Christopher, der Knecht

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Christopher, der Knecht

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von Joachim Größer (2019)

 

Niemand wusste, woher er kam, der junge Mann, der sich Christopher nannte. Im Dorfkrug tauchte er in der Abendzeit auf, zerlumpt, mit wirren strohblonden Haaren und blauen Augen, die mit dem Blau eines Sees konkurrieren konnten. Diese Haare und diese Augen waren das Besondere an diesem Christopher.

„Ich such Arbeit“, sprach er zum Wirt. Der erwiderte: „Was kannst du, wer bist du?“

„Ich kann alles, ich mach alles und geheißen haben mich meine Eltern Christopher, Herr!“

Der Wirt, der zugleich der Dorfvorsteher war, schaute zu seinen Gästen im Wirtshaus und fragte: „Der Krischan wird wohl bald zum Herrgott gerufen. Wir brauchen einen neuen Knecht für unsere Gemeinde. Wollen wir diesen Burschen nehmen?“

Die Bauern nickten und nibbelten weiter an ihrer Feierabendpfeife. „Mach den Vertrag, Johann!“ Es war der älteste Bauer, der dies sprach.

Und so wurde der Christopher unter Vertrag genommen. „Essen und Schlafen ist umsonst, zu Ostern bekommst’ neue Sachen, zu Weihnachten 10 Groschen - dein Jahreslohn. Schlag ein, Christopher!“

Und Christopher schlug ein. Besser konnte ein Vertrag in diesen schweren Zeiten nicht ausgehandelt werden.

So hatte der Christopher ein Lager aus Stroh, täglich zwei Mahlzeiten und eine Arbeit, die ihn nicht besonders müde machte. Im Sommer musste er das Vieh der Bauern auf der Allmende weiden, im Winter Holz im Gemeindewald einschlagen und musste ansonsten auf Abruf für Arbeiten zur Verfügung stehen.

Mitten im Gemeindewald stand eine halb verfallene Hütte. Sie bestand zwar nur aus einem Raum, hatte aber noch Fenster und eine halb kaputte Tür.

„Herr Dorfvorsteher“, sagte der Christopher zum Wirt, „ich möcht mir die Waldhütte als Wohnung herrichten. Seid ihr einverstanden. Ihr habt dann eure Schlafkammer wieder zur Nutzung.“

Der Wirt, der mit der Arbeit und dem Verhalten des Fremden recht zufrieden war, nickte nur. Dann nach mehreren kräftigen Zügen aus seiner langen Tabakspfeife meinte er: „Ja, richt sie her! Wenn keiner drin wohnt, wohnen bald nur Eichkater und Wildschweine drin.“

Und die Bauern, die ihr Feierabendbier schlürften, nickten zu den Worten.

Trotzdem Christopher nun schon ein Jahr im Dorf lebte, galt er als Fremder. Schon sein Äußeres hob ihn von den Dorfbewohnern ab. Keiner von den Einheimischen hatte solch strohblondes Haar und keiner hatte solch klare tiefblauen Augen wie der Christopher.

Aber bald war der Name des Christopher in aller Munde. Fuhr doch eines Tages eine herrschaftliche Kutsche vor das Wirtshaus. Es war Abend und der Schankraum war mit Bier schlürfenden Bauern gut gefüllt. Eine herausgeputzte Dame betrat den Wirtsraum und redete auf den Wirt in einer Sprache ein, die der sowie die Bauern noch nie gehört hatten.

Ärgerlich wiederholte sie ihre Worte und blickte mit zornigen Augen um sich.

„Herr Wirt, die Dame fragt nach einem Zimmer für die Nacht.“

Der das sagte, war der Christopher und er sagte noch: „Die Dame spricht Italienisch!“

„Du sprichst Italienisch?!“, erwiderte verwundert der Wirt.

„Nur ein wenig, aber es reicht, um mich verständlich zu machen.“

„So sag der Frau, es gibt nur ein Gästezimmer direkt über dem Schankraum. Das kann sie haben,“

Und der Christopher sprach zu der Frau auf Italienisch und die Frau verwunderte sich, dass dieser Bursche mit dem wirren Haar und den tiefblauen Augen ihr in ihrer Muttersprache Antwort gab. Und ihre Verwunderung war so groß, dass sie auf Französisch dem Christopher bat, die beiden Koffer ins Zimmer zu tragen. „Avec plaisir!“, antwortete ihr der Christopher.

„Was ist das für eine Sprach?“, fragte der Wirt den Christopher leise. „Französisch, Herr Wirt. Madam spricht auch Französisch.“

„Und du auch?!“

„Nur ein wenig! Nur ein wenig!“ Christopher verschwand nach draußen und kam mit zwei großen Koffern wieder. Er trug sie unter größter Anstrengung die Stiege hinauf und erschien mit Schweißtropfen auf der Stirn im Schankraum. Er bat um ein kleines Bier, das ihm sofort gefüllt wurde.

