine IP-Nummer und kann meine Datenspur im Internet verfolgen. Auf der nächsten Seite findet unser Anwalt den Provider und alle Angaben, die er benötigt, um Einsicht in die Unterlagen des DSL-Anbieters zu erhalten. Und auf der dritten Seite kann man, wie ihr seht, erfassen, wie lange der Internetnutzer welche Seite besucht hat. Es gibt keine Anonymität im World Wide Web!“

„Und wie sollen wir damit das Alibi des Hieronymus belegen? Wie?“ Maxi machte große Augen, in denen man nur Zweifel lesen konnte.

„Maxi, nichts einfacher als das! Unser Anwalt braucht den Provider des Hieronymus, dann muss er sich die Angaben von diesem geben lassen und kann vor Gericht beweisen, dass unser Inhaftierter von bis im Internet war und diese und jene Seite so und so lange besucht hat. Das wär’s!“

„Und der Richter bemerkt dann nur: ‚Junger Mann, dies wollen Sie mir als Alibi anbieten? Das könnte ja auch die Ehefrau gewesen sein und Ihr Mandant war trotzdem der Tankstellenräuber.‘ Techniker, das reicht mir nicht!“ Der Jurist schüttelt den Kopf. „Der Ansatz war schon gut, aber nicht ausreichend. Oder Herr Kollege?“ Der Jurist schaute zum Anwalt und der bestätigte mit Kopfnicken diese Feststellung.

„Wenn ich das noch richtig im Ohr habe, hat der Gustav meinem Mann erzählt, dass seine Tochter überhaupt nichts mit einem Computer anfangen kann. Er hat sogar gemeint, seine Tochter wäre noch nicht einmal in der Lage, den Computer ein- oder auszuschalten. Vielleicht könnte man damit arbeiten?“ Martina schaute zum Anwalt. Der guckte den Juristen an und unser Jurist setzte seine Denkermine auf, um dann zu verkünden: „Herr Kollege, Sie müssten einen Ortstermin beantragen. Es muss so eingerichtet werden, dass die Ehefrau des Angeklagten gebeten wird, den Computer zu bedienen und eine Seite im Internet abzurufen. Dann werden wir sofort sehen, ob die Ehefrau dazu in der Lage ist.“ Der Jurist stutzte, dann entschuldigte er sich: „Sie und der Polizeibeamte werden sehen, ob die Frau einen Computer bedienen kann!“

Drei Tage später trafen wir uns wieder zu unserem Skatabend. Der Jurist setzte eine sehr wichtige Mine auf und bat uns um Gehör. „Freunde“, begann er wichtigtuerisch, „Freunde, ich soll euch im Namen des Hieronymus Dank sagen. Der Haftrichter hat entschieden, dass das Alibi eigentlich hieb- und stichfest ist. Der Ortstermin brachte das Ergebnis, was wir alle erwartet haben. Der Haftbefehl wurde aufgehoben.“

„Dann gibt es also keine Verhandlung mehr?“, fragte ich.

„Leider doch, der Richter war der Meinung, dass zwar keine Fluchtgefahr besteht, aber er war nicht der Meinung, dass der Hieronymus es nicht war.“

„Aber das ist doch ein Widerspruch!“, rief Antonia empört. „Er erkennt das Alibi an und er hält trotzdem den Hieronymus für schuldig?!“

„Nein, nein, Antonia, so kannst du das nicht sagen. Er hat große Zweifel, ob der Hieronymus der Täter war.“

„Jurist, das ist doch winkeladvokatisches Rumgeeiere! Im Klartext: Wir haben nur einen winzigkleinen Teilerfolg erzielt. Hieronymus wäre auch so aus der Haft entlassen worden, da keine Fluchtgefahr besteht. Ist das so richtig?“ Der Oberlehrer starrte den Juristen an.

