Aus dem Tagebuch eines "Außerirdischen"

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  Aus dem Tagebuch eines „Außerirdischen“

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von Joachim Größer (2016)

 

1.      Wie ich mich als Außerirdischen entdeckte

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Mein Tagebuch beginnt mit dem Eintrag vom 17. September. Es war ein Sonntag und ich genoss das längere Schlafen, die Ruhe und das Nichtstun. Obwohl ich auf dem Wecker schon 7.34 Uhr lesen konnte, schloss ich nochmals die Augen. „Noch eine Runde“, murmelte ich und ich schlummerte wirklich ein. Mein Schlaf muss tief und fest gewesen sein, denn ich träumte. Es war weder ein Albtraum, noch ein Traum, der unterschiedliche frühere Erlebnisse in einem neuen Wirr-warr zusammenstellte. Nein, es war ein sehr vernünftiger Traum – so vernünftig, dass ich nicht aufwachen, sondern nur noch träumen wollte. Aber mein Körper meinte nach mehr als zwei Stunden wohl, dass ich mich genug „erholt“ hätte. Ich wachte auf, fühlte mich richtig gut, richtig ausgeschlafen und – was eigentlich selten vorher passiert war – ich konnte den gesamten Traum „abrufen“. Ich wusste alles noch, wirklich alles.

Ich bin nun schon 26 Jahre auf dieser Welt und in dieser langen Zeit habe ich mir einen perfekten Tagesablauf zugelegt. Dazu gehört auch mein morgendliches Ritual. Die Kaffeemaschine blubberte, die Brote waren geschmiert, das Müsli stand neben der Milch vor mir auf dem Tisch. Nur der große Löffel fehlte, schon wollte ich mich erheben, da kam mir ein Einfall. In diesem Traum konnte ich Dinge von einem Ort zu einem anderen bewegen. Einfach so! Also meinte ich, es mir in meinem Traum nachzumachen: Ich dachte Kasten aufschieben – großer Löffel auf Küchentisch – Kasten schließen.

Habe ich blöd geguckt, als alles ohne mein Zutun geschah – na ja, es muss ja von mir ausgegangen sein, denn ich …

„Ich!“, schrie ich und sprang hoch. „Wie ist das möglich?!“

Auf die Antwort warte ich noch heute. Ich starrte auf meine Hände, die – als wollten sie sagen „Wir waren nicht dran beteiligt!“, sich auf meinen Rücken versteckten.

In der Wissenschaft muss jedes Experiment nachvollzogen werden können, sonst entzieht ihm die Wissenschaft den Titel „wissenschaftlich bewiesen“. Also noch mal! Ich denke: „Stuhl verrücken!“

Der Stuhl rückt rechts, links, im Kreis – der Stuhl spinnt, weiß nicht was er machen soll! Also – ganz ruhig, nur denken: „Stuhl unter das Fenster!“

Wie von Geisterhand sprang der Stuhl geräuschlos zu Fenster, verharrte still und stumm. So wie ich jetzt selbst da stand: still und stumm.

„Stuhl zu mir!“, dachte ich und murmelte es zugleich. Ich plumpste auf den Stuhl, sackte in mich zusammen, und ich musste einen Gesichtsausdruck gehabt haben, der nicht von dieser Welt war.

„Nicht von dieser Welt!?“ Ich sprang hoch. „Ich bin nicht von dieser Welt!“ – „Quatsch, bin hier geboren, aufgewachsen, habe studiert und bin Lehrer an einer Schule. Lehrer im 2. Dienstjahr! Noch auf Probe sozusagen!“ – „Wer bin ich?!“

Ich durchquerte meine kleine Küche, hoffte, die Bewegung bringt Sauerstoff zum Gehirn, damit dieses mir eine Antwort auf das Seltsame gibt. Aber mein Gehirn versagte wie bei meiner letzten Klausur, als es mir nur meldete: „Alles gelöscht!“

Nein, nein – nicht aufgeben, nicht verzagen! Ich muss dieses merkwürdige Können meiner Person, der Person, die sich seit 26 Jahren Dirk Sommer nennt, aufklären. Vielleicht sollte ich überprüfen, was ich noch alles kann? Vielleicht kann ich nicht nur Gegenstände – tote Dinge, sondern auch etwas Lebendiges, vielleicht einen Menschen, von einer Stelle zur anderen Stelle „schieben“.

Ich brauche eine Testperson. Meine Uraltuhr schlug zweimal – ½ 11 Uhr. „Um 11 geht doch die Neue, diese gut gebaute, charmante Sophie zum Tennis. Und sie geht immer an diesem Haus vorbei!“, dachte ich und handelte sofort: Katzenwäsche, Schnellimbiss, in die Sachen „springen“! Schon stand ich hinter der Gardine und wartete auf Sophie. Keine 5 Minuten musste ich warten, dann …

Ich öffnete das Fenster und starrte auf die Hübsche da unten. Jetzt! Jetzt zu mir schauen!!! Ich „bündelte“ meine Gedanken, ich „befahl“ ihr: „Schau zu mir!“

Und? Sie schaute zu dem Fenster im 3. Stock, sie lächelte dem Dirk Sommer, Lehrer im 2. Dienstjahr zu, sie schrie hinauf: „Hallo Herr Sommer! Lust auf ein Match?“

So schnell habe ich die 93 Stufen noch nie zurückgelegt. Unten angekommen begrüßte sie mich nicht nur mit Handschlag, sondern wie einen lieben alten Bekannten mit einem Küsschen. Nicht dass ich rot geworden wäre – dem Alter bin ich entwachsen – ich freute mich über diese nette Begrüßung und hoffte, dass dies echte Zuneigung sein müsste.

