Das doppelte Glück (eine Familien-Saga)

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Das doppelte Glück (eine Familien-Saga)

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von Joachim Größer (2019)

 

Heut möchte ich eine Geschichte erzählen, die sich vor mehr als zweihundert Jahren zugetragen hat. Es ist eine alte Mär – eine Mär von Glück und Unglück, von Liebe und Leid.

 

1. Die Zeit des Glücks

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Die Waldners, so hießen meine Erdenbürger, lebten in einem riesigen Waldgebirge. Der Reichtum dieser Waldners war der Wald und der reichte von den Bergspitzen bis ins liebliche Tal. Und dank dieses Waldes lebte der Hannes Waldner mit seiner Mechthild zwar einsam, weit weg vom Dorf und den anderen Waldbewohnern, aber glücklich, denn ihnen fehlte es an nichts. Tannen und Fichten der Bergwälder wuchsen in den Himmel – waren gerade gewachsen und bestens geeignet für Segelschiff-Masten. Holzhändler aus dem Norden zahlten dem Waldner einen guten Preis. Und so baute der Hannes Waldner mit seinem neuen Reichtum neben der windschiefen Waldkate ein Haus so groß und prächtig, dass die Dorfleute voller Neid von einem Waldschlösschen sprachen.

Das einzige Kind der Waldners war der junge Hannes Waldner, ein hübscher Bursche, dem die Mädchen des Dorfes oft hinterher blickten. Und dieser Bursche schaute auch nach den Schönen des Dorfes, doch so recht gefiel ihm keine. Aber am Ostersonntagsgottesdienst da konnte er die Augen nicht von einem Mädchen lassen. Zierlich gewachsen, schwarzbraunes Haar und dunkelbraune Augen, die ihn den Hannes Waldner Junior so schüchtern anblickten, dass diesem der Atem stockte. Er hörte nicht auf die Worte des Priesters, er schaute nur zu diesem fremden Mädchen. Seine Mutter, die Mechthild Waldner bemerkte ihres Sohnes Empfindungen für das fremde Mädchen. Auch ihr gefiel die schüchterne Fremde. Leise flüsterte sie ihrem Sohn zu: „Sprich sie an!“

„Soll ich wirklich?“, fragte Hannes. „Wirklich!“

„Sie gefällt dir doch! Also …!“

Und lächelnd beobachtete Mechthild Waldner, wie ihr Sohn nach dem Gottesdienst mit hochrotem Kopf zu dem Mädchen ging, eine recht komische Verbeugung fabrizierte und stammelnd fragte, ob er sie am Nachmittag zum Ostertanz unter der Linde einladen dürfte.

Vater Waldner hat von all dem Nichts mitbekommen. Er sprach mit einem Holzhändler und dieses Gespräch schien ihm viele blanke Golddukaten einzubringen.

Mechthild Waldner wagte es nicht, sich in das Gespräch ihres Mannes einzumischen. Aber kaum verabschiedeten sich die beiden Männer, da flüsterte sie ihrem Manne zu: „Hannes, dort die zierliche Hübsche, dieses fremde Mädchen wird deine Schwiegertochter!“

Und ein verdutzter Vater Hannes schaute zu seinem Sohn, der sich mit einem wirklich hübschen sympathischen Mädchen unterhielt. Er sah, wie sein Sohn sich mit einer Verrenkung verabschiedete und wie das Mädchen anmutig knickste.

Das Osterfestmahl wurde traditionell im Gasthaus „Zur Linde“ eingenommen. Und hier beim Festschmaus fand Vater Waldner eine Möglichkeit, beim Lindenwirt Erkundigungen über die schöne Fremde einzuholen. Der Lindenwirt war derjenige, der über alle Menschen des Dorfes Aussagen treffen konnte. „Das ist mein Geschäft“, meinte er schmunzelnd. „Ich kenne ihre Sorgen, ihre Freuden! Ich bin ihr Priester, dem sie im Suff die intimsten Geheimnisse anvertrauen!“

Und vom Lindenwirt erfuhr der Waldner, dass das Mädchen die Eltern und zwei Geschwister durch die grassierende Seuche verloren hatte. Sie selbst erkrankte zwar, aber genas nach langem Krankenlager. Ihr Onkel war der Flickschuster; er nahm sie auf und hatte nun zu seinen sieben Kindern ein achtes dazu bekommen. Glücklich war er nicht darüber, denn die täglichen Sorgen drückten schwer. Aber als guter Christenmensch konnte er nicht anders handeln.

Vater Waldner hatte genug Auskunft vom Lindenwirt erhalten. Er ging zum Tisch, an dem seine Frau und sein verliebter Sohn saßen. Seine Frau - sie wusste, warum ihr Mann mit dem Lindenwirt getuschelt hatte - schaute ihn erwartungsvoll an. Doch der Vater Waldner lächelte nur. Und Mechthild Waldner hoffte jetzt auf das Liebesglück ihres Sohnes. Der saß jedoch nur und starrte auf das Mädchen, das immer versuchte, seinen Blicken auszuweichen.

„Franziska heißt die Hübsche!“, flüsterte ihm der Vater zu. „Sie ist Waise und wurde von ihrem Onkel, dem Flickschuster aufgenommen. Geh und hol dir ihr Ja-Wort! Das andere regele ich!

„Erst zum Ostertanz, Vater“, seufzte Hannes. „Ob sie mir ihr Ja-Wort geben wird? Was soll ich machen, wenn sie mich nicht mag?!“

„Sie wird sich zieren! Das gehört sich so für ein junges Mädchen! Oder denkst du, deine Mutter hat sofort ‚Ja‘ gesagt? Sie hat mich ganz schön zappeln lassen!“ Vater Waldner grinste und schaute mit verliebten Augen zu seiner Mechthild. „Deine Mutter musste mich nehmen! Ich hab ihr keine andere Wahl gelassen! So sind wir Waldners!“

Endlich erhoben sich die vier Dorfmusikanten und baten zum Ostertanz unter dem Lindenbaum. Kaum erklang der erste Ton, da erhielt Hannes, der Verliebte einen freundlichen Stups von seinem Vater und Mutter flüsterte: „Los Hannes! Bitte sie zum Tanz!“

Und Hannes stürzte zu dem Mädchen und als er sah, dass noch andere Burschen „sein“ Mädchen als Tanzpartnerin auserkoren hatten, da „flog“ er fast über den schmalen Gang. Er war der Erste bei ihr, und er war der Erste und er war der Letzte, der mit ihr tanzte.

Und er fragte sie, ob er sie nach Hause begleiten dürfte; und als sie leicht errötend aber freudig zustimmte, da wusste ein Hannes Waldner, dass er auch um ein nächstes Rendezvous bitten konnte.

Jeden Tag traf er Franziska, jeden Tag fragten ihn die Eltern aus. Und eines Abends fragte doch der Vater: „Sag Hannes, willst du das Mädchen heiraten?“

Und Hannes stammelte: „Soll ich?! Ja, ja – ich möchte schon, aber ob sie will?!“

„Sie will! Ich weiß es! Stimmt’s Mechthild?!“

Und seine Frau nickte nur lächelnd, strich ihrem Jungen übers Haar und meine verträumt: „Ihr bekommt solch schöne Hochzeitsfeier, wie wir sie hatten!“ Und ihr Ehemann meinte dazu: „Also – am Sonntag nach dem Gottesdienst geh ich mit dem Flickschuster zum Lindenwirt!“

Vater Waldner grinste als er zu seinem Sohn sagte: „Natürlich musst du sie auch fragen, ob sie solch ungehobelten Kerl, wie mein Sohn einer ist, auch heiraten würde!“

Beim Lindenwirt wurde mit Franziskas Onkel die Heirat ausgehandelt. Und wie es in dem Dorfe so üblich war, war der Lindenwirt Zeuge der Verhandlung und schrieb auf einem weißen Papier mit schwungvollen Buchstaben den Heiratskontrakt.

Zum Abschluss der Verhandlungen meinte Vater Waldner: „Flickschuster, da wir bald verwandt sein werden, möchte ich dir unter die Arme greifen. Ich hoffe, du hast nichts dagegen.“

„Waldner, das ehrt dich, aber ich komm schon zurecht. Wenn die Not zu mächtig wird, werd ich bei dir anklopfen.“

„Du wirst immer ein offenes Ohr finden!“

An diesem Sonntag machte der Lindenwirt ein gutes Geschäft. Der Waldner hatte die Spendierhosen an, und alle Dörfler fanden auf ihren Tischen immer wieder volle Gläser vor.

Franziska und Hannes warteten auf einer Bank hinter der Kirche auf das Verhandlungsergebnis. Längst hatte der Hannes die Franzi, so nannte er sie seit dem ersten Kuss, gefragt, ob sie ihn heiraten möchte. Und er wird nie den Kuss vergessen, den sie ihm statt einer Antwort gab.

Die Verhandlungen im Wirtshaus dauerten ewig. Franziska war schon recht betrübt, meinte sie doch, dass aus der Hochzeit nichts werden würde.

„Hannes, wir werden nicht heiraten dürfen?!“ Und Franzi umschlang Hannes Hals und der merkte, wie Tränen seine Haut benetzten.

„Wir gehen ins Wirtshaus!“ Er nahm Franziska an die Hand und zog sie hinterher. „Ich werde meinen Vater fragen. Komm, Franzi!“

Kaum hatten sie den Wirtsraum betreten, als Hochrufe auf das Brautpaar ausgerufen wurden. Franzis Onkel rief mit schwerer Zunge: „Du darfst unsere Franziska küssen!“

Und unter dem Beifall der Trunkenen küsste Hannes seine Braut.

Nach einer angemessenen Verlobungszeit wurde geheiratet. Es war ein Hochzeitsfest, an dem das ganze Dorf teilnahm. Und wie die festlich gekleidete Franziska so vor dem Altar stand, da neideten viele junge Burschen dem Hannes Waldner seine hübsche Braut. Aber gefeiert haben sie alle. Und wenn auch die Franziska den Waldner geheiratet hatte, mit dem Burschen, der sie zum Tanz aufforderte, musste die Franzi tanzen. So verlangte es der Brauch.