Der wiegte sein Haupt. „Na ja, wenn du es so siehst, dann muss ich dir leider recht geben. Wir müssen den wahren Täter finden, wenn wir dem Hieronymus helfen wollen. Aber der Richter hat wirklich Zweifel, wie mir der Anwalt telefonisch berichtet hat. Er soll den mit der Untersuchung betrauten Kommissar angeschnauzt haben und verlangte bessere Ermittlungsarbeit. Auch der Staatsanwalt hat sein Fett abbekommen. Das ist schon mal positiv.“

„Also ich finde positiv ist nur, wenn der Hieronymus endgültig von jeglicher Schuld freigesprochen ist. Franz, hast du noch einen Einfall?“ Hilda schob ihrem Mann sogar ein neues Bier zu, hoffend, dass der bei seinem Lieblingsgetränk zu neuen glorreichen Einfällen gelangt.

Doch der Techniker schob zu Hildas Verwunderung das Bier zur Seite und meinte nur: „Ich weiß nicht, wie wir den echten Täter finden sollen!“

Und so beschlossen wir, erst einmal unseren Skat zu spielen und wenn es sein musste, nochmals darüber zu schlafen. Vielleicht hat dann jemand einen guten Einfall.

Aber der Skatabend war verkorkst. Man verwarf sich, spielte so uninteressiert, dass ein Spiel eine Qual war. Auch bei der Gesprächsrunde der Frauen ging es nicht so zu, wie es eigentlich sonst immer war. Man hörte kein Lachen, kein Flüstern, keinen Aufschrei – man schwieg!   

So war das Klopfen auf dem Tisch, wenn einer der Skatbrüder die Karte ausspielte, das einzige Geräusch. Doch dann, ganz leise war es zu hören: ein Wispern, ein Flüstern, dann der Aufschrei: „Das ist es!“

Und natürlich kamen jetzt unsere lieben Frauen just in dem Moment an unseren Tisch, als ich „Ramsch“ gerufen hatte und mich schon darauf freute, dem Oberlehrer und meinem Bruder Bob eins auszuwischen.

Da mein Brüderlein erschrocken die Karten auf den Tisch legte, nutzte ich die Gunst der Stunde und meinte lakonisch: „Bob, du gibst das Spiel ja auf?! Aber das macht doch kein guter Skatspieler!“ Und ich feixte, als ich den Juristen bat: „Nun schreib schon auf! Den vollen Einsatz!“

„Warte!“

Der Jurist schaute gebannt zu den Frauen, die im Halbkreis sich um den Tisch aufgestellt hatten. „Was ist es? Habt ihr eine Lösung unseres Problems?“

„Haben wir! Das heißt, die Lydia erinnerte sich an die Zeit, als wir noch taufrisch und jungfräulich waren.“

„O Gott, ist das lange her“, grinste mein Bruder Bob und erhielt sogleich eine Kopfnuss von der hinter ihm stehenden Hilda. „Halt dich zurück oder du gehst heute mit Glatze nach Hause!“ Und sie fasste den Bob an seinem nicht mehr üppigen Haarwuchs und zog kräftig. „Früher warst du ein Jüngling im lockigen Haar – und heute?! Also Bob, keine dummen Reden mehr! Zuhören, klar!“

Und noch einmal fasste sie in das schüttere Haar. Dann sagte sie, sich Lydia zuwendend: „Rede Lydia, deinen Bob habe ich fest im Griff!“

Nun meinte Lydia kurz und knapp: „Die Liebe ist es! Wir müssen die ehemaligen Liebhaber unter die Lupe nehmen. Dann finden wir den wahren Täter.“

„Also Lydia, nichts für ungut. Du meinst das doch nicht ernsthaft?“ Der Techniker feixte. Seine Hilda fauchte nur: „Franz, deine Idee haben wir auch verfolgt, so lass uns Lydias Vorschlag auch nachgehen.“

Und sofort meinten alle Frauen, dass Hilda mal wieder für sie alle, für das von dieser Männergesellschaft unterdrückte Geschlecht gesprochen habe.

Maxi giftete sogar ihren Mann an: „Nun sag schon was! Bist du nun der Chef unserer SOKO oder nicht?“

„Gut, gut!“, erklärte der Jurist. „Ich erteile der Lydia das Wort!“

„Eigentlich müsste das der Gernot besser erzählen können, aber ich glaube, das hat er aus seinem Gedächtnis gestrichen …“

„Was habe ich aus dem Gedächtnis …, au ah!“ Hildas Hand hatte sich in Bobs Haaren verkrampft.