Das Spiel beherrschte Sophie. Ich bin zwar nicht unsportlich, habe aber von Tennis keine Ahnung. Sie gewann den ersten Satz haushoch. Als Entschädigung bekam ich aber ein Küsschen und das beflügelte mich zu der Aussage: „Noch ein Spiel?! Jetzt kenne ich die Regeln!“

Erstaunt schaute Sophie zu mir. „Der Verlierer wird zu einem großen Stück Torte eingeladen?!“ Ich nickte zustimmend und schon flog der erste Ball haarscharf an meinem Kopf vorbei. Jetzt konzentrierte ich mich. Jeden meiner Bälle „steuerte“ ich dank meiner neuen speziellen Fähigkeiten an ihrem Schläger vorbei. Sie lief, sie keuchte, sie hechtete sich – nichts half: Der Dirk Sommer beherrschte das Match.

„Man bist du ein guter Spieler!“, keuchte sie. „Ich will zwei große Tortenstückchen! Als Entschädigung!“

Unbewusst sprach sie mich mit dem vertrauten “Du“ an. Bewusst steuerte ich die Dusche neben der ihren an und bewusst versuchte ich, ihre Körperformen hinter den Duschvorhängen auszumachen. Als wäre dies ein „Befehl“ meiner Gedanken, schob sie den Vorhang zwischen uns zur Seite, um mit mir ein Gespräch über meinen exzellenten Aufschlag zu führen. Ich schwöre, dies hatte ich nicht veranlasst, aber schön war es – war sie – war ihr durchtrainierter Körper. Da gab es nichts zu mäkeln. Und so erlaubte ich mir zu bemerken: „Tolle Figur hast du!“ Und sie: „Danke! Deine Bizeps sind auch nicht übel! Was treibst du für einen Sport?“

Ich und Sport? Jetzt musste ich eine gute Ausrede finden – ich (und dies ist sogar wahr): „Im Sommer geh ich schwimmen, im Winter bin ich auf lange einsame Skiwanderungen versessen.“

Sophie: „Du spielst mit mir Tennis und ich begleite dich im Winter bei den Skiwanderungen. Einverstanden?“

„Wenn das nicht eine Einladung zu einer längeren Beziehung war?!“, dachte ich und gab zur Antwort: „Prima, bestens, das machen wir!“

Statt zwei Tortenstücke aß Sophie sogar drei und ich hatte das Gefühl, sie schielte noch zum 4. Stückchen. Aber bei ihrer Figur konnte sie sogar eine ganze Torte verspeisen – ihre Figur war einfach perfekt. Und ich betrachtete meine Match-Partnerin wohlwollend und erwischte mich bei dem Gedanken, eine Frau fürs Leben gefunden zu haben. Dann aber bekam ich eine „kalte Dusche“, die mich sofort meinen Wunschträumen entriss. Sophie bedankte sich für die Einladung, gab mir ein Küsschen auf die Wange und mit den Worten „Bis morgen, Dirk!“ verschwand sie.

Ich verschwand in mein „stilles Kämmerlein“ und grübelte und grübelte. Habe ich nun eine Eroberung gemacht oder hat mich Sophie erobert und lässt mich jetzt zappeln? Fest steht, solch Frau bin ich noch nicht begegnet. Ich schloss den Gedanken an die wunderschöne Sophie ab und zwang mich, über meine phänomenalen Fähigkeiten nachzudenken. Wieso habe ich mit einem Male telepathische, psychokinetische Fähigkeiten? Wieso kann ich meine Gedanken anderen Menschen „aufzwingen“? Wieso kann ich Kraft meiner Gedanken tote Materie im Raum bewegen? Wer konnte so etwas in der Vergangenheit? Trotz meiner schwachen Geschichtskenntnisse landete ich einen „Treffer“: Jesus! Jesus konnte aus Wasser Wein machen, konnte mit einem Brot Tausende sättigen, konnte über das Wasser gehen, Jesus sprach und die Menschen glaubten ihm bedingungslos – Jesus war Gottes Sohn! Ich bin „Gottes Sohn!“