Franzi und Hannes waren glücklich und als Franziska dem Hannes zuflüsterte, dass er wohl bald Vater sein würde, da schrie der Hannes sein Glück in die dunkle Nacht. Sein Schrei war so gewaltig, dass die Eltern an die Schlafkammer klopften und fragten, ob sich jemand verletzt habe.

Noch einmal schrie der Hannes sein Glück den Eltern zu: „Ich werde Vater!“ Und leise: „Oma Mechthild und Opa Hannes – beglückwünscht meine Franziska.“

Und Franziska saß mit hochrotem Kopf im Bett und meinte nur schüchtern: „Ich bin mir noch nicht sicher.“

Und Mechthild setzte sich zu Franziska aufs Bett. Vater Hannes nahm seinen Sohn: „Junge, das muss begossen werden. Ich habe noch eine Flasche Wein aufgehoben, die ich gekauft habe, als du geboren wurdest. Die trinken wir jetzt aus!“

Die nächsten Wochen und Monate drehte sich fast alles nur um die bevorstehende Geburt. Und als die alte Hebamme geholt wurde, um die zukünftige Mutter zu untersuchen, da meinte sie doch nach der Begutachtung: „Waldner, deine Frau bekommt Zwillinge. Kannst dich auf drauf verlassen.“

Und Hannes Waldner strahlte und mit ihm seine Franzi. Und als die Hebamme noch meinte, dass es eigentlich keine Probleme bei der Geburt geben sollte, da hatte ihre Freude keine Grenzen. Die Hebamme wurde sehr gut bezahlt; auch nahm ihr der Hannes das Versprechen ab, dass sie sich rechtzeitig im Waldschlösschen einfinden wird, um die Geburt zu begleiten.

Die Hebamme hielt ihr Versprechen. Drei Tage vor dem Geburtstermin erschien sie mit ihrer großen Hebammentasche und einem Köfferchen im Waldschlösschen. Ab diesem Zeitpunkt waren der zukünftige Großvater und der zukünftige Vater von Zwillingen aus dem Schlafzimmer verbannt.

Um nicht zu weit vom Hause zu sein, spalteten die beiden Waldners Holz für den Winter. Oft hielten sie in ihrer Arbeit inne, immer dann, wenn einer von ihnen glaubte, gehört zu haben, dass sie gerufen werden. Aber die Geburt zog sich dahin. Hannes schlief auf der Ofenbank ein und sein Vater legte sein Haupt auf den Tisch.

Da – war das nicht ein Kinderschrei? Hannes sprang hoch, weckte seinen Vater und der musste seinen Sohn beruhigen: „Hannes, eine Geburt kann sehr, sehr lange dauern. Bestimmt hast du dich verhört.“

Doch jetzt war es nicht zu überhören – das war Kindergeschrei! Wenige Minuten später erschien Mutter Mechthild: „Es war eine gute Geburt. Hannes, mein Junge, du bist Vater von zwei Mädchen.“

Im Waldschlösschen herrschte eitel Freude. Die Zwillinge entwickelten sich prächtig und waren der ganze Stolz der Großeltern. Getauft wurde zum Osterfest. Und da sich die beiden Mädchen so ähnlich sahen, dass selbst Eltern und Großeltern Mühe hatten, sie auseinander zu halten, wurden sie auf die Namen Liesel-Lotte und Lotte-Liesel getauft.

 

 

2. Die Zeit des Unglücks

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Man wollte meinen, dass die Waldners das Glück gepachtet hätten. Die beiden Mädchen verbreiteten nur Freude, Eltern und Großeltern vergötterten die Zwillinge. Und bei Opa Waldner konnte es schon einmal geschehen, dass er seinen Sohn nicht in den Wald begleiten konnte, weil ihn die beiden Mädchen zum Spielen brauchten. Und Opa war ein gutes „Reitpferd“, ein fester, schneller Drehflugkünstler, ein Quatschmacher, ein … eben ein Opa!

Die Mädchen sahen sich so ähnlich, dass sie aus dem Dorf niemand auseinander halten konnte. Auch Großeltern und Eltern hatten da ihre Problemchen. So begnügte man sich bei den Waldners, wollte man die Mädchen sehen, einfach ins Haus oder auf die Wiese zu rufen: „Lieschen!“ Und sofort erschienen zwei Lieschens mit strahlenden Gesichtern.

Die Lieschens waren unzertrennlich. Sie hatten die Schönheit und Anmut der Mutter geerbt, besaßen einen wachen Verstand und waren der „Sonnenschein“ für die alten und jungen Waldners.

Nur wenige Tage nach dem fünften Geburtstag der Zwillinge brach das Unglück über die Waldners herein. Der Tag begann wie jeder Arbeitstag auf dem Anwesen begann. Großvater Waldner spannte die beiden Kaltblüter vor den Holzschlitten. Heute wollte er Holz rücken und mehrere gut gewachsene Fichten zum Hofe schleifen. Hannes Waldner belud den leichten Leiterwagen mit gespaltenem Holz, das er auf dem Markt in der Stadt als Brennholz verkaufen wollte. Mechthild und Franziska arbeiteten im Garten am Haus.

Es ging auf die Mittagszeit zu, als lautes Geschrei die beiden Frauen erschreckte. Lutz Abraham, einer der Holzfäller, die für die Waldners arbeiten, fuhr mit dem Holzschlitten auf den Hof. Statt der Fichtenstämme lag auf dem Schlitten Großvater Waldner. Er war Blut überströmt, eine große Platzwunde war mit hellem Leinen bedeckt. Aber diese Verletzung war wohl nicht die tödliche gewesen. „Der Baum hat den Herrn zerquetscht!“, sprach der Abraham leise. Und als ihn die Mechthild Waldner flehend ansah, ergänzte er: „Der Herr war sofort tot. Wir konnten nichts mehr machen, als ihn ins Tal zu bringen!“

So starb der alte Waldner und im Dorf tuschelte man: „Sein Wald, sein Reichtum hat den Waldner getötet. Der Wald hat’s gegeben - der Wald hat’s genommen!“

Kaum war der Hannes Waldner beerdigt, als das nächste Unglück die Familie heimsuchte.

Oma Mechthild bereitete das Abendbrot und erhitzte Milch auf dem Küchenherd. Es zischte und roch nach verbrannter Milch. Da die Oma Mechthild aber gerade beim Brot kneten war, rief sie: „Lieschen, zieh den Topf vom Feuer!“ Und Lieschen, es war Lotte-Liesel, zog am Topf, zu heftig und der Topf schwappte über - die heiße Milch verbrühte Lotte-Liesels Gesicht.

Das Gebrüll der Kleinen rief alle Waldners in die Küche. Hannes schrie: „Ich spanne an!“ und Franziska wiegte die Lotte-Liesel in ihren Armen.

Oma Mechthild stand weinend neben ihrer Schwiegertochter und flüsterte immer und immer wieder: „Ich habe schuld! Ich habe schuld!“

Die Tür wurde aufgeschlagen. Hannes schrie: „Franzi komm! Mutter pass auf Lieschen auf! Wir fahren in die Stadt zum Hospital!“

Und kaum saß die Franzi in der Kutsche, als auch schon der Hannes mit der Peitsche die Pferde antrieb. „Franzi! Halt dich und das Lieschen fest! Wir müssen vor dem Dunkelwerden in der Stadt sein!“

Und der Hannes trieb die Pferde und die Pferde schäumten und jagten den Waldweg entlang, so dass man fürchten konnte, sie würden die Stadt bei dieser Hetzfahrt nicht erreichen.

Neben dem Hospital lag eine Herberge. Hier rief der Hannes nach dem Pferdeknecht. „Versorg Er mir die Pferde!“, herrschte er ihn an und half der Franzi aus der Kutsche. Lotte-Liesel wimmerte leise und Hannes strich ihr übers Haar: „Es wird alles gut, mein Lieschen!“

Das Hospital war schon längst geschlossen. Hannes hämmerte an das Tor - wieder und wieder! Endlich öffnete sich eine Fensterluke in der Tür und eine alte Schwester greinte: „Herr, es ist geschlossen! Kommt morgen früh wieder!“ Und schloss die Luke.

Jetzt wurde Hannes wütend: „Mein Kind hat sich verbrüht! Ich brauch ärztliche Hilfe! Öffnet oder ich zerschlage das Tor!“

Und er hämmerte mit einem Stein so heftig, dass die Schwester wohl befürchtete, er könnte das Tor wirklich zerschlagen.

So öffnete sie das Tor einen Spalt und führte die Waldners in einen kleinen Raum. Sie warf einen Blick auf das Lieschen und erschrocken sagte sie nur: „Ich hole den Doktor! Es wird aber dauern!“

Der Doktor kam nach einer sehr, sehr langen Stunde, besah die kleine Patientin und murmelte: „Armes kleines Ding! Es ist äußerst schmerzhaft, aber du wirst leben!“

Die Waldners schickte er weg. Sie würden nur stören, so meinte er. Und da der Arzt dies sehr energisch aussprach, gehorchte der Hannes und zog die sich widersetzende Franziska hinter sich her. „Können wir morgen früh zu unserem Kind?“, fragte Hannes die Schwester am Tor.