Alle anwesenden Bauern stierten auf ihren Gemeindeknecht und erwarteten eine Erklärung, die der sofort abgab: „Die fremde Dame ist eine Komtess aus Italien und ist auf dem Weg zu ihrem Verlobten.“

„Christopher, was ist eine Komtess?“, fragte Bauer Gustav vom Heidehof. „Noch nie was von einer Komtess gehört.“

„Sie ist eine Gräfin, noch unverheiratet.“ Die Antwort verblüffte die Bauern.

„Und die hält hier in unserem Dorf?!“ Der Heidehofbauer schüttelte verwundert den Kopf.

„Die Komtess hat mir berichtet, dass die Kutsche einen Schaden hat. Der Kutscher ist schon auf dem Weg zur Schmiede. Er wird dann im Kutschraum schlafen!“

„Was, er ist zur Schmiede gefahren?“ Albert, der Schmied sprang von seinem Stuhle hoch. „Ich muss los!“

Die Bauern grinsten und nibbelten weiter an ihrer Feierabendpfeife.

Christopher bat den Wirt um ein feines Abendbrot und einem Glas Rotwein. Der Wirt schrie nach seiner Frau und als sie den Schankraum betrat, befahl er: „Marie, richte das Abendbrot für eine Gräfin!“

„Wie soll das aussehen?“, fragte sie. „Für eine Gräfin?!“

„Mach schon!“, knurrte der Wirt. „Mach!“

Die Zeit, um ein Abendbrot zu erstellen, nutzte der Wirt, um dem Gemeindeknecht Fragen zu stellen.

„Sag, Christopher, wieso kannst du welsche Sprachen? Bist gar ein Gelehrter?“ Erzähl nur - wir wollen es wissen.“

„Ach Herr Wirt, da gibt es nicht viel zu erzählen. Als ganz junger Bursch bin ich in den Dienst des großen Friedrich getreten. Ich habe für ihn gekämpft, bin mehrfach verwundet worden und taugte dann nicht mehr für den Krieg. Da der Preußenkönig bald nicht mehr genug Soldaten hatte, wurde ich nicht aus dem Kriegsdienst entlassen, sondern wurde dem Zahlmeister zugewiesen. Dort lernte ich besser rechnen und auch in der Schrift musste ich an mir arbeiten. Man war mit meiner Arbeit zufrieden, aber das geruhsame Leben gefiel mir nicht. Ich ließ mir meinen Sold auszahlen und beschloss, die Welt kennenzulernen. So lernte ich fremde Länder, fremde Sprachen und erlernte so manchen fremden Beruf.

Doch bald hatte ich Sehnsucht nach der deutschen Sprach. Also, auf in die Heimat! Aber das war net gut! Den Räubern bin ich in die Hände gefallen! Sie ließen mir nur das Hemd und die Hos! So irrte ich viele Tage durch mein Heimatland. Und so kam ich eines Tages in euer Dorf. Das ist meine Lebensgeschichte.“

„Hast mehr gesehen, als wir alle zusammen“, sprach ein Bauer. "Kannst’ uns, so du magst, am Abend von deinen Erlebnissen berichten. Es ist immer gut zu wissen, wie andere leben.“

„Ach, für ein zusätzliches Abendbier will ich gern erzählen!“, erwiderte Christopher lächelnd.

„Sollst du haben!“ Der Wirt schaute zu den Männern. "Jeder von euch zahlt dem Christopher ein Bier! Ist das geklärt?“

Die Bauern nickten.

Frau Wirtin brachte auf einem großen Teller das bereitete Abendbrot. „Ich hoff, es schmeckt der vornehmen Gräfin.“

„Ich bring es ihr aufs Zimmer“, sagte der Christopher und bat den Wirt noch um ein Glas Rotwein. Lange suchte der Wirt im Bierkeller und er fand wahrhaftig einen alten Rotwein. „Nimm die Flasche und ein Glas!“ Der Wirt stellte das Glas auf den Teller und steckte die Flasche in Christophers Hosentasche. „Lass sie nicht fallen! Es ist die einzige Weinflasche, die ich noch fand.“ Und mürrisch fügte er hinzu: „Wer trinkt denn Rotwein?!“

Im Schankraum unterhielten sich die Bauern. Natürlich war das Gesprächsthema ihr Gemeindeknecht. Mit einem Male sahen sie diesen strohblonden, blauäugigen Knecht mit anderen Augen. Allgemein wurde herausgestellt, dass sie einen guten Mann für ihre Gemeinde eingestellt hatten.