„Sprich nur Lydia! Bob ist ganz artig!“ Hilda lächelte zweideutig.

„Vor mehr als 50 Jahren war ich nicht gerade hässlich. Mehrere junge Männer gingen mit mir tanzen, bis ich meinen Gernot traf. Ab da habe ich allen anderen den Laufpass gegeben. Und Gernot, erinnerst du dich noch an den großen Dunkelhaarigen, so ’n südländischer Typ?“

„Meinst du diesen Lackaffen mit der vielen Pomade im Haar und den Porsche – ein schauderhafter Mensch!“

„So schauderhaft war der gar nicht, er hatte gute Manieren, die ich dir erst in den vielen Ehejahren beibringen musste.“

„Ha, ha, ha! Ich …“

„Reden lassen, Bob. Nur reden lassen!“ Hilda war wirklich eine sehr energische Frau.

„Ja, also dieser Mensch mit den guten Manieren und dem Porsche, der konnte es nicht verwinden, dass ich den Gernot ihm vorzog. Er hat mir jeden Tag einen Brief und einen Strauß dunkelroter Rosen geschickt und …“

„Davon weiß ich doch gar nichts!“

„Du musst auch nicht alles wissen, Bob!“ Hilda sprach sehr beruhigend auf den nun wirklich erregten Bob ein.

„Reg dich nicht auf, Gernot. Der Mann war endgültig für mich gestorben, als er begann, uns nachzusteigen. Er hatte mir sogar geschrieben, dass es zu einem Unglück kommen wird, wenn ich ihn nicht heirate. Aber daran musst du dich erinnern, wie er dich angegangen ist und dir Schläge und sogar den Tod angedroht hat. Oder?“

„Das weiß ich noch! Und ich weiß auch noch, dass ich hinterher in die Klinik ging, um meine Hand röntgen zu lassen. Diagnose: angebrochen.“

„Aber davon weiß ich doch gar nichts?“ Lydia schaute verwundert ihren Mann an.

Jetzt sprang ich meinem Bruder bei. „Du musst auch nicht alles wissen, Lydia! Es reicht doch, dass er unseren Eltern gegenüber für seine Handverletzung angab, er hätte sich mit mir geprügelt.“

„Und dafür bist du einen Monat lang einmal in der Woche auf meine Kosten mit deiner Freundin ins Kino gegangen.“ Bob grinste.

Doch jetzt meldete sich meine Karla: „Ich war nie mit dir im Kino, Fred! Du hattest doch nie Geld!“

„Du warst ja auch nicht seine Freundin!“ Bob blieb mir nichts schuldig.

„Schön, dass eure Kindheitserinnerungen noch so lebendig sind. Was hat das aber nun mit unserem Fall zu tun?“ Der Jurist versuchte sich wieder als Chef.

„Mann, Jurist, es ist die Liebe! Die Liebe – das älteste Motiv für verrückte Handlungen!“ Hilda strahlte die Frauenrunde an. „Ich habe doch recht, Mädels oder?!“

„Genau, Hilda! Wenn einer der ehemaligen Verehrer es nicht verwinden konnte, dass er einen Korb bekommen hat und sich Rache schwor, dann könnte er alles tun, damit sein Nebenbuhler, der Hieronymus nämlich, für einige Zeit ins Gefängnis muss. Vielleicht will er dann den Witwentröster spielen? Möglich wäre das doch!“

Da die ruhige und immer sehr zurückhaltende Antonia dies sagte, wagte keiner der Männer eine Gegenrede.

„Und wie sollen wir vorgehen, um das rauszukriegen, Antonia?“, fragte der Jurist.

„Wir müssen mit Hieronymus Frau sprechen. Von ihr brauchen wir die Namen und die Anschrift aller Verflossenen. Und die müssen wir beschatten. Ich bin mir sehr sicher, sein Handeln wird ihn selbst verraten.“

„So, meinst du?! Dann werde ich morgen mit der …“ Der Jurist stockte, da ihm der Name der Ehefrau entfallen war.