„Kommt um 8 Uhr, ich öffne euch!“

Sie gingen in die Herberge und wurden sogleich vom wütenden Wirt mit einem Wortschwall überfallen: „Herr, mein Knecht vermeldete mir, dass eure Pferde am Ende seien. Ihr habt sie zuschanden gejagt! Ihr Pferdeschinder! Ihr ...“

Hannes Waldner schrie ihn an: „Halt Er sein großes Maul! Ja, ich habe die Pferde gejagt, damit mein Lieschen leben bleibt!“ Und schnaufend fügte er hinzu: „Jetzt ein Bett für uns und morgen um 7 ein gutes Frühstück! Und keine Vorhaltungen mehr!“

Am nächsten Morgen empfing ihn der Wirt mit einer Entschuldigung. „Herr, verzeiht mir den harschen Ton. Ich wusste nicht um euer Leid. Ich hoff, das Mädchen wird gesunden!“

„Der Arzt ist hoffnungsvoll“, erwiderte Hannes Waldner. „Um 8 gehen wir zum Hospital. Wenn unser Lieschen hier bleiben muss, könnten wir Quartier bei Euch nehmen?“

„Herr, es wird mir eine Freude sein, Euch zu beköstigen!“

Im Hospital empfing die Waldners die Schwester und der Doktor. „Es wird alles heilen - aber mit Narben. Euer Mädchen wird dadurch ein von den Narben entstelltes Gesicht haben. Das zu verhindert schafft heutzutage kein Arzt auf dieser Welt. Leider! Aber euer Kind wird leben! Und das ist das Wichtigste!“

So sprach der Arzt und er erkundigte sich nach weiteren Geschwistern, den Großeltern - eben nach allem, was er glaubte, wissen zu müssen. Und nach einem langem und für die Waldners gutem Gespräch, empfahl der Arzt: „Fahren Sie nach Hause! Nehmen Sie Ihrer Mutter die Schuldgefühle. Es war ein Unfall, ein tragischer Unfall. Ihre Mutter braucht sie jetzt, wie auch das zweite Lieschen Sie braucht. Kommen Sie in einer Woche und bringen Sie den Zwilling mit. Vielleicht kann unser Lieschen dann schon nach Hause.“

Und die Waldners gingen zur Herberge und der Wirt erkundigte sich teilnahmsvoll nach dem Stand der Verletzung. „Herr Wirt, der Arzt empfiehlt uns, uns um die Mutter und das zweite Lieschen zu kümmern. Wir werden fahren und kommen in einer Woche wieder vorbei. Bitte lasst die Pferde einspannen.“

Der Wirt zögerte. „Herr, verzeiht mein vorlautes Wort, aber ich möcht eure Pferde heute nicht einspannen lassen. Ich geb euch zwei meiner besten Stuten. Eure Pferde wird mein Knecht wieder aufpäppeln. Er hat einen Pferdeverstand! In einer Woche tauschen wir dann.“

„Ich danke euch, Herr Wirt! So werden wir es machen!“

Und als Hannes bezahlen wollte, schüttelte der Wirt nur den Kopf: „In einer Woche, Herr! In einer Woche!“

Zu Hause empfing sie Oma Mechthild mit Tränen in den Augen. Gehofft hatte sie, dass die Verbrühungen nicht so schlimm gewesen seien. Aber als nun die Kutsche vorfuhr und kein Lieschen ausstieg, da brach sie vor Schmerz zusammen. „Ich habe schuld! Nur ich!“ Und weder Hannes noch Franziska konnten sie beruhigen.

Die Woche dauerte ewig, aber dann wurde angespannt. Lieschen winkte noch der Oma Mechthild vom Wagen. Doch Oma wirkte geistesabwesend.

In der Herberge empfing sie der Wirt freudestrahlend. „Herr, ich habe gute Nachricht! Euer Mädchen hat sich gut erholt. Schwester Agnes kam jeden Tag und berichtete uns. Wir freuen uns mit euch, Herr!“

Und so eilten Lieschen, Franzi und Hannes zum Hospital. Die Schwester öffnete und brachte die Drei ins Krankenzimmer. Noch verhüllte ein leichter Leinenverband die rechte Gesichtshälfte, aber Lotte-Liesel war ansonsten wohlauf. Und als der Arzt das Zimmer betrat, da sah er eine glückliche Familie. Er bat drum, die Lotte-Liesel noch bis morgen im Hospital zu versorgen. Morgen wolle er den Verband wechseln und dann stände wohl einer Heimfahrt nichts mehr im Wege. Und als sich die Waldners verabschieden wollten, da bat das kranke Lieschen: „Kann Liesel heut bei mir schlafen?“

Die Eltern schauten zum Arzt, der nahm Blickkontakt zur Schwester Agnes auf und nachdem diese freundlich nickte, gab er das Ja-Wort.

Auf der Heimfahrt hielten sich die Zwillinge fest aneinander. Sie flüsterten und kicherten leise, sodass ein Außenstehender meinen könnte, zwei gesunde Mädchen säßen in der Kutsche.

Kaum lenkte Hannes die Pferde auf den Hof, als auch schon der Lutz Abraham zum Hannes Waldner eilte. „Herr!“, rief er. „Eure Mutter hat gestern, nachdem ihr weggefahren seid, das Anwesen verlassen. Alle Bediensteten haben sie gesucht. Selbst in der Nacht war ich mit dem Joseph im Wald. Wir hatten Fackeln, um so euer Mutter ein Zeichen zu geben. Wir haben sie nicht gefunden!“

„Franzi, kümmere dich um die Lieschen! Ich fahre ins Dorf und hole Hilfe!“

Und schon jagte Hannes mit der Kutsche davon.

Im Dorf lenkte er die Pferde zur Kirche, stürmte ins Pfarrhaus und war hocherfreut, den alten Pfarrer anzutreffen. Mit wenigen Worten schilderte er seine Verzweiflung und bat, die Glocke läuten zu können, um die Dörfler um Hilfe beim Suchen seiner Mutter zu bitten.

Und Hannes läutete Sturm und in wenigen Minuten füllte sich die Kirche mit neugierigen Menschen, mit Alten und Jungen. Zuletzt kamen die Bauern, die auf dem Acker oder im Stalle ihrer Arbeit nachgingen.

„Hört ihr lieben Leute, hört worum ich euch bitte. Mein Lieschen hat sich das Gesicht verbrüht, meine Mutter gibt sich dafür die Schuld. Mein krankes Lieschen ist wieder zu Hause, aber meine Mutter ist verschwunden. Ich befürchte, sie wird sich etwas antun wollen. Deshalb bitte ich euch, helft beim Suchen. Der Abraham hat mit dem Joseph schon gesucht, selbst in der Nacht. Doch ...“ Hannes musste die Tränen unterdrücken. „Diesen Beutel mit Golddukaten und Silbertalern erhält der, der meine Mutter findet!“ Und Hannes hob den Beutel hoch und ließ die Münzen klappern.

„Nichts da, Hannes Waldner!“ Der alte Pastor mischte sich ein. „Die Mechthild ist eine gute Christin und ist immer für andere dagewesen. Jetzt ist es unsere verdammte Christenpflicht, die Mechthild Waldner zu finden!“ Und sich zum Hannes wendend, murrte er: „Steck deinen Beutel ein, Waldner. Wir werden deine Mutter auch ohne dein Geld suchen! Das ist unsere Pflicht! Wer gut zu Fuße ist, soll kommen. Bringt Fackeln mit, falls wir in die Nacht hinein suchen müssen. Wer mit Pferd und Wagen kommen kann, soll die zu Fuß Gehenden aufladen, damit wir die Kräfte für die Suche sparen.“ Schon wollte der Pastor sich abwenden, als er noch den Menschen zurief: „Nehmt Proviant mit! Es kann lang dauern! In einer Stund ist Abmarsch!“

Und volle drei Tage suchten die vielen Dörfler das Waldgebiet um das Anwesen ab. Man ging auf Wegen, mitten durch den Wald, in der Nacht mit Fackeln und ständig hörte man kräftige Männer- und hohe Frauenstimmen rufen: „Frau Waldner!“, „Mechthild!“

Am Tagesende des dritten Tages traf man sich in der Kirche. Hannes dankte den Menschen für ihre Hilfe. Mühsam nur fand er die Worte und jeder in der Kirche fühlte mit ihm. Bevor die Dörfler die Kirche verließen, bat der Pfarrer sie noch zum Gebet für die verschwundene Mechthild.

Die Wochen vergingen. Und eines Tages kam ein fremder Jägersmann zum Hannes Waldner. Die Kunde, die er brachte, brach die alten Wunden wieder auf. „Waldner, ich hab in meinem Forst eine Frauenleiche gefunden; nicht gut anzusehen. Die wilden Tiere ..., na Ihr wisst schon ... Ich hab ein Kleidungsstück mitgebracht, damit Ihr sagen könnt, ob es eure Frau Mutter ist.“

Es war das Schultertuch der Mutter. Hannes hatte es ihr zu ihrem letzten Geburtstag geschenkt.

An der Beerdigung nahm das gesamte Dorf teil. Zum traditionellen Leichenschmaus hatte Hannes ins Wirtshaus geladen. Und da auch Bier reichlich floss, lösten sich bei einigen Trauergästen die Stimme und man konnte hören: „Der Wald hat’s gegeben - der Wald hat’s genommen!“

Der Pfarrer, dies hörend, fauchte erbost: „Melchior, was bist du für ein großer Hornochs. Halt’s Maul und versauf nicht dein bissel Verstand! Hörst mit deinen dummen Reden nicht auf, so wirst du am Sonntag in meiner Predigt erwähnt! Also - halt’s Maul!“

Im Dorf kehrte man zum Alltagsgeschäft zurück. Und auch bei den Waldners kehrte der Alltag wieder ein. Die Wunden im Gesicht der Lotte-Liesel verheilten gut, aber die Narben blieben.

Auch begann ein neuer Lebensabschnitt für die Zwillinge - die Schule. So sehr sich die Mädchen auf die Schule, auf das Lesen, Schreiben, Rechnen gefreut haben, so begannen sie nach den ersten Schultagen die Schule zu hassen. Nicht den Lehrer, nicht das Lernen, das machte ihnen viel Freude, nein - es waren einige Mitschüler und dabei besonders einige ältere Jungens. Kaum dass einer von ihnen das vernarbte Gesicht der Lotte-Liesel gesehen hatte, schrie er: „Ein Monster! Eine Hexe!“ Und seine Kumpane stimmten ein.

Lotte weinte und weinte und kein Trost ihrer Schwester konnte ihren Kummer lindern. Als am dritten Tag die Jungen in der Pause wieder begannen, die Lotte zu beschimpfen, da suchte sich die Liesel den größten Schreihals heraus, stürzte auf ihn zu, warf ihn mit großer Wut zu Boden, setzte sich auf ihn und zerkratzte sein Gesicht. „Jetzt wirst du auch solch Narben haben wie die Lotte!“, schrie sie. Sich umsehend, bot sie auch den anderen Jungen an, ihr Gesicht zu zerkratzen, damit man viele Monster in der Schule hätte!