Und ihre gute Meinung wurde auf einem ganz anderen Gebiet bestätigt. Erbebte doch so kurz vor dem Sonnenuntergang die Zimmerdecke des Schankraumes. Grinsend blickten die Bauern zur Decke. Als jedoch einige Krümel der Deckenfarbe dem Wirt auf dem Schanktisch fielen, meinte der misstrauisch: „Na, lass mir die Decke ganz!“

Wer gemeint war, war klar, denn oben gab es nur die Komtess und den Knecht. Kaum war Ruhe eingekehrt, einige Bauern wollten nach Hause aufbrechen, da erschütterten neue Stöße das alte Zimmergebälk.

„Guter Mann!“, meinte der Bauer vom Apfelhof grinsend. „Guter Mann!“ Und die, die aufbrechen wollten, setzten sich wieder und riefen: „Johann, noch ein Bier!“

Und es blieb nicht beim zweiten Male. Noch ein drittes und viertes Mal erbebte das Gebälk.

Und da die Männer nicht nach Hause kamen, kamen ihre Frauen ins Wirtshaus, um die Männer heim zu holen. Doch die weigerten sich und Johann, der Wirt, musste für die Frauen ein Bier zapfen.

„Das ist interessanter als unsere Abendunterhaltung“, meinte der Heinrich. Und auf die verwunderte Frage „Warum?“, erwiderte er: „Oben im Zimmer ist eine echte Gräfin und unser Christopher. Schon viermal erbebte das Zimmer! Neugierig, ob er ..."

Und erneut rieselten Deckenkrümel von der Decke und Heinrich ergänzte grinsend seinen Satz: “... er kann!“

An diesem Abend machte der Wirt so viel Umsatz, wie sonst nur zu Hochzeiten und Kindstaufen. Und die Männer zählten an diesem Abend, besser in dieser Nacht sechs Erschütterungen, die einem jungen Mann alle Ehre machten.

Und so mancher Bauer wurde daheim in dieser Nacht beim ehelichen Liebesspiel aufgefordert: „Nun sei mal ein Christopher!“ Und so mancher Bauer verfluchte jetzt den Christopher.

Der kam am nächsten Morgen mit der Gräfin zum Frühstück in den Gastraum. Zum Abschied küsste Christopher der Komtess die Hand und die Komtess ... sie küsste den Christopher vor den Augen des Wirtes und seiner Frau auf den Mund - ein langer, heißer Kuss. Die Komtess entlohnte den Wirt und bevor die Gräfin den Schankraum verließ, steckte sie dem Christopher einen Golddukaten zu. Christopher bekam noch einen heißen Kuss und dann entschwand die Gräfin zur vorgefahrenen Kutsche.

Christopher drehte den Golddukaten hin und her, reichte ihn dann dem Wirt mit der Bitte, ihn für den Christopher für schlechte Zeiten aufzubewahren.

Allerdings verschwand der Golddukaten noch nicht im Geheimversteck des Wirtes. Dieser Golddukaten wurde am Abend wie ein Talisman herumgereicht und von den Bauern bewundert. Und als Christopher sein Abendbier trinken wollte, da musste er zuerst die vielen neugierigen Fragen beantworten. Und mit Bier geizten die Bauern an diesem Abend nicht.

Seit diesem Tage sahen die Dörfler ihren Gemeindeknecht mit anderen Augen. Und natürlich blieb der Besuch der Komtess nicht nur Gesprächsthema bei den Erwachsenen, auch die jüngere Generation bekam mit, was für einen tollen Knecht der Gemeindevorsteher da eingestellt hatte. Saß der Christopher am Waldrand im Schatten und schaute zu den Schafen und Ziegen, die auf der Weide grasten, so gesellten sich bald ein paar Halbwüchsige zu ihm. Christopher, froh über die Gesellschaft der Jungen, unterhielt sich gern mit ihnen. Bald bekam er mit, dass die Jungen herum drucksten. Endlich überwand einer der Jungen seine Scheu und fragte den Christopher über die Liebe aus. Bereitwillig und lächelnd gab Christopher Auskunft. Es gab kein Tabu-Thema und die pubertierenden Jungen hörten das, was ihnen kein Vater, und erst recht keine Mutter über die Liebe erzählten. Und da einige von ihnen schon mit einer der Dorfschönen angebandelt hatten, wollten sie ihr Mädel mit zum Treff auf der Wiese mitbringen. Doch da weigerte sich Christopher Fragen zu beantworten.