„Claudia heißt sie. Aber du wirst nicht mit ihr sprechen – das machen wir Frauen. Dazu gehören nämlich Fingerspitzengefühl und weibliche Intuition.“

Der Jurist schaute leicht verärgert zu Antonia. „Antonia, du bist der bessere Chef in diesem Fall. Ich übergebe dir den Chefposten und erwarte deine Befehle!“

„Ich, ich will doch gar nicht!“

„Nee, der Jurist hat recht! Wir Frauen sind hier die besseren Ermittler. Und du, Antonia, du machst den Chef!“ Hilda sprach mal wieder für alle Frauen. „Einwände von den Herren? – Keine! Antonia, du bist jetzt der Chef! Was sollen wir tun?“

So hatte sich der Jurist selbst abgesetzt und uns der weiblichen Willkür überlassen. Und das Programm, dass die Männer in den nächsten Tagen absolvieren mussten, war hart. Hatte doch die Claudia den Frauen eine ellenlange Liste mit Namen und Adressen gegeben. Jetzt mussten wir, die harten alten Männer, diese Jüngelchen und jungen Burschen alle überprüfen.

Ich muss Ihnen sagen, liebe Leser, das bedeutete viel Sitzfleisch zu haben, viele Kilometer hinterherfahren oder auch hinterherlaufen. Aber das Schlimmste an unserem Fall war, dass wir zu wenig Zeit hatten.

Der Anwalt informierte den Juristen, dass der Staatsanwalt die Angelegenheit schnell hinter sich bringen möchte. Der Jurist erteilte dem Anwalt Nachhilfe am Telefon und erzählte ihm Tricks und Flinten, wie man Zeit gewinnen könnte. Und da der junge Anwalt sehr lernwillig war und auch tatkräftig die kleinen Tricks und Finten unseres altgedienten Juristen umsetzte, bekamen wir noch eine Woche Aufschub.

Was ist eine Woche Aufschub, wenn man ein Dutzend Menschen beobachten soll, um irgendetwas in deren Tun zu finden, das einem helfen soll, einem von ihnen diesen Überfall zu beweisen. So etwas ist aussichtslos. Wir konnten dem Gustav und unserem Chemiker auch nicht den kleinsten Erfolg vermelden. Und dabei fieberten die beiden ihrer Entlassung aus der Reha-Klinik entgegen und wollten dann mit uns gemeinsam den Sieg der Gerechtigkeit feiern.

Wir standen morgens um 5 Uhr auf, begleiteten die ausgesuchten Ex-Liebhaber von der Haustür zur Arbeit und am Nachmittag oder am Abend wieder zurück. Hatten wir Glück, kamen wir um 11 ins Bett. Hatten wir das schlechte Los gezogen, dann wurde bis um 2 Uhr nachts beobachtet.

Drei Tage blieben uns noch und selbst der Hieronymus verzagte und stellte sich innerlich auf eine Verurteilung ein.

Doch dann erhielt der Jurist am Abend einen fast hysterischen Anruf von der Claudia. Der Anruf war so wichtig, dass der Jurist uns noch am selben Abend zu sich bat. Und dieser Anruf brachte endlich die Wende.

„Vergesst alles, was wir bisher unternommen haben!“ So begrüßte uns der Jurist. „Die Claudia hat einen Anruf von einem Ex-Freund erhalten, der nicht auf ihrer Liste stand. Sie hatte ihn schon völlig aus dem Gedächtnis gestrichen, war mit ihm nämlich nur einmal im Kino und einmal zum Tanzen und da hätte er sie nur mit seiner ungeheuer wichtigen Arbeit genervt. Nie hatte sie wieder etwas von diesem Burkhard Renner gehört – bis heute vor zwei Stunden. Er rief sie an und fragte, ob sie nicht seine Hilfe bräuchte, hätte er doch gehört, dass ihr Mann bald ins Gefängnis müsse. So Freunde, nach der Theorie unserer Frauen wäre das der verschmähte Liebhaber, der der Tat verdächtig wäre. Und nun haltet euch fest: Dieser Mann ist Polizeibeamter und arbeitet in einem Labor der Kriminaltechnik. Könnte das unser Mann sein?“