Liesels Wutausbruch brachte ihr die Anerkennung der Mädchen und auch so mancher Junge kam zur Lotte, gab ihr die Hand und flüsterte: „Entschuldige, wir haben’s nicht so bös gemeint!“

Die Zeit verging, die Zwillinge beendeten die Schule. Nun übernahmen die Eltern die Ausbildung. Bei der Mutter lernten sie die Haus- und Gartenarbeit. Und einmal in der Woche mussten sie dem Vater zur Hand gehen. Er lehrte ihnen die Buchführung. Kamen die Holzhändler aus dem Norden, so mussten die Mädchen zuerst nur zuhören, um dann nach einem Jahr selbst die Verhandlungen zu führen.

Warum die Eltern so drauf versessen waren, den Lieschens diese Arbeiten zu vermitteln, ergab sich aus der Gesichtsverunstaltung ihrer Lotte. Waren sie doch der Meinung, kein Mann würde sich solch verunstaltete Mädchen zur Frau nehmen wollen. Und so sollte Lotte-Liesel das Geschäft führen, wenn ihre Schwester den Mann fürs Leben gefunden hätte.

Ja - nach den Jungen schauten die Zwillinge schon lange. Auch die Jungen des Dorfes wollten zum Festtanz mit der Liesel tanzen. Doch die Lotte forderte kein Junge auf. Also schlug Liesel alle Aufforderungen zum Tanz aus und hockte brav bei ihrer Schwester. Als aber ein Junge die Lotte zum Tanz forderte, da schlug auch die Liesel keinen Bewerber mehr ab.

Die Jungs, dies mit bekommen, verabredeten jetzt, dass immer einer die Lotte zuerst zum Tanz bitten sollte. Dafür musste der, der mit der Liesel tanzte, ihm ein Bier ausgeben. Natürlich blieb der „Bier-Handel“ den Zwillingen nicht verborgen. Und so führten sie die Jungs an „der Nase“ herum. Lotte band sich ein Kopftuch so geschickt um, dass ihre Narben kaum zu sehen waren. Auch Liesel ging mit umgebundenen Kopftuch zum Tanz. Die Eltern ahnten, was die Kostümierung zu bedeuten hatten und erwarteten mit Freude die Eröffnung des Tanzes.

Und sofort stürzte ein junger Mann auf die Lieschens zu. „Lotte, möchtest du mit mir tanzen?“

„Gern“, sagte die Liesel und ging zur Tanzfläche. Der nächste Junge holte sich die Liesel, die aber die Lotte war. Lottes Kopftuch verrutschte und ihr Tanzpartner sah, dass er mit dem falschen Lieschen tanzte. Mit dieser Aktion beendete die Lieschens den „Bier-Handel“.

Mädchen, so alt wie die Zwillinge, verlobten sich bereits. Und so mancher Junge hätte liebend gern die Liesel gefragt, ob sie mit ihm gehen möchte. Aber sie befürchteten, einen Korb zu bekommen.

Aber nun kam eine Zeit, in der die Mädchen weder ans Tanzen noch an Liebschaften dachten. Ein gewaltiges Unwetter war aufgezogen. Die Eltern hatten in der Stadt Einkäufe erledigt und wurden von den Zwillingen angstvoll erwartet. Der Lutz Abraham kam zu ihnen, um zu berichten, dass der Orkan schon viele alte und gut gewachsene Bäume entwurzelt hätte. Und als die Zwillinge ihn voller Angst ansahen, meinte er nur leise: „Ich hoff, die Eltern haben Schutz gefunden. Jetzt kann keiner mehr in den Wald. Sobald der Sturm nachlässt, gehe ich ihnen entgegen.“

Der Orkan wütete die ganze Nacht. Kaum dass die Sonne aufgegangen war, gingen der Abraham mit dem Joseph den Waldweg in Richtung Stadt.

Ihnen bot sich ein grauenvoller Anblick. Der Wald war gelichtet. Der Reichtum der Waldners lag gebrochen auf dem Waldboden. Oft mussten sie über Bäume klettern, die auf den Weg gefallen waren. Und dann sahen sie die Kutsche. Eine mächtige Fichte hatte Hannes und Franziska Waldner auf dem Kutschbock erschlagen. Die Pferde waren verletzt, die Kutsche total zertrümmert.

Abraham überbrachte den Zwillingen die furchtbare Nachricht. „Ihr dürft jetzt nicht in den Wald gehen! Ich lauf zum Dorf und hole Hilfe! Allein können Joseph und ich die Eltern nicht befreien.“

Das Dorf war in heller Aufruhr. Überall lagen Dachziegel, Zäune lagen darnieder, uralte Obstbäume waren entwurzelt - ein Bild der Verwüstung.

Beim Lindenwirt erfuhren sie, dass mehrere Menschen verletzt seien, aber bisher hatte man keinen Toten gefunden. Und als Abraham dem Wirt vom Tod der Waldners berichtete, da war er sofort bereit, zu helfen. Er sprach mit einigen Bauern, die schwere Pferde ihr Eigen nannten und die man zum Rücken der Bäume verwenden konnte. Und so zog eine kleine Schar, mit Äxten und Sägen bewaffnet, zum Wald der Waldners. Als sie sich mühsam durch die gebrochenen Bäume durchgearbeiteten hatten, standen sie schweigend vor den Leichnamen. Sie nahmen ihre Mützen ab, der Bauer Friedrich vom Apfelhof fiel auf die Knie, um zu beten. Nach vielen Minuten sagte der Lindenwirt: „Solch furchtbaren Tod haben der Hannes und seine Franzi nicht verdient!“ Und er schaute zu den Dörflern: „Die Mädchen dürfen ihre Eltern so nicht sehen! Und ihr sprecht nicht drüber, es ist zu grauenvoll!“ Und die Männer nickten.

Und als die Kunde vom Tod der Eheleute Waldner sich im Dorf verbreitete, da dachte so mancher: „Der Wald hat’s gegeben - der Wald hat’s genommen!“

 

3. Die Zeit des doppelten Glücks

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Die Eltern waren beerdigt, die Mädchen allein auf dem großen Anwesen, die Knechte betrieben ihr tägliches Tagewerk. Eigentlich gäbe es keine Probleme für die Zwillinge, denn ihre Eltern hatten sie gut vorbereitet fürs Leben ohne Eltern. Wären da nicht die Forderungen nach einem Vormund, denn noch waren die Lieschen nach dem Gesetz nicht volljährig. Und darüber stritten der Gemeinderat mit dem alten Pastor. Der, obwohl nicht mehr im Amte, wollte erreichen, dass die Mädchen so, wie es ihre Eltern vorgesehen hatten, das Anwesen verwalten und die Holzgeschäfte weiter führen sollten. Andere aus dem Gemeinderat meinten, dass ein Bauer die Liesel-Lotte heiraten sollte. Denn dann gäbe es keine Forderung mehr. Er wäre ja dann automatisch der Vormund.

„Ei“, sprach da der Herr Pfarrer, „welcher Bauer käme da wohl infrage?! Na, Melchior, hast du da nicht etwa an dich gedacht? Bist zwar schon lange Witwer, aber du gehst bald aufs Altenteil, und du willst noch ein junges, hübsches Ding freien. Melchior, mit dir nimmt’s kein gutes Ende!“

Der so Gescholtene bekam einen roten Kopf und maulte: „Habt Ihr, Herr Pfarrer, etwa einen besseren Vorschlag?“

„Ja - den habe ich! Der einzige noch lebende Verwandte der Zwillinge ist der Flickschuster. Er hat damals die Franziska bei sich aufgenommen. Er wäre bestimmt auch bereit, als Vormund den Mädchen beizustehen!“

„Ach, der Flickschuster ist doch zu alt. Wie soll er die Wirtschaft beaufsichtigen? Der hat doch nur Ahnung von seiner Arbeit als Schuster!“ Der Melchior gab nicht auf. Zu sehr lockte ihn der Reichtum, den er mit einer Heirat zu gewinnen hoffte.

„Melchior, die Lieschen haben alles von ihren Eltern gelernt. Sie können allein das Holzgeschäft betreiben. Die können rechnen, kalkulieren und Verträge aufsetzen. Kannst du das, Bauer? Und glaubst du wirklich, die Liesel-Lotte wird solch alten Bock, der kaum noch hinten hochkommt, ins Ehebett lassen?!“

Grölendes Gelächter im Gemeindesaal. Der Pfarrer hatte den richtigen Ton getroffen. „Wir fragen den Flickschuster!“ Der Rat war sich einig.

Das Gespräch mit dem Flickschuster verlief positiv. Die Verhandlung führte der Pfarrer. „Johann, wir kennen uns schon so lange. Wir sind beide hier im Dorf alt geworden. Meinst, du kannst in deinem Alter noch als Vormund für die Lieschen handeln? Du bist ihr einziger entfernter Verwandter.“

„Ach Herr Pfarrer, ich hab damals ihre Mutter, die Franziska aufgenommen. Warum soll ich jetzt bei ihren Töchtern nicht auch aushelfen. Ich schaff’s schon. Bin zäh wie das Leder, dass ich mein Leben lang bearbeitet habe.“

Der Pfarrer war’s zufrieden, der Gemeinderat hatte seine Pflicht getan. Nur der Melchior knurrte - aber nur leise. Er fürchtete die Reden des Herrn Pfarrer.

Pfarrer und Flickschuster wussten, die Lieschen brauchen keinen Vormund. So war das Dokument, das der Lindenwirt im Auftrag des Gemeinderates ausstellen musste, nur ein formales Schreiben.

Immer wenn der Flickschuster die Zwillinge traf, fragte er: „Läuft der Holzhandel? Gibt es Probleme?“

Und die Antwort kannte er schon vorher. „Er läuft, Onkel Johann!“ Und zufrieden nibbelte der Flickschuster an seiner uralten Pfeife und murmelte: „Kluge Mädchen - kluge Eltern hatten sie. Schad, dass sie so früh sterben mussten.“

So vergingen die Wochen. Aufregung kam in das Waldschlösschen mit einem Wanderburschen. Mit seinem Eichenstock klopfte er an die Tür, dass man meinen könnte, er wollte dieselbe aufsprengen. Wütend öffnete Liesel-Lotte und fauchte. „Was will ...?“

Weiter kam sie nicht. „Ei, was hier für hübsche Mädchen wachsen?! Solch Schönheit im tiefen, tiefen Wald! Ja, bin ich etwa bei den guten Waldfeen gelandet. Nein, was für eine Schönheit!“ Und ehe das Lieschen irgend etwas sagen konnte, umarmte der Bursche die Liesel und wollte sie küssen. Die erwachte aus ihrer Erstarrung, gab ihm eine solch heftige Ohrfeige, dass er erschrocken von der Schwelle sprang. Die Tür fiel ins Schloss.