Die Erwachsenen hielten sich mit Fragen zurück. Die Frauen musterten ihren Gemeindeknecht und versuchten zu ergründen, warum dieser blonde, blauäugige Bursche solch enormen Qualitäten in der Liebe zeigte. Die Männer sprachen mit Hochachtung über die Leistung ihres Knechtes, hatte doch noch nie einer von ihnen solch Ausdauer im Liebesakt erreicht. Aber die Zeit heilt nicht nur Wunden, sie lässt auch Erinnerungen verblassen.

So führte Christopher bald wieder das geruhsame Leben eines Gemeindeknechtes. Nur einer der jüngeren Bauern setzte sich häufig zum Abendbier zum Christopher. Es dauerte lange, aber dann bat er den Christopher um eine Vier-Augen-Unterredung. Schon am nächsten Abend saß der Bauer Jonas neben dem Christopher auf der Holzbank vor der Waldhütte. „Christopher, ich hoff, du kannst mir helfen! Die Tina und ich wollen Kinder, aber wir sind schon 15 Jahre verheiratet und ... nichts! Machen wir was in der Liebe verkehrt? Woran liegt das?“

Und der Christopher redete lange mit dem Bauern Jonas und es war schon sternenklare Nacht, als der Bauer den Heimweg antrat.

Die Wochen vergingen und wieder suchte der Bauer das Gespräch mit dem Christopher. „Christopher, wir haben alles so probiert, wie du mir geraten hast. Tina wird nicht schwanger! Und wir wollen einen Erben für unseren Hof! Wir brauchen einen Erben! Kann die Tina keine Kinder kriegen? Sag, kann das so sein?!“

„Bauer, es kann auch manchmal am Manne liegen. Vielleicht solltet ihr ein fremdes Kind als Tochter oder Sohn annehmen. Dann hättet ihr euren Erben.“

Der Bauer ging und kam in einer Woche wieder. „Christopher, meine Tina möchte ein eigen Kind. Wir wollen wissen, ob es an ihr oder an mir liegt, dass es mit dem Kindermachen nicht klappt. Würdest du mit meiner Tina ins Bett gehen?“ Der Bauer Jonas stöhnte. Der schlimme Satz war ausgesprochen.

Christopher war sehr verwundert und schüttelte den Kopf. „Ich geh nicht mit Ehefrauen ins Bett! Das ist nicht gottgewollt! Denkt an das 6. Gebot: Du sollst nicht die Ehe brechen!“

Der Bauer Jonas verließ die Hütte mit gesenktem Kopf. Bereits am nächsten Tag wurde heftig an der Hüttentür geklopft. „Christopher!“ Eine wütende Frauenstimme rief den Christopher. Und der trat vor die Tür und kaum, dass er draußen war, da brach ein gewaltiges Wortgewitter über ihn herein. Erst nach etlichen Minuten stockte der Tina der Atem. „Und nun? Hilfst du uns?“

Tinas Mann, der Jonas, stand betreten bei Seite. „Christopher, es ist doch kein Ehebruch! Ich will es auch! Und Kinder sind doch auch gottgewollt!“

„Bauer Jonas, bring deine Frau zu günstiger Zeit in die Hütte. Deine Tina weiß, was ich meine! Und du kommst mit!“

Fast wütend klangen die Worte des Knechtes. „Ich soll Kinder machen!“, knurrte der Christopher. „Kinder machen!“

Und Tina erschien mit ihrem Manne. Und Christopher hielt sein Wort. Als Tina nach kurzer Zeit zu ihrem Manne trat, sprach der Christopher: „Bauer, ich habe ausgeholfen. Gott entscheidet jetze, was wird. Ich will deine Frau nicht mehr hier sehen. Ich kenn sie nicht mehr!“

Bauer Jonas schaute verwundert zu seiner Tina. Die hakte sich bei ihm ein und flüsterte: „Mit dir macht die Liebe mehr Spaß! Ich freue mich schon auf unser Bett.“ Und nachdenklich fügte sie hinzu: „Warum soll der Christopher nur so liebestoll sein? Langweilig war’s.“

Der Herrgott entschied und der Bauer Jonas stellte nach 6 Wochen ein kleines Fass Bier auf die Holzbank vor der Waldhütte.

Das Leben in solch einem Dorf wird durch die Jahreszeiten bestimmt. Jeder geht seiner Arbeit nach. Hochzeiten und Taufen sind kleine Höhepunkte im Dorfleben. Und zu einer funktionierenden Dorfgemeinschaft gehörte auch, mit Problemen im Interesse der Dörfler umzugehen. Und solch ein Problem verschaffte dem Christopher ein neues Aufgabengebiet.