„Das ist er! Garantiert, da wette ich zehn Kasten bestes Pils!“, rief der Techniker. „Diese Leute bei der Kriminaltechnik müssen mindestens genauso gut sein, wie die Ganoven, die sie überführen müssen. Für solch einen Mann ist es ein Leichtes, auch eine EC-Karte zu fälschen. Hast du seine Adresse, Jurist? Ich setze mich auf seine Fersen!“

Und der Jurist zog einen Zettel aus der Tasche. „Ich hoffe, sie stimmt. Habe den Namen im Telefonbuch gefunden. Hier - fängst du morgen früh mit der Überwachung an, Techniker?“

Schnell war eine lückenlose Überwachung dieses Mannes organisiert. Und lückenlos hieß auch, dass wir jeden seiner Schritte auch im Bild festhielten.

Zwei Tage hatten wir noch und es sollten zwei Tage ohne Ergebnis werden. Der Kriminaltechniker ging um 7 aus dem Haus, traf 7.25 Uhr im Polizeipräsidium ein, verließ das Präsidium um 16.15 Uhr und traf gegen ¾ 5 in seiner Wohnung ein. Um 6 ging er zum Garten hinter dem Haus und verschwand für drei Stunden in einem Gartenhaus, das fensterlos im hintersten Teil des großen Gartens stand.

Als wir uns nochmals am Abend des zweiten Tages zusammenfanden, hatten wir nichts, aber auch gar nichts gefunden, was auf diesen Ex-Freund hinweisen könnte. Und am nächsten Tag sollte um 8 Uhr über unseren Hieronymus verhandelt werden.

Betreten verabschiedeten wir uns. Jeder wusste, wir haben versagt.

Und als es am nächsten Morgen 8 Uhr war, dachten wir an den Hieronymus, der nun zu einigen Jahren Gefängnis verknackt wurde. Als uns dann um 10 Uhr der Jurist anrief, sagte ich, bevor er überhaupt reden konnte: „Ich weiß, das Gericht hat ihn verurteilt.“

„Gar nichts weiß du! Der Hieronymus ist frei! Die Anklage wurde zurückgezogen und man hat sich ganz offiziell bei ihm entschuldigt! Wir treffen uns sofort vor dem Gericht! Informiere bitte deinen Bruder und den Oberlehrer. Martina weiß schon Bescheid. Alles andere nachher im Café!“

Ich gab die Information weiter und musste logischerweise auf alle erstaunten Nachfragen passen.

Vor dem Gerichtsgebäude standen der Hieronymus und seine Frau. Beiden sah man ihre Freude und Erleichterung an. Auch der Jurist wirkte zufrieden und unterhielt sich angeregt mit dem Anwalt. Abseits stand ein missmutiger Techniker, auf den seine Hilde sehr energisch einredete.

Als alle Mitglieder unserer Rentnerclique eingetroffen waren, bat uns der Hieronymus zur Siegesfeier ins Café. Kaum dass wir saßen, begann der Hieronymus mit seiner Dankesrede. Und jetzt staunten wir nur noch. Sagte doch der Hieronymus: „Ohne eure Hilfe und Unterstützung wäre ich nicht freigekommen. Das Netz war so fein und dicht gesponnen, dass eine Verurteilung so gut wie sicher war. Lieber Franz, wenn Sie nicht gewesen wären, dann säße ich jetzt hinter ‚schwedischen Gardinen‘. Ich bleibe immer in Ihrer Schuld.“

Und ein sichtlich gerührter Hieronymus ging zum Techniker und umarmte ihn. Und wir – wir machten nur große Augen!

„Würde mich mal jemand aufklären, was hier los ist!“, bemerkte der Oberlehrer fast wütend. Und auch wir anderen Unwissenden nickten bekräftigend dazu.

„Na los, Techniker, erzähl uns deine Story!“, rief der Jurist dem Techniker zu.