Doch so schnell gibt ein Wandergeselle nicht auf. Noch dazu, wo der Magen knurrt, der Geldbeutel leer ist und ein besonders hübsches Mädchen noch vor einer Minute vor ihm stand. Also hob er seinen Wanderstock und schlug und schlug und schlug - und hoffte, die Tür würde sich wieder öffnen. Aber keine Hübsche öffnete die Tür. Keine wollte seine Entschuldigung hören.

Hinter der Tür tuschelten die Lieschen. Und als der Bursche es endlich aufgab und sich aufs Weiterwandern einstellte, da öffnete die Lotte die Tür - nur einen Spalt.

„Was will Er noch?“, fragte sie.

„Ich wollt mich nur entschuldigen. Eure Schönheit hat mich so überrascht, dass ich mich hinreißen ließ, euch zu küssen! Solch schönes Mädchen hab ich noch nicht gesehen!“

„So?!“ Lotte öffnete die Tür. „So kommt und betrachte die Schönheit!“ Und Lotte drehte ihr Gesicht so, dass die alten Wunden gut zu erkennen waren.

Hatte Lotte jetzt erwartet, der Bursche würde erschrocken davonrennen, so irrte sie. „Ein schrecklicher Unfall hat euer schönes Gesicht zerstört - aber nur die eine Hälfte. Schön ward Ihr garantiert und für mich seid Ihr immer noch das hübscheste Mädchen, das ich kenne.

„Und ich? Bin ich nicht mehr die Hübscheste?“

Liesel kam aus der dunklen Flurecke hervor. Und wieder erwarteten die Mädchen, dass der Bursche erschrecken oder wenigstens sich verwundert gab. Der Wandergeselle rief nur: „O Herr! Zwei Mädchen und eins hübscher als das andere! Solch Schönheiten sieht man nicht jeden Tag!“

Seine Schmeicheleien zeigten Wirkung. „Was will Er?“, fragte Liesel und der Bursche antwortete jetzt ohne jede Anzüglichkeit: „Ich habe einen leeren Magen und einen leeren Geldbeutel. Ich wollt um Arbeit fragen und um ein Nachtlager. Das wäre mein Anliegen!“

Die Zwillinge tuschelten so leise, dass der Bursche nichts verstand. Dann sprach die Liesel: „Er bekommt einen vollen Magen, ein Nachtlager auf Stroh in der Waldkate und morgen eine Axt, um Holz zu spalten. Ein Knecht ist erkrankt.“

Ehe der Bursche sich bedanken konnte, fragte die Lotte: „He Bursche, kannst du überhaupt mit der Axt umgehen?“

Und der Bursche strahlte übers ganze Gesicht: „Ich bin ein Tischlergesell und ich liebe das Holz. Zwar nicht zum Spalten, aber zum Bearbeiten. Ich bau eine Truhe, die so fein gearbeitet ist, dass die Aussteuer darin aufbewahrt werden kann. Und wenn diese hübschen Damen noch keinen Liebsten haben, so mach ich fürs Essen und Schlafen euch zwei Truhen, die so schön sind, dass Ihr gar nicht mehr heiraten wollt.“

„Gesell, wir haben keinen Liebsten und die Truhe ...“ Liesel wurde von Lotte unterbrochen. Lotte flüsterte der Liesel ins Ohr, die lächelte und verkündete: „Gut, du baust zwei schöne Truhen für unsere Garderobe. Aber nur aus bestem Holz und so schön, dass wir sie als Bezahlung fürs Essen und Schlafen annehmen können!“

So nahm der Tischlergeselle Quartier in der Waldkate. Doch bevor er sich zum Schlafen ins Stroh betten konnte, aß er - viel und gut. Die Lieschen staunten nur, was alles im Magen eines wirklich ausgehungerten Burschen verschwinden konnte. Dabei fand er noch Zeit von seiner Wanderschaft zu erzählen und dies so voller Humor, dass das Lachen der Mädchen die Küche füllte.

Dann war der Bauch des Burschen wirklich gefüllt. „Da passt nichts mehr rein!“, verkündete er und streckte ein Bäuchlein vor. „Es hat sehr geschmeckt! Eure Köchin kann’s gut bereiten!“

„Haben keine Köchin!“, lächelte die Lotte. „Doch bevor du dich schlafen legst, sag, wie heißt du? Wie sollen wir dich rufen?“

„Ei, hab doch wirklich vergessen, mich vorzustellen. Ist ja auch kein Wunder! Eure Schönheit hat mich verwirrt! Also, ich heiße Florian Biestl. Die mich mögen, rufen mich Flori, die anderen Biestl, und die mir nicht gewogen sind, nennen mich Biest. Sucht euch aus, was zu mir passt!“ Florian Biestl feixte übers ganze Gesicht.

„Für uns bist du Biestl. Den Flori musst du dir erst noch verdienen. Wir sind die Lotte-Liesel und Liesel-Lotte Waldner. Kannst, wenn du uns brauchst, einfach Lieschen rufen. Dann wird schon eine Lieschen erscheinen.“

Und mit diesem fröhlichen Tischlergesellen begann sich das Leben auf dem Anwesen zu verändern. Drei Tage spaltete der Florian Biestl brav das Holz. Allerdings war er am vierten Tag, als sich der Joseph wieder als Gesunder zurückmeldete, recht froh darüber.

„Jetzt brauch ich eine Werkstatt, gutes Holz und die Lieschen werden staunen, was für geschickte Hände ein Florian Biestl hat.“ So sprach er zu den Mädchen und die verwiesen auf die Waldkate. „Richte dir die Werkstatt selber ein. Das Holz spalte selber. Die geschickten Hände werden wir hinterher bewundern!“ Die Lieschen lachten und Florian glaubte, sie verspotten ihn. Aber ein Biestl gibt so schnell nicht auf. Handwerkszeug hatte er in seinem großen Bündel, das reichte fürs Erste. Gute Bretter fand er unter Mithilfe vom Joseph und Abraham im Lagerschuppen - trocken und von guter Qualität. Nur eine Werkbank fehlte noch. Ohne sie wäre die Arbeit in guter Qualität nicht möglich. Mit den beiden Holzknechten Joseph und Abraham hatte Florian bereits Freundschaft geschlossen. Sie schätzten seinen Humor, seinen Fleiß bei der Arbeit und vor allem seine Hilfsbereitschaft. Denn überall, wo die vier Hände der Holzknechte nicht ausreichten, half Florian ohne zu fragen aus. Und jetzt konnten sie dem Florian helfen. Am Morgen brachte der Abraham eine Werkbank auf dem Leiterwagen mit. „Sie ist defekt, aber du kannst sie bestimmt reparieren!“

Und Florian strahlte übers ganze Gesicht. „Ja, da ist nicht viel zu machen. Das geht! Was kostet das gute Stück?“

„Lass gut sein. Hast keinen Taler in der Tasche und willst uns bezahlen! Wir nehmen nichts!“ „Halt“, rief der Joseph, „du bezahlst uns mit deinen Geschichten!“

Ja - auf die Geschichten waren die beiden Knechte versessen. Sie, die nie in die große, ferne Welt aufgebrochen sind, dürstete es nach dieser für sie so unbekannten Welt. Und Florian konnte wunderbar erzählen. Die Lieschen brachte den Knechten das Mittagsbrot zu ihrer Arbeitsstelle. Und kaum war ein Bissen in Florians Mund verschwunden, als er auch schon zu erzählen begann. „Meine Wanderschaft führte mich auch an das große Meer. Und da ich alles erproben will, so wollt ich wissen, ob ich auch als Matrose tauge. Fürs Essen und Schlafen verdingte ich mich. Die Reise ging nach Engelland. Nicht weit der Weg, aber stürmisch die See. Ich war dem Steuermann keine Hilfe. Mein Magen vertrug das Schaukeln nicht. Ich stand nur an der Reling und kotzte, und kotzte und ... ‘Nicht gegen den Wind!’, schrie ein Matrose grinsend. Als ich mich bekleckert hatte, wusste ich, was er meinte.“ So erzählte der Florian und die beiden Holzknechte hingen an seinem Mund, kein Wort wollten sie sich entgehen lassen. Auch die Lieschen blieben immer zum Mittag bei den Knechten, denn auch sie liebten die Geschichten des Florian. Allerdings hörten sie mehr, als der Abraham und der Joseph, denn das Abendbrot nahm der Florian gemeinsam mit den Zwillingen im Haus ein.

Und hier lief der Erzähler Biestl zur Meisterschaft auf. Die Mädchen starrten dem Florian wie gebannt auf den Mund. Kein Wort wollten sie sich entgehen lassen. Nur ab und zu meinte eins der Lieschen: „Ei, Flori, bist doch ein Aufschneider. Solch Wesen gibt es doch gar nicht auf dieser Welt!“

Und Florian hob dann seine rechte Hand: „Der Blitz soll mich treffen, wenn ich nicht die Wahrheit erzähle!“

Der Blitz ließ den Erzähler am Leben, und die Zwillinge erfreuten sich weiter an seinen fantastischen Erzählungen.

Die erste Truhe hatte der Florian fertiggestellt. So bat er die Lieschen zur Begutachtung in die Waldkate. Es war Spätherbst geworden und die kalte Luft besaß schon den Schneegeruch.

Die Zwillinge waren schon lange nicht mehr in der Kate gewesen. Jetzt waren sie erschrocken, wie der Florian hauste. Die Truhe spielte jetzt keine Rolle. „Ei, Flori“, rief die Lotte erschrocken aus, „warum hast du kein Feuer im Ofen?“

 „Wenn ich diesen Ofen anheize, brennt das ganze Haus! Der Kamin ist in sich gerutscht! Das kann ich nicht reparieren. Das muss ein Kaminbauer machen!“

Und als sich die Zwillinge die Schuld gaben, meinte der Florian: „Ach Lieschens, nun beschuldigt euch nicht. Ich hab nicht gefroren. Beim Arbeiten ist die Kälte willkommen, man kommt nicht ins Schwitzen. Und nachts, wenn mir kalt war, so dachte ich an meine Lieschen und mir wurde dann immer ganz warm ums Herz!“ Und Florian Biestl strahlte übers ganze Gesicht.