Einer der größten Bauern in diesem Dorf führte einen liebestollen Stier einer Färse zu. In dem engen Stall verlor der Bauer die Gewalt über den Stier und der zerquetschte ihm am Gatter den Brustkorb. Die Bäuerin rief umsonst ihren Mann zum Mittagessen. Als sie in den Stall kam, sah sie mit angstvoll geweiteten Augen das Unglück. Sie schrie nach Hilfe und da niemand kam, rannte sie zu den Nachbargehöften. Sechs Bauern waren notwendig, um den Stier aus dem Stall zu bringen. Erst dann konnten sie sich um Gustav, dem Heidehofbauern kümmern. Doch schnell wurde festgestellt, es gibt keine Hilfe mehr.

Der Heidehofbauer hinterließ ein junges Weib mit zwei kleinen Kindern und seine alte Mutter. Erst vor wenigen Jahren hatte er nach dem Tode des Vaters den Hof übernommen. Jetzt blieben alle Arbeiten für die junge Bäuerin. Und sie mühte sich vom frühen Morgen bis spät in die Nacht. Die Großmutter musste sich um die beiden kleinen Kinder kümmern. Doch bald stellte Gerlind, die Bäuerin fest, die alte Frau ist restlos überfordert.

So kam es, dass zum Feierabendbier die Bäuerin vom Heidehof in den Schankraum kam und zu den Männern sprach: „Ich müh mich von früh bis spät. Meine Schwiegermutter kümmert sich um die beiden Kleinen. Doch sie ist restlos überfordert. Bald wäre das Hänschen in die Jauchengrube gefallen. Auch ich kann nicht mehr. Ich bitt die Bauern um Hilfe in meiner Not!“ Und Tränen rollten der Gerlind vom Heidehof über ihre Wangen.

Der Wirt sprach als Gemeindevorsteher: „Für solche Notfälle steht der Gemeindeknecht der Bäuerin zur Verfügung. Gerlind, du musst den Christopher zu gleichen Bedingungen unter Vertrag nehmen, den wir ihn mit ihm ausgehandelt haben: Essen und Schlafen ist umsonst, zu Ostern neue Sachen, zu Weihnachten 10 Groschen - der Jahreslohn. Und natürlich muss der Christopher damit einverstanden sein. Und die älteren Jungen müssten dann wieder das Vieh hüten.“

Der Wirt schaute zu den Bauern. Die nickten zustimmend und der Bauer vom Apfelhof sagte: „So haben wir es immer gehalten, wenn einer von uns in Not geriet! So soll es auch jetze sein!“

Noch aber hatte ihr Gemeindeknecht nicht zugestimmt. Doch der war noch nicht zum Feierabendbier erschienen. „Er wird gleich kommen. Er treibt mit den Jungens das letzte Vieh in die Höfe.“

Und wie auf Aufruf erschien der Christopher in dem Schankraum. Da alle ihn anstarrten und auch die junge Witwe vom Heidehof am Tische saß, ahnte er, was man von ihm wollte. Und sofort begann der Wirt mit seiner Rede. Als er mit dem Satz endete: „Immer haben wir einem Bauern in großer Not beigestanden. Und eine wichtige Aufgabe hat da immer der Gemeindeknecht übernommen. Und so fragen wir dich, Christopher, wärest du bereit, der Heidehofbäuerin in ihrer schweren Zeit beizustehen und die Arbeit des Bauern zu übernehmen? Unser Vertrag wäre jetze auch für die Arbeit auf dem Heidehof gültig. Sag ja und mach mit der Gerlind den Vertrag!“

„Bereit wär ich schon, hätt aber noch Bedingungen. Das wäre erstens, ich wohn weiter in der Waldhütte und zweitens würd ich gern einiges auf dem Acker ausprobieren. Ich hab so viel auf meinen Wanderungen gesehen, dass ich denk, das könnten wir auch auf den Acker bringen. Die Bäuerin müsste mich schalten und walten lassen. Es wär net ihr Schaden. Das könnt ich versprechen. Meinen Golddukaten setze ich als Pfand für mein Gelingen!“

Ja, solch einen Gemeindeknecht hatten die Dörfler noch nie! Und der Wirt schaute zur Heidehofbäuerin und die zögerte nicht lang und hielt dem Christopher die Hand hin. „20 Groschen Jahreslohn für die schwere Arbeit!“, sagte sie und ein Lächeln verzauberte ihr Gesicht.

„20 Groschen! Ein guter Lohn!“ Und Christopher vollzog den Vertrag mit dem obligatorischen Handschlag.