„Ach, ist doch halb so wild! Ich habe ein Rotlicht überfahren und habe die Geschwindigkeit um mehr als 21 km/h überschritten. Ich muss wohl einige Zeit mein Auto in der Garage lassen.“

Hilda gab ihrem Mann einen Stups. „Ach was, Franz! Ich fahr dich! Und wenn du nicht erzählen willst, so berichte ich. Also aufgepasst! Mein Franz hat wirklich in diesem Fall den richtigen Riecher gehabt. Als wir gestern Abend auseinandergingen, nervte mich mein Franz – und dass den ganzen Abend. Immer und immer wieder erzählte er mir, welche Möglichkeiten solch ein Kriminaltechniker hätte, um einen anderen, einen Unschuldigen, ins Gefängnis zu stecken. Dann sagte er - ich hab’s noch im Ohr: ‚Der Kerl braucht nur ein eigenes Labor und dort kann er alles in Ruhe vorbereiten.‘ Nachdem er das gesagt hatte, schluckte er, trank schnell das halbe Glas Bier aus und beschwor mich dann, mit ihm einzubrechen. Nachdem ich ihn zuerst für verrückt erklärt habe, glaubte ich bald selbst, was mein Franz vermutete – das nämlich dieses fensterlose Gartenhaus das Privatlabor des Kriminaltechnikers sein könnte. Ich konnte ihn abhalten, noch in der Nacht dort einzubrechen. Dafür versprach ich ihm, am nächsten Morgen, also heute, Schmiere zu stehen. Und so fuhren wir dann zur Wohnung dieses Herrn Burkhard Renner. Als der seine Wohnung verlassen hatte, warteten wir noch eine Weile. Dann pirschte sich mein Franz in den hinteren Teil des Gartens und öffnete die Tür. Es …“

„Was, die Tür war nicht abgeschlossen?“, fragte erstaunt Antonia.

„Ich glaube nicht“, erwiderte Hila lächelnd, „der Franz hat das nicht erwähnt. Aber weiter: Es dauerte mindestens eine halbe Stunde, ehe mein Franz wieder ganz aufgeregt bei mir war. Hastig sagte er nur: ‚Er ist es! Ich habe verschiedene Latex-Masken gefunden, viele ganz großartige technische Geräte, einen Super-Computer. Hilda, wir müssen sofort ins Gericht! Wie viel Zeit haben wir noch?‘ Wir hatten nicht mehr viel Zeit – höchstens noch 25 Minuten. Na ja, ihr wisst ja, wie mein Franz Autofahren kann. Er fuhr im dichtesten Berufsverkehr garantiert einen Rekord. Nur war da die Ampel, die im unpassenden Moment auf Rot umsprang. Und dass der Starenkasten eingeschaltet war, nun das konnte er bei 80 auch nicht mehr registrieren. Aber dass wir 5 Minuten vor 8 den Juristen fanden und der sofort den jungen Anwalt einschaltete, das haben wir dann mit großer Freude registriert. Der Anwalt ging mit dem Staatsanwalt zum Richtertisch, dann suchte der Staatsanwalt den Kripo-Beamten, der als Zeuge erschienen war. Der verschwand dann in einem Schweinsgalopp nach draußen und der Richter verkündete: ‚Aufgrund neuer Erkenntnisse vertagt sich das Gericht bis 9.15 Uhr.‘ Also, ich habe dann nur noch gesessen und dem Hieronymus die Daumen gedrückt. Und als dann der Richter pünktlich um 9.15 Uhr - der Richter ist garantiert ein Preuße, so pünktlich, wie der ist – die Verhandlung fortsetzen wollte, stürmte doch der Kommissar in den Raum. In der Hand hielt er eine Maske und legte diese Maske auf den Richtertisch. Ich hörte ihn sagen: ‚Der Kriminaltechniker Renner ist voll geständig. Er hat es aus Eifersucht getan.‘