Die Lieschen tuschelten und Liesel verkündete: „Noch heute nimmst du Quartier im Haus. Wir haben eine kleine Kammer mit Bett, Tisch, Stuhl und Schrank. Ein kleiner Ofen kann dich im Winter wärmen. Hier holst dir ja den Tod!“

„Aber arbeiten tue ich hier! Und jetzt schaut euch meine Truhe an!“

Stolz präsentierte Florian seine Arbeit. Es war eine gute Arbeit, eines Meisters des Tischlerhandwerks würdig. „Wenn ihr wollt, so kauf ich in der Stadt noch Messingbeschläge. Auch könnt ich ein Schloss anbringen, damit meine Lieschen ihre Geheimnisse verschließen können.“

„Beschläge bring an, nur zur Zierde. Ein Schloss brauchen wir nicht, denn wir haben keine Geheimnisse voreinander!“ Lotte-Liesel sprach’s recht energisch und Liesel-Lotte stimmte zu.

Als Florian nach dem Abendbrot sein neues Nachtlager aufsuchte, da staunte er nicht schlecht. Ein kleines Zimmer war liebevoll eingerichtet: Das Federbett war frisch bezogen, eine Tischdecke auf dem Tisch und drauf eine Vase mit Herbstblumen, das Fenster zierte eine bunte Gardine. Und im kleinen Ofen brannte knisternd ein Feuer.

Florian sich umschauend, erstrahlte. „Ach Lieschens, so habe ich schon sehr, sehr lange nicht mehr geschlafen!“ Und er rannte hinunter in die Küche, um sich bei den Hausherrinnen zu bedanken. Und die erwischte er in ihren weißen, weiten Nachthemden.

„Flori, was willst? Ist was nicht in Ordnung?“

„Ei, ihr Schönen! Bedanken wollt ich mich! So schön habt ihr die Kammer gemacht, so schön hab ich zuletzt geschlafen, als ich noch ein Kind war. Ich versprech’s, heute Nacht träum ich nur von euch. Ich werde euch küssen und kosen, euch in den Armen halten und Gott danken, dass er mich zu euch geführt hat.“

Und damit die Lieschen wissen, was ein Florian zu träumen gedenkt, küsste er zuerst die Lotte, um gleich darauf die Liesel in den Arm zu nehmen und ihr Gesicht mit Küssen zu bedecken.

Und mit einem fröhlichen „Gute Nacht, meine Schönen!“ verschwand Florian aus der Küche.

Zurück ließ er leicht verwirrte Lieschens. „Ach Flori“, hauchte Liesel und Lotte nahm ihre Schwester in den Arm und flüsterte: „Der liebe Gott hat uns den Flori geschickt! Es war der liebe Gott!“ Und Liesel-Lotte nickte nur.

Ja - der Florian wähnte sich im Himmelreich. Die Arbeit bereitete ihm große Freude, wusste er doch, dass seine Arbeit von den Lieschen anerkannt wurde. Der Gedanke, dass er nach der zweiten fertiggestellten Truhe wieder auf der Straße als Wandergeselle landen würde, kam ihm gar nicht in den Sinn. Er wähnte sich so im Glück, dass er an ein solch mögliches Unglück nicht denken mochte.

Auch die Lieschen sprachen oft über den Flori. Auch sie dachten nicht daran, dass der Tischlergesell Florian Biestl sie verlassen könnte. Sie - beide Lieschen - hatten sich in den Flori verliebt. Sie hofften, ihr Angebeteter würde ihre Zuneigung erkennen und einem Lieschen den Antrag machen, aber ein Florian übersah wohl die vielen kleinen Aufmerksamkeiten und die liebevollen Blicke der Lieschen.

Das Weihnachtsfest wurde in diesem Jahr als großes Fest gefeiert. Am Nachmittag kamen der Abraham und der Joseph mit ihren Frauen und Kindern zur Bescherung. Jedes kleine Kind bekam ein Spielzeug, dass der Florian aus Holz geschnitzt hatte. Die Holzknechte und ihre Frauen bekamen nützliches, welches die Lieschen in der Stadt bei verschiedenen Krämern gekauft hatten. Nur die Lieschen und der Florian blieben ohne Geschenke. Die erhielten sie am Abend. Florian erhielt eine wunderschöne Tabakspfeife mit einem Beutel aromatisch duftendem Tabak. Die Lieschen erhielten ihre beiden Truhen, die Florian mit ihrem Namen versehen hatte. Und so standen „Lotte“ und „Liesel“ unterm festlich geschmückten Tannenbaum.

Das Weihnachtsessen wurde mit einem guten Wein, den der Großvater Hannes Waldner einst erworben hatte, abgeschlossen.

„Ach Lieschens, wenn ihr wüsst, wie ich die letzten Weihnachten verbracht habe, dann wüsstet ihr, dass ich sagen muss: Es war der schönste Weihnachtsabend seid meiner Kindheit. Habt Dank, ihr Guten!“ Und Flori küsste die Lieschens und trollte sich ins Bett.

Doch Schlaf sollte Florian in dieser Nacht nicht finden. kaum dass er sich ins Bett einrollte, öffnete sich die Tür und ein Lieschen schlüpfte ins Zimmer. Sie schob die Bettdecke beiseite und kuschelte sich an Florian. Und das Lieschen flüsterte: „Ich lieb dich Flori! Magst mich auch ein bissel?“

Und Florian: „Ach Lieschen, ich lieb dich vom ersten Tage an!“

Als das Lieschen am Morgen die Kammer verließ, fragte Flori noch: „Kommst morgen wieder?“

Und das Lieschen: „Mal sehen ... Bestimmt!“

Beim Frühstück flüsterte die Liesel dem Flori ins Ohr: „Es war schön, die Nacht!“

Und Florian dankte es mit seinem riesengroßen Appetit.

Die Fahrt ins Dorf zum Weihnachtsgottesdienst war eine Fahrt mit dem Kutschschlitten. Florian hatte ihn in einer mit Brettern zugestellten Ecke im Lagerschuppen gefunden. Mit Hilfe der Knechte brachte er den Schlitten wieder in Ordnung, wechselte defektes Geschirr aus, putzte alle Messingbeschläge und nun freute er sich über das fröhliche Lachen der Lieschen, als er vor dem Waldschlösschen vorfuhr und die Lieschen zur Fahrt ins Dorf einlud.

„Zuletzt fuhren wir mit Oma und Opa, mit Mama und Papa!“, rief Lotte und Liesel: „Da sind wir alle auch zum Weihnachtsgottesdienst ins Dorf gefahren!“

Und so schön der Feiertag begann, so schön endete er auch.

Kaum dass Florian im Bett lag, huschte eine zierliche Gestalt zu ihm ins Bett. „Ich bin gekommen, mein Flori!“ Und Florian: „Ich hab dich schon erwartet, mein Lieschen.“ Und er strich dem Lieschen übers Gesicht und er wusste, dass die Lotte neben ihm lag.

Am Frühstückstisch flüsterte die Lotte dem Florian ins Ohr: „Es war schön, die Nacht!“

Und Florian dankte es mit seinem riesengroßen Appetit.

Die heißen Liebesnächte blieben nicht ohne Folgen. Zuerst tuschelten die Lieschen nur miteinander, dann gab es eindeutige Hinweise, die ein Florian zu verstehen hatte, aber natürlich nicht verstand. Dann stellte sich die Liesel vor dem Flori auf und verkündete ohne Umschweife: „Flori, du wirst Vater!“ Und Flori schaute verdutzt, leicht bestürzt, dann dämlich grinsend, um dann in ein ohrenbetäubendes Geschrei auszubrechen. „Ich werde Vater!“

Und ehe er das Lieschen fragen konnte, meldete sich Lotte: „Flori, du wirst Vater!“

Noch dämlicher kann ein Florian nicht aussehen. Auch blieb ihm die Sprache weg. Stammelnd: „Vater - Vater von Zwillingen?!“ Er schüttelt den Kopf: „Vater von zwei Kindern meiner Zwillinge!“

Endlich hatte Florian alles in die richtige Reihe gebracht. Und: „Jetzt müssen wir heiraten!“

„Flori, du kannst nicht zwei Frauen ehelichen. Das ist nicht Gott gewollt!“

„Ich lieb euch aber beide! Ich will euch beide!“

„Sollst du bekommen, Flori!“, lachte die Liesel. „Wir regeln das unter Zwillingen. Und die Lieschen regelten es. Sie suchten den alten Pfarrer auf und baten ihn, ihre Hochzeit durchzuführen.

„Wie, ihr beide wollt heiraten?“, fragte er sehr verwundert. „Beide den Florian Biestl?“

„Nein, nur die Liesel heiratet den Florian. Ich bin ihre Brautjungfer und da es keinen Vater mehr gibt, führe ich meine Liesel dem Ehemann zu. Das müsste doch gehen, Herr Pfarrer?“

„Aber ja, aber ja! Wir können es so machen. Und wann?“

Liesel: „So schnell wie möglich!“ Und lächelnd fügte Lotte hinzu: „Sie ist in den besonderen glücklichen Umständen!“

Und der Herr Pfarrer nickte verständnisvoll und dachte bei sich: „Ich hab als junger Pfarrer den Hannes und die Mechthild vermählt, dann den jungen Hannes und seine Franziska und nun kann ich als Alter auch noch die Liesel unter die Haube bringen. Wahrlich, das können nicht viele Geistliche von sich behaupten.“ Und laut sagte er: „Die Taufe übernehm ich auch!“

Bereits am selben Tag verkündete ein Aushang, dass die Liesel-Lotte Waldner den Tischlergesellen Florian Biestl zu ehelichen gedenkt. Auch am selben Tag besuchten die Lieschen den Flickschuster. Er lebte allein, denn seine Frau und drei seiner Kinder hatte bereits der Tod geholt. Jetzt kümmerte sich die älteste Tochter und eine Enkelin um den Alten.