„Bevor ich der Heidehofbäuerin zur Verfügung stehe, bitte ich um 3 Tage Aufschub. Ich kauf bei einem Bauern Saatgut. Noch kann ich die Knollen in den Boden bringen. Herr Wirt, bitte gebt mir von meinem Gesparten 6 Groschen. Brauch ich zum Kauf. Und ihr Bauern, könnt mir jemand eine leichte Kutsche oder Ackerwagen und ein Pferd leihen? Will dafür auch zahlen!“

Der Apfelhofbauer antwortete dem Christopher: „Bekommst meinen leichten Kutschwagen. Dein Geld behalt, Christopher. Dafür nimmst aber meine beiden Buben mit. Die wollen unbedingt in die große weite Welt. Unser Dorf wird ihnen zu eng. Du hast ihnen zu viel von da draußen erzählt, Christopher. Jetze Christopher, zeige ihnen ein kleines Stückchen deiner fremden Welt.“

So bekam die Heidehofbäuerin einen Knecht zur Hilfe, der Christopher einen guten Vertrag und einen Kutschwagen und dazu noch die Begleitung zweier Halbwüchsiger, die darauf brannten, die Welt zu entdecken.

Noch vor Sonnenaufgang ging die Reise los. Die Langeweile auf der Reise wurde durch Christophers Erzählungen vertrieben. Kurz vor Sonnenuntergang erreichte Christopher sein Ziel. Ein großes Bauerngehöft nahm die Reisenden auf. Ein alter Bauer kam zur Kutsche und fragte nach dem Begehr.

„Herr, erkennt ihr mich nicht mehr. Bin der Christopher, der euch vor Jahren zu Diensten war. Es ist schon lange her!“

„Der Christopher? Du bist ...“ Das finstere Gesicht des Bauern erstrahlte. „Teufelskerl! Der Christopher!“ Und er wandte sich zum Wohnhaus und schrie: „Marianne, komm und schau, wer uns besucht!“

Und eine alte Bäuerin schaute zur Kutsche und schaute und dann - so schnell ihre alten Beine sie tragen konnten, lief sie zum Christopher und umarmte ihn. „Christopher, mein Gutster, mein Augenstern! Da hat mir der Herrgott meinen Wunsch doch noch erfüllt!“ Und sie drückte und herzte den Christopher!

Die beiden Buben schauten nur verwundert drein.

„Nun sag, wie ist es dir ergangen? Du bist verheiratet?! Das sind deine Buben?! Erzähl, erzähl!“ Die Bäuerin hakte den Christopher unter und zog ihn zum Haus.

Der Bauer spannte mit Hilfe der Jungen das Pferd aus und brachte es in den Stall.

„Ihr seid net die Buben unseres Christopher, stimmt’s!“

Die Jungen nickten. „Wir durften den Christopher nur begleiten.“ Der Ältere sprach für beide.

„Ja, der Christopher! Ihr müsst wissen, er hat mir einst das Leben gerettet. Ich hab im Wald Holz für den Winter gehauen. Da fiel eine Fichte in die falsche Richtung und haute mich um. Ich lag eingeklemmt und konnte mich nicht selbst befreien. Ich rief und rief bis ich so heiser war, dass ich nur noch krächzen konnte. Aber dieser Christopher hat mich gehört. Er zog mit Hilfe der Pferde die Fichte zur Seite, sodass ich wieder frei war. Gebrochen war nichts, aber tiefe Wunden hatte ich, die immer noch stark bluteten. Der Christopher zerriss sein Hemd und stillte damit den Blutfluss. Dann fuhr er mich zum Gehöft. Er blieb bei uns, bis ich wieder ein Bauer sein konnte. Ach der Christopher! Damals war er ein ganz junger Kerl, hatte gerade die Zeit als Söldner beim Preußen beendet. Damals wollte er die große, weite Welt sehen, blieb aber bei uns, bis ich wieder gesundet war. Ei ja, unser Christopher!“

Es wurde ein langer Abend und erzählen musste Christopher, wie es ihm in der großen, weiten Welt ergangen war. Und dann kam der Satz: „Sag, Christopher, warum kommst’ gerade jetzt zu uns?“

Und der Christopher erzählte von seiner Arbeit als Gemeindeknecht, von der Heidebäuerin, die ihren Mann verlor und nun auf seine Hilfe hofft und von den Erdäpfeln, die er hofft, hier kaufen zu können. „Ich möcht die Erdäpfel dort in den Boden bringen, auch Kräuter und Gemüse anpflanzen. Ich hoff dann auf einen guten Verkauf auf dem Markt. Das wäre mein Anliegen bei euch.“

Der Christopher bekam 3 Säcke mit Kartoffeln und die Bäuerin reichte ihm viele Tüten mit Samen. „Nimm, nimm, probier alles aus. Du bist ein guter Bauer! Es wird dein Erfolg!“

Als Christopher bezahlen wollte, sagte der Bauer kurz angebunden: „Steck dein Geld weg, Christopher. Noch nie konnten wir uns für deine Hilfe bedanken. Nimm es als Dank! Und freuen würden wir uns, dich wieder bei uns begrüßen zu können. Du bist immer willkommen. Und wenn du in Not gerätst, komm erst recht zu uns!“

Auf der Fahrt war Christopher sehr einsilbig. „Christopher, was denkst du?“, fragte Jakob, der ältere Bub.