 Nun, dann blieb dem Richter nur noch zu verkünden: ‚Herr Hieronymus Meyer, die Anklage gegen Ihre Person ist gegenstandslos. Ich bitte Sie aufrichtig, die Entschuldigung des Gerichts anzunehmen. Glücklicherweise konnte der Fall noch vor der Verhandlung aufgeklärt werden.‘ Und dabei warf er einen recht giftigen Blick zum Staatsanwalt, der ihn sogleich an den Kommissar weiterleitete. Das war‘s, Freunde. War mein Franz nicht toll?!“

Hilda schaute ihren Franz mit ganz verliebten Augen an. Ja, sie bestellte ihm morgens um 11 Uhr ein großes Pils in einem Café und flüsterte ihm zu: „Trink nur, Franz. Ich fahre jetzt immer Auto!“

Also mit Genuss trank der Techniker das Bier nicht – das war schon klar. Unsere ehrlichen Glückwünsche und die Worte des Bedauerns schlürfte er dagegen wie die Götter ihre Ambrosia hinunter. Ja, unser Franz war schon ein toller Kerl.

So hat unser Techniker wohl den kompliziertesten Fall unserer Rentnerclique gelöst. Er stand auch im Mittelpunkt, als der Gustav für uns alle ein Fest ausrichtete. Offiziell nannte man es Kindstaufe. Als Patenonkel wurde der Techniker auserkoren, und da zu einem Patenonkel eine Patentante gehört … - na Sie wissen schon, wer diese Aufgabe übernahm. Es war schon fast beängstigend, wie Franz und Hilda in ihrer neuen Rolle aufgingen. Sie, deren Ehe zu ihrem Leidwesen kinderlos blieb, hatten nun ein Fast-Enkelchen und traten mit Großvater Gustav in den Wettstreit um die Gunst des Klein-Olafs.

Gustav Schmid und unser Chemiker waren nun wieder fast vollständig hergestellt. Es wäre unvollständig, wenn ich zum Abschluss nicht erwähnen würde, dass unser Chemiker bei dem nächsten Skatabend uns beichtete: „Ich muss mich bei euch entschuldigen. Ich weiß, ich habe euch sehr oft mit meinem Gesundheitsfimmel genervt. Ich habe mir selbst vorgemacht, dass ich meine Erbanlagen überlisten könne. Ihr müsst wissen, dass in meiner Familie alle männlichen Nachkommen schon sehr zeitig an einem Herzinfarkt gestorben sind. Mein Großvater war keine 45, mein Vater schaffte es auf 52 Jahre. Ich wollte diese Kette durchbrechen, und ich habe es ja auch ein bisschen geschafft. So alt, wie ich jetzt bin, so alt ist noch kein Mann vor mir aus meiner Familie geworden. Ich werde auch zukünftig nach ärztlicher Anleitung ein reduziertes Fitness-Programm bewältigen. Nur – sollte ich euch wieder anfangen zu nerven, dann schickt mich in die Ecke und ich bitte drum: mit einer sehr großen Strafe.“

Sie wissen doch noch, was die „Ecke“ bedeutete, liebe Leser? Oder?

Natürlich haben wir dem Chemiker gesagt, dass er uns nie genervt habe. Der Jurist wollte sogar freiwillig zum Erstaunen seiner Maxi an diesem reduzierten Gesundheitsprogramm teilnehmen. Hatte ihn doch bei einer seiner Überwachungen ein junger Bursche an einem kleinen Anstieg so abgehängt, dass der Jurist einem Kollaps nahe war. Und da wir unserem Chemiker zeigen wollten, dass er uns nie genervt habe, meinten dann auch unsere lieben Frauen, dass doch eigentlich so ein leichtes Fitnessprogramm gar nicht schlecht gegen die mehr oder weniger üppigen Rundungen wären. So verabredeten sich die Frauen freudestrahlend gleich für den nächsten Morgen zum Shopping: Sportsachen kaufen! Selbstverständlich ohne uns Männer - aber natürlich, um auch gleich die Herren der Schöpfung mit hochmodischen Sportutensilien zu versorgen!

Und dieser Freizeitsport, dem wir nun gemeinsam frönten, brachte uns einen neuen Fall – aber dazu mehr in Kürze!

 

9. Episode "Sport ist Mord" - HIER!