„Onkel Johann“, sprach die Liesel, „jetzt befreien wir dich von der Last der Vormundschaft! Onkel, ich werde den Florian heiraten!“

„Ja, ich wusste es. Sein Blick verriet mir, dass er meine Zwillinge mag. Und fürs Liesel hat er sich entschieden. Ei Lotte, dein Glück wird auch nicht mehr weit sein. Und auf euren Hochzeiten will ich auch mit euch noch ein Tänzchen wagen!“

So sprach der Alte, und die Lieschen fragten sich, ob er gar etwas ahnen würde.

Vier Wochen hatten jetzt die Lieschen für ihre Hochzeitsvorbereitungen. Ein Schneider wurde in der Stadt aufgesucht und musste zwei Kleider nähen - ein weißes für die Braut und ein zartblaues für die Brautjungfer. Der Lindenwirt sollte im großen Saal das Festmahl und den Tanz richten. Hochzeitseinladungen wurden nicht geschrieben, denn wenn jemand heiratet, feiert die ganze Kirchengemeinde.

Nur Florian hatte nichts zu tun. Halt - einmal musste er in die Stadt, auch zum Schneider, und der nahm Maß für einen Hochzeitsfrack. Und da er noch eine lange Liste fürs Einkaufen bekommen hatte, suchte er den Krämer auf. Während der die Sachen zusammenstellte, betrachtete der Florian das ausgestellte Kinderspielzeug. „Viel bietet ihr nicht für die Kinder zum Spielen.“ Florian schaute den Krämer an. Und der antwortete: „Kann nur verkaufen, was man mir zum Kauf anbietet und das ist nicht viel.“

„Sagt“, fragte der Florian, „ich hab zu Weihnachten für die kleinen Kinder des Abraham und des Joseph Kinderspielzeug geschnitzt. Könnt ich euch solches bringen und Ihr verkauft es für mich? Möchtet Ihr?“

Und Florian schaffte bis spät in den Abend hinein in seiner Werkstatt. Dann lud er die vielen Steckenpferde, den kleinen Kinderwagen, zwei Schaukelpferde, Rasseln und Klappern in die Kutsche und fuhr zum Krämer. Der begutachtete die Spielzeuge und meinte: „Herr Biestl, die werde ich sehr schnell los. Könnt ihr noch mehr schaffen?“

Und Biestl konnte und wollte. Doch zuerst ging er zum Juwelier und suchte zwei wunderschöne Hochzeitsringe aus. Und dazu bestellte er noch einen dritten, der ähnlich aussah und doch anders gearbeitet war.

Zufrieden vergrub sich der Florian in seine Arbeit, sodass die Lieschen schon meinten, ihr Liebster würde sie meiden.

Und dann endlich war der Hochzeitstag da. Abraham und Joseph fuhren die Kutsche vor. Beide hatten ihre Sonntagsanzüge an, einen Zylinder auf dem Kopf und schauten sehr herrschaftlich von ihrem Kutschbock herunter. Die Lieschen sahen wunderschön in ihren Kleidern aus. Der Florian konnte seinen Blick von seinen Lieschen nicht lassen. Er selber saß im Hochzeitsfrack stocksteif in der Kutsche und wusste nicht, wie er sich bewegen sollte. Auch sein Zylinder war ein Hindernis. Beugte er sich zur Lotte vor, so bekam sein Liesel den Kopfschmuck ins Gesicht. Also fuhr er mit wehenden Haaren zur Kirche. Dann allerdings schmückte der Zylinder wieder seinen Kopf. Der Herr Pfarrer erteilte noch schnell einige Instruktionen, und schob dann den Florian durch die große Kirchentür.

Florian musste sich am Altar neben den Pfarrer stellen. Nun erklang die Orgel und die Lieschen schritten den langen Gang zum Altar. Die Kirchengemeinde hatte sich erhoben; der Florian war mächtig gerührt, wie er seine Lieschen so zu ihm gehen sah.

Die Hochzeitszeremonie verlief allerdings etwas anders, als es in der Kirche üblich war. Als nämlich der Pfarrer fragte: „Lieschen, vor Gott, dem Allwissenden, und in Gegenwart dieser Zeugen, frage ich dich: Willst Du Florian Biestl als deinen Ehemann aus Gottes Hand nehmen, ihn lieben und ehren, in Freud und Leid nicht verlassen und den Bund der Ehe mit ihm heilig und unverbrüchlich halten, bis der Tod euch scheidet? So sprich: ‘Ja, ich will’!“

Und die Liesel sprach laut und deutlich: „Ja, ich will!“ Und ihre Schwester flüsterte: „Ja, ich will!“

Der Pfarrer hörte zwar das Flüstern, aber verstanden hat er die Worte nicht. Der Florian küsste die Liesel und Lotte küsste ihre Schwester und den Florian. Auch die Zeremonie mit dem Ring verlief etwas anders, als es die Kirchengemeinde gewohnt war. Zwar steckte der Bräutigam der Liesel den Ring auf den Finger und die Liesel dem Florian, doch nahm der Florian einen weiteren Ring aus der Fracktasche und steckte der Lotte einen Ring an den Finger.

Die Dörfler verwunderten sich zuerst darüber, aber dann sagten sie sich, die Zwillinge taten immer alles gemeinsam in ihrem bisherigen Leben. Immer waren sie unzertrennlich und an solch einem besonderen Tag im Leben der Liesel, da nimmt die Zwillingsschwester auch besonderen Anteil, und das muss auch der Bräutigam berücksichtigen.

Beim Tanz floss viel Bier. So mancher hatte schon am frühen Abend Schwierigkeiten, sich auf den Beinen zu halten. Der Bauer Melchior stand zwar noch einigermaßen gerade auf seinen alten, krummen Beinen, aber sein „Geist war getrübt“. So sagte man im Dorf für einen schwer Angeheiterten. Er drängte sich zum Florian vor und hob seinen Humpen. „Biestl, wünsch dir viel Glück in deiner Ehe, aber bedenke die Worte: ’Der Wald hat’s gegeben - der Wald hat’s genommen!’ Alle Waldners endeten tragisch. Gestorben durch ihren Wald!“

„Hab Dank, Melchior für deine Wünsche. Aber ich bin der Biestl und da geht der Spruch so: ‘Der Wald hat’s gegeben - der Biestl hat’s genommen: das doppelte Glück!’“

Und da viele der Dörfler den Reden der Beiden zuhörten, so machte bald der Spruch ‘Der Biestl hat’s genommen: das doppelte Glück!’ die Runde. Und einig war man sich, dass für den Biestl der Reichtum des Waldes und die Ehe mit der schönen Liesel das doppelte Glück bedeuten würden.

Nach der Hochzeit trübte kein Ereignis die Freuden der kleinen Familie. Florian baute gleich mehrere Wiegen, wählte die beiden schönsten für seine Kinder aus. Drei der Wiegen kaufte ihm sofort der Händler ab. Und der hatte auch sogleich eine gute Nachricht für den Tischler Florian. Sein Vetter betrieb ebenfalls ein kleines Geschäft in der großen Residenzstadt. Er habe das Spielzeug des Herrn Biestl gesehen und wollte es ebenfalls für seine Kunden dem Herrn Tischlermeister Biestl abkaufen.

Der Florian fühlte sich geehrt, wenn es auch einen Herrn Tischlermeister noch nicht gab. Aber das wollte der Florian noch vor der Geburt seiner Kinder nachholen. Und so begab er sich zum Zunftmeister und legte ihm sein Anliegen vor, Mitglied der Zunft der Tischler zu werden und seinen Meisterbrief zu erwerben. Doch der Zunftmeister zögerte und berief sich auf die Satzung und der Biestl sei ja auch kein Bürger der Stadt, und dann wären auch noch ...

„Wisst ihr, Herr Meister, ich lade die Meister eurer Zunft zu mir in das Waldschlösschen ein. Dort könnt ihr euch von der Qualität meiner Arbeit überzeugen, Einblick nehmen in mein Wanderbuch und die Meinung anderer Meister zur Arbeit eines Biestl lesen. Ich lad alle Meister in 3 Wochen ins Waldschlösschen ein. Überzeugt euch!“

Der Zunftmeister gab die Zusage, wenn auch widerstrebend. Aber er wusste, solch reichen Waldbesitzer durften sich die Herrn Tischlermeister nicht zum Feinde machen.

Die Lieschen „fielen aus allen Wolken“.

„Flori, in drei Wochen? Hätt’s damit nicht noch bis nach der Geburt der Kinder warten können?“

„Lieschen, im Taufschein soll stehen: Vater ist der Herr Tischlermeister Florian Biestl!“ Und die Lieschen verstanden jetzt den Flori. Und so betrieb man die Vorbereitung für ein Festessen mit den Herren Meister des Tischlerhandwerks. Auch Flori hatte zu tun. Seine Werkstatt hatte er zwar schon längst komplett eingerichtet, nur der Kamin war noch nicht repariert. Und so kam der Kaminbauer und musste in wenigen Tagen den Kamin neu aufsetzen. Zwar schimpfte er über die Zeitnot, aber der gute Endpreis, den der Biestl bezahlen wollte, der war aber auch zu verlockend.

Der Tag konnte kommen und die Herren Meister erschienen sogar vollzählig zum festlichen Essen. Florian zeigte ihnen die Truhen, die Wiegen, legte sein Wanderbuch vor und nach diesen ersten Einblicken verkündete Florian: „Ihr Herren Meister, meine Ehefrau führt gemeinsam mit ihrer Schwester die Geschäfte des Holzverkaufes. Ich bin kein Holzfäller, kann es auch nicht gut mit Verträgen, aber ich liebe das Holz und wenn meine beiden Hände übers Holz streichen, dann wollen sie es bearbeiten. Deswegen betreiben meine Frau und meine Schwägerin den Holzhandel allein und ich möcht als Meister einen Gesellen aufnehmen, einen Lehrling ausbilden und möcht, dass mein Kind oder meine Kinder stolz auf ihren Vater sein könnte. Ihr müsst wissen, dass meine Frau in glücklichen Umständen ist und da sie selber ein Zwilling ist, kann es sein, dass ich Vater von Zwillingen werden könnt. So meine Herren, jetzt möcht ich euch meine Frau und meine Schwägerin vorstellen.“ Und Florian öffnete die Tür und die Lieschen traten ein. Während man schon bei der Liesel leichte Runden feststellen konnte, versteckte Lotte diese geschickt hinter einer großen Schürze und ihre verunstaltete Gesichtshälfte hinter einem Häubchen.