„Ach, wie das Leben so spielt. Damals baten mich die beiden Alten, bei ihnen zu bleiben. Den Hof sollte ich übernehmen, sie hatten keine Kinder. Aber ich verließ sie. Ich zog ins fremde Land. Ich war nur auf Abenteuer aus. Ich denk, hab ich damals richtig entschieden, fortzugehen?! Den Hof auszuschlagen?! Das sind meine Gedanken!“

Wieder im Dorf brachte Christopher das Saatgut in die Scheune des Heidehofs, und die Jungens brachten eine neue Lebensgeschichte des Christophers unter die Leute.

„Bauer hätte er schon längst sein können“, sprach man im Schankraum. „Warum nur lässt ein junger Mann sich solch Angebot entgehen? Ist wohl typisch für den Christopher!“

Noch nie hatte die Dorfgemeinschaft einen Gemeindeknecht, wie den Christopher. Er passte in keine Schablone: Er war zu klug, zu gebildet, zu lebenserfahren. Er war der Christopher, nicht mehr der Knecht Christopher.

Die Arbeit auf dem Heidehof bereitete dem Christopher große Freude. Seine Sorge, die junge oder die alte Bäuerin würden sich in seine Tagesgeschäfte einmischen, erfüllte sich nicht. Die Frauen ließen den Christopher schalten und walten. Und als er im Herbst die Erdäpfel erntete und sie mit den Zwiebeln, den Kohl und den gebündelten Gewürzstängeln innerhalb kürzester Zeit auf den Wochenmarkt in der großen Stadt verkaufen konnte, da erhielt er das Lob von vielen Bauern. Sie begannen zu überlegen, ob es nicht angebracht wäre, ihre traditionellen Anbauprodukte durch Kartoffeln und Gewürzpflanzen zu erweitern. Kartoffeln baute man gar nicht an und aß sie auch nicht. Gehört hatte man von diesen Erdäpfeln, aber essen?

Auf dem Heidehof herrschte eitel Freude, als der Christopher den gefüllten Geldbeutel der Bäuerin übergeben konnte. Und die beiden kleinen Kinder mochten den Christopher noch mehr, als er ihnen süße Zuckerkringel als Naschwerk überreichte. Auch die junge Witwe wäre fast dem Christopher um den Hals gefallen, als er ihr ein fein gearbeitetes Tuch um die Schulter legte. Die alte Bäuerin erhielt einen warmen Pelzkragen für die kalten Wintertage. „Heut ist wohl schon Weihnachten?!“. sprach die Alte schmunzeln. „Bist ein guter Jung, Christopher!“

Ja, die alte Bäuerin mochte den Christopher. Auch die beiden Kinder wollten ohne Christopher nicht sein. Und egal, was sie anstellten, kein böses Wort hörten sie vom Christopher. Ihre Mutter schalt sie dafür und der Christopher bekam auch sein „Fett“ weg. „Christopher, die beiden tanzen dir bald noch auf der Nas herum! Du darfst ihnen nicht alles durchgehen lassen! Sei strenger mit ihnen!“

Gedacht hatte sie: „Sei ein strengerer Vater!“ Und Christopher ahnte, was sie fast gesagt hätte.

Das Weihnachtsfest musste Christopher auf dem Heidehof verbringen. Die Bäuerinnen hatten eine Kammer hergerichtet. Christopher schenkte den Kindern feine Zuckerkringel und die Bäuerinnen bekamen warme pelzgefütterte Handschuhe. Christopher erhielt Hose und warmen Wams. Die Bäuerinnen hatten die alte Kleidung

des toten Bauern umgearbeitet. Es war eine solch geschickte Arbeit, dass wohl niemand sehen konnte, wem die Sachen einst gehörten.

Als die junge Bäuerin in der Küche das Abendbrot bereitete, sprach die alte Bäuerin: „Christopher, mein Sohn ist bald 1 Jahr tot. Das Trauerjahr wäre für die Gerlind beendet. Ich weiß, die Gerlind mag dich sehr. und meine Enkel sind vernarrt in dich. Wenn du die Gerlind ein wenig lieben könnst’, halt um ihre Hand an. Meinen Segen hast du!“

So sprach die alte Heidehofbäuerin. Erwartete sie nun, dass Christopher der Gerlind zu Weihnachten einen Antrag machte, so irrte sie. Christopher führte die Bäuerinnen und die Kinder zur Weihnachtsmesse. Er sang mit ihnen den Weihnachtschoral und jeder in der Kirche sah einen Knecht, der wie ein Bauer angezogen war und sich auch als Bauer verhielt.

Es kam der Todestag des verunglückten Heidehofbauers. Christopher trank mit den Bauern das Abendbier. Die Schänke war gut gefüllt. Verwundert schauten die Bauern hoch, als der Christopher sich vor dem Schanktisch aufstellt.

„Als ich halb verhungert mit zerlumpten Sachen bei euch um Arbeit bat, habt ihr sie mir gegeben. Ihr habt mich immer anständig als Christenmenschen behandelt. Ich hab mich immer wohl gefühlt in der Dorfgemeinschaft. Und deshalb möchte ich euren Rat.“ Christopher stockte. Dann fuhr er mit fester Stimme fort: „Heut ist der Todestag des Heidebauern. Die alte Bäuerin drängt mich, ich soll der Gerlind einen Antrag machen. Sie meint, die Gerlind mag mich und die Kinder lieben mich. Ich solle ihnen ein guter Stiefvater sein. Ich mag sie alle, die Alte und die Kinder. Die Gerlind ist ein tatkräftiges Weib, und ein sehr ansehnliches dazu. Sagt, soll ich den Antrag wagen? Ich will aber nicht, dass nur einer von euch denkt, es ginge mir um den Hof. Dann werde ich der Gerlind keinen Antrag machen, bleibe Knecht - bis sich ein Bauer gefunden hat. So sprecht!“

Betretenes Schweigen herrscht im Schankraum. Solch Rede mit solch Ansinnen hat der Schankraum noch nicht gehört. Aber der Christopher war auch ein besonderer Mensch.

Die Bauern schauten zum Wirt. Der sollte als Dorfvorsteher dem Christopher antworten. Und er antwortete: „Christopher, geh und mach der Gerlind den Antrag! Keiner von uns wird dir schlechtes Ansinnen unterstellen. Wir wissen, dass du das Erbe eines Hofes schon einmal ausgeschlagen hast und dass die fremden Bauersleut dich gern als Erben auch heute noch sehen möchten.“

Der Wirt blickte zu den Bauern. „Hab ich recht gesprochen?“

„Gut und richtig gesprochen! Geh noch heut zur Gerlind und mach deinen Antrag.“ Der älteste Bauer sprach dies.

Und die Bauern nickten zustimmend und nibbelten an ihrer Feierabendpfeife.

Und Christopher eilte zum Heidehof und als das Abendessen aufgetragen war, fragte er die beiden Kinder: „Würdet ihr mich als Stiefvater mögen?“ Die Kinder wussten zwar nicht, was ein Stiefvater ist, aber als Vater mochten sie den Christopher sehr. Sie kamen und umschlangen seinen Hals.

Und Christopher sprach zur alten Bäuerin: „Ich kann dir nicht den Sohn ersetzen, den du verloren hast. Aber ich werde dich achten und dich behüten, wie es ein Sohn tun würde.“ Und die Bäuerin nickte und flüsterte: „Ich weiß, Christopher!“

Und mit hochrotem Gesicht ging der Christopher zur Gerlind, fiel auf die Knie und fragte: „Bäuerin, Gerlind, magst mich ein bissel? Magst mich zum Ehemann nehmen?“

Und Gerlind hob den Christopher hoch, umarmte ihn und hauchte: „Ja, ich will! Christopher ich mag dich nicht nur, ich hab mich in dich verliebt. Ja, ich will!“

Und sie herzte und küsste den Christopher, dass ihm wohl die Sinne schwanden.

Draußen auf dem Hof gab es jetzt fürchterliches Geschrei. Die Bauern des Dorfes standen da draußen und brüllten: „Bauer Christopher! Wir wollen feiern!“

Und Christopher trat mit der Gerlind vor die Tür und gemeinsam zogen sie ins Wirtshaus. Dort rief Gerlind: „Wir feiern Verlobung! Mein Zukünftiger bezahlt“ Und sie küsste den Christopher vor allen anwesenden Bauern und die riefen: „Hoch lebe das Brautpaar!“ Und da die Bauern nicht nach Hause kamen, kamen ihre Frauen, um die Männer heim zu holen. Erst gegen Morgen konnte der Wirt sein Gasthaus zuschließen.

Und noch eine Überraschung hatte unbewusst der Christopher parat. Als der Pfarrer nämlich den Namen des Bräutigams vorlas, da stutzte die Gemeinde. Hieß ihr ehemaliger Knecht doch Christopher van der Haide.

„So hat Gott auch den Namen geregelt“, murmelte der Wirt. „Es hat sich alles gefügt.“