Abraham und Joseph spielten die Diener, ihre Frauen wirkten in der Küche. Das Festessen wurde zu einem Genuss für die Herren Meister. Und nachdem der Biestl ihnen nach dem Mittagsmahl seine Werkstatt zeigte, und er davon sprach, dass er die Waldkate ausbauen wollte, sodass ein Geselle mit seiner Familie einziehen konnte, da nickten die Herren zustimmend mit den Köpfen.

„Kommt zu mir in einer Woche, Herr Biestl“, sprach der Meister zum Abschied. „Ich glaub, Sie haben die ehrwürdigen Meister der Tischlerzunft überzeugt.“

Auch die Lieschen bereiteten sich auf die Zukunft vor. Sie suchten die Hebamme in der Stadt auf und baten, die Hebamme möchte sie einweihen in die Geburt. Da sie so weit abgelegen wohnten, wollten sie wissen, was zu tun sei, welche Vorbereitungen zu treffen sind, wie die Geburt verlaufen muss und wie das Kind abzunabeln sei und ...

Die Hebamme schaute zu den Lieschen. Während die Liesel ihre Kleidung so wählte, dass man ihre Schwangerschaft sah, versteckte Lotte ihren Babybauch unter weiten Kleidern.

So sprach die Hebamme: „Frau Biestl Ihr habt noch mindestens acht Wochen Zeit. Ich werde euch gerne helfen, dass Ihr euer Kind mit Gottes und meiner Hilfe zur Welt bringt. Ich erzähl es euch jetzt und bestimmt kann ich euch in wenigen Tagen eine Geburt zeigen. Die Frau Meyerich bekommt ihr sechstes Kind. Sie hat bestimmt nichts dagegen, wenn andere Frauen die Geburt beobachten.“ So sprach die Hebamme und gab den Lieschen noch viele Hinweise, was noch anzuschaffen sei, was selbst zu nähen oder zu stricken sei, was ...

Die Lieschen dankten es ihr mit mehreren Talern, die die Hebamme erfreut annahm. Und die Lieschen brauchten nicht lange warten, denn schon am dritten Tag kam ein Bote geritten, der eine Mitteilung der Hebamme verkündete: „Ich soll der Frau Biestl sagen, sie möchte kommen. Heut oder morgen, spätestens übermorgen sei es so weit.“

So fuhren die Lieschen mit dem Florian in die Stadt. Sie nahmen Quartier in der Herberge, in der einst ihre Eltern nächtigten. Der alte Wirt schaute immer wieder die beiden jungen Frauen an.

„Verzeiht meine Neugier, Ihr Damen. Kann es sein, dass eure Eltern Waldner hießen?“ Und als die Lieschen bejahten, da begann der Wirt zu erzählen.

Der Florian unterbrach ihn: „Herr Wirt, meine Frau und meine Schwägerin möchten jetzt ihre Besorgungen machen. Auch ich habe zu tun. Aber heute Abend, nach einem guten Abendmahl, werde ich mit euch einen guten Wein trinken und ich bin sehr neugierig auf eure Erzählung.“ So sprach der Florian und der Wirt dienerte: „Gern, mein Herr! Gern!“

Die Lieschen eilten zur Hebamme. Dort erfuhren sie, dass noch heute, vielleicht in der Nacht, aber bestimmt morgen mit der Geburt zu rechnen sei.

Auch Florian hatte es eilig, wollte er doch zum Meister der Tischlerzunft, um zu erfahren, was die Meister beschlossen hätten. Zufrieden hörte er: „Herr Biestl, Ihr habt die Meister mit euren Arbeiten überzeugt. Wir haben beschlossen, dass in zwei Wochen die ‘Meisterfeier’ angesetzt wird. Was Ihr dargelegt habet, hat uns sehr gefreut. Wissen müsst Ihr, dass die Feier von euch zu bezahlen sei. Auch die Vorbereitungen dazu lasten auf euren Schultern. Der Wirt ‘Zur goldenen Rose’ wird es für euch bereiten, so Ihr mit ihm sprechen wollt. Dort werden wir euch in einer feierlichen Zeremonie den Meisterbrief überreichen.“ Der Florian nickte zustimmend. Doch bevor er sich bedanken konnte, sprach der Meister: „Der Brief ist schon ausgefertigt! Schaut Herr Meister Biestl!“ Und nahm eine große Papierrolle, entfaltete sie und Florian konnte lesen: Meisterbrief.

Als am Abend der Florian noch mit dem Wirt die versprochene Flasche Wein leerte und er der Erzählung des Wirtes lauschte, wurde heftig an die Tür geklopft. Davor stand atemlos ein halbwüchsiger Junge, der immer und immer wieder ausrief: „Es geht los! Es geht los!“

Florian fragte: „Wie weit ist es zu euch?“ Und der Junge: „Nur zwei Straßen weiter, in der kleinen Gass!“ Und Florian: „Warte! Ich hol die Frauen!“

Florian rief die Lieschen, die sofort ganz aufgeregt in den Wirtsraum kamen. Vom Herbergswirt ließ sich Florian noch zwei Flaschen Wein geben. „Von den guten, den wir soeben genossen haben!“ Und als der Wirt auf die halbvolle Flasche verwies, sagte Florian: „Trinkt ihn auf mein Wohl. Es kann spät werden, heute Nacht. Solltet ihr noch auf sein, so werden wir uns noch einen guten Nachttrunk genehmigen. Und auch fehlt mir das Ende eurer Erzählung!“

Es wurde eine sehr lange Nacht. Und als seine Lieschen zu Bette gegangen waren, da begab sich der Florian hinunter in den Wirtsraum. Der Herbergswirt hatte wahrlich auf den Herrn Biestl gewartet.

Nur noch einmal gab es große Aufregung, als der Florian seinen Meisterbrief erhielt. Neugierig waren die Herren Tischlermeister, was denn der Meister Biestl seinen Kunden für Arbeiten anbieten wolle. So weit draußen, meinten sie, wäre es doch schlecht mit der Kundschaft bestellt. Und als sie hörten, dass ihr neuer Meister hauptsächlich feines Holzspielzeug herstellen wolle, da waren sie es zufrieden. Dieser Meister Biestl war keine Konkurrenz für ihr Geschäft.

Die Zeit bis zur Geburt verging schneller, als es den Lieschen lieb wäre. Bald konnte Lotte ihre Schwangerschaft nicht mehr unter weiten Röcken und Schürzen verstecken. So zeigte sie sich nicht mehr den Holzknechten, auch Liesel bemühte sich, nur noch den wichtigsten Kontakt zu den Knechten zu halten. Alles andere übernahm Florian.

Und dann ging alles so schnell, dass der Florian nicht mehr vor lauter Aufregung aus dem Schwitzen heraus kam.

„Flori, es ist so weit!“, rief die Lotte und Flori stürzte in die Küche, schürte das Feuer, setzte den Wassertopf auf und wartete, und wartete!

Dann rief ihn die Lotte und legte ihm ein Mädchen in den Arm. „Deine Tochter, Flori! Unserer Liesel geht es gut. Du kannst bald zu ihr. Noch ist sie sehr erschöpft!“ Und Florian starrte auf das kleine Bündel in seinem Arm und wagte nicht, sich zu bewegen. So stand er die ganze Zeit und betrachtete seine Tochter.

Dann endlich kam Lotte und holte den Florian ins Zimmer. Liesel lag mit einem glücklichen Lächeln im Bett und Florian legte ihr ihre Tochter in den Arm.

„Flori“, sagte sie, „Lotte und ich möchten unser Mädchen nach unserer Großmutter Mechthild nennen. Bist du damit einverstanden?“ Florian nickte nur, wusste er doch vom tragischen Ende der Großmutter.

Und jetzt wurde Lotte sehr energisch. „Flori, du musst jetzt gehen. Liesel muss ganz schnell auf die Beine kommen. Wenn ich mich nicht verzählt habe, bin ich in zehn Tagen so weit.“

Und jetzt musste Florian die Wirtschaft allein bewältigen. Die Knechte schickte er zum Holzeinschlag in die Berge, bat drum, dass sie ihr Mittagsmahl von zu Hause mitbringen möchten. Er wolle ihnen den Mehraufwand in Geld ersetzen. Aber jetzt sei nur noch Aufregung im Haus, denn bald müsse es zur Geburt kommen.

So hörte keiner das kräftige Geschrei der kleinen Mechthild. Wenn Florian es hörte, so murmelte er: „Ei ja, mein kleines Mädchen!“

Und keine zwölf Tage später wiederholte sich alles. Nur dass jetzt ein kleiner Junge im Arm des Florian lag und die Lotte ihn fragte: „Flori, hast was dagegen, wenn wir den Jungen nach dem Großvater und dem Vater Hannes nennen?“ Was sollte Florian dagegen haben. Solch einen glücklichen Florian hatte es noch nie gegeben.

Die Taufe nahm der alte Pfarrer vor und es freute ihn sehr, dass die Namen der Mechthild und des Hannes in den Kindern weiterleben sollen. „Das nächste Mädchen nennst du Franziska und einen Bub Florian. Ja, so könnt es gehen. Es sei denn, die Lotte findet einen guten Mann, der sie so lieb hat, wie du den Biestl lieb hast. Es würde mich freuen.“

„Ach Herr Pfarrer, wir sind doch auch so eine sehr glückliche Familie!“

„Ja, mein Lieschen, Glück ist etwas, was man nicht kaufen kann! Glücklich sein kommt ganz von innen! So hat es Gott gewollt!“

„Ja, Herr Pfarrer! Wir glauben auch, es ist gottgewollt. Und so wollen wir es belassen!“ Die Lotte antworte für sie alle.

Und Liesel und Florian nickten nur sehr ernsthaft zur klugen Rede der Lotte.

Und auf dem Taufschein stand, dass die Zwillinge Mechthild Biestl am 23. September und Hannes Biestl am 24. September als Kinder der Eheleute des Herrn Tischlermeister Florian Biestl und seiner Ehefrau Liesel-Lotte Biestl, geb. Waldner geboren sind.