Ich stürzte zur Kochnische, füllte ein Wasserglas und stierte auf das Glas. „Wasser werde zu Wein!“ Ich stierte und stierte, ich zwang das Wasser zu Wein zu werden, ich genoss den ersten Schluck und spukte die lauwarme Leitungsbrühe in den Ausguss. Also - es steht fest, ich bin kein Jesus! Wer also bin ich? Dieser Gedanke verfolgte mich ins Bett. Ich grübelte über meinen Traum nach und musste mit Entsetzen feststellen, fast alles von diesem Traum war nicht mehr in meinem Gehirn auffindbar. So sehr ich mich auch mühte, nur wenig war vom Traum übrig. Eine Erinnerung war aber ziemlich deutlich: In meinem nächtlichen Traum sagte eine Stimme immer und immer wieder: „Du schaffst das! Du bist nicht von dieser Welt!“

„Ja, von welcher Welt bin ich denn dann?“ Ich schrie diesen Satz in diese Welt und meine Welt war z. Zt. nur das Schlafzimmer. Als der Satz verklungen war, hatte ich mein „Aha“-Erlebnis. „Ich bin ein Außerirdischer!“

 

2.      Wie ich meinen Schulalltag meisterte

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Der nächste Tag brachte so viel Aufregendes, dass ich keine Zeit zum Nachdenken über außerirdische Welten hatte. Angenehm, sehr angenehm war, dass mich Sophie noch auf der Treppe zum Schulhaus mit einem ihrer Küsschen begrüßte. Obwohl ich die Mädchen der 10. Klasse nicht sah – sie standen weit hinter meinen Rücken - ich hörte sie. Sie tuschelten über das Küsschen und überlegten laut, wann das Hochzeitsfest denn starten würde. Kurz, nur kurz registrierte mein Gehirn: „Dirk, du hörst ‚Flöhe husten‘!“

Die ersten beiden Unterrichtsstunden vergingen – gewohnter Lehreralltag. In der Pause versuchte ich, zu Sophie zu kommen, doch sie diskutierte mit ihrem Sportkollegen. Dann - ein

Schreckensruf: „Die Lampers kommen!“

Alle Lehrer stürzten zum Fenster. Absolute Ruhe, man hätte eine Stecknadel fallen hören können. Dann: „Wer ist der Unglückliche?!“ Alle Lehrer-Kollegen-Augen starrten mich an. Ich muss die Zielperson für die Lampers sein, denn ich war der Klassenlehrer ihres Sohnes, namens Karl Friedrich – genannt K.F. Um diese komische Situation zu verstehen, muss man wissen, dass K.F. ein begabter Junge, man könnte sagen hochbegabter Junge, ist und dass er jedes Maß an Erziehung vermissen ließ. Passierte etwas, niemals war K.F. schuld. Eine schlechte Note, d. h. eine „Zwei“, der Lehrer hatte versagt. Der Gang zur Schule durch Herrn und Frau Lampers folgte, der Lehrer war dann dem Nervenzusammenbruch nahe und hatte garantiert eine schlechte Nacht. Und ich, ich habe dem K.F. eine wohlverdiente „Vier“ auf die letzte Arbeit gegeben. Der „arme“ K.F. erlebte einen Höhepunkt in seiner Entwicklung zum Mann. Mädchen waren viel interessanter als die blöde Geografie, die ich unterrichtete.

„Na dann!“ So wollte ich mich aus dem Lehrerzimmer verabschieden, als mein Chef mich aufhielt: „Brauchen Sie Hilfe?“

„Nein, die Lampers schaffe ich!“ Sehr selbstbewusst klang meine Antwort. Mein Chef erfreut: „Na, dann haut Sie auch nicht die Mitteilung um, dass morgen drei Kollegen der Schulaufsicht sich Ihren Unterricht in Ihrer Klasse anschauen möchten!“

Meine Klasse – d. h. Geografie mit K.F.! Durch das Lehrerzimmer schwebte ein Hauch von Mitleid. Armer Dirk Sommer, Lehrer im 2. Dienstjahr, der im 3. Dienstjahr ein vollwertiger Lehrer sein wollte und darüber entschied auch die Schulaufsicht. Sophie kam zu mir, hauchte einen Kuss auf meine Wange und flüsterte: „Ich drücke dir beide Daumen! Du schaffst das!“

So gestärkt verließ ich das Lehrerzimmer, erhielt auch noch von meinem Chef einen Schulterschlag: „Sie machen das mit Bravour!“

Schön, dass der Schuldirektor so dachte. Er scheint ein guter Menschenkenner und Pädagoge zu sein. Man sagte ihm nach, dass selbst die aufgeregtesten Eltern ruhig und freudig sein Direktorenzimmer nach einem Gespräch verließen. Wagte es ein erzürnter Vater ohne die „Erlaubnis“ des Direktors sich zu erheben, um den Raum zu verlassen, donnerte es: „Herr M. ich habe noch nicht zu Ende gesprochen! Bitte nehmen Sie wieder Platz!“ Und der Vater der zu „unrecht“ getadelten Anne setzte sich wie ein kleiner Schuljunge und hörte zu.

Mich hatte er nach der ersten Unterrichtswoche zu Beginn meines 1. Lehrerjahres zu sich bestellt. „Und wie läuft es?“

Ich: „Naja, eigentlich gut – nur der K.F.“

Er: „Gut! Erfolg bringt Freude und ohne Freude ist unser Beruf nicht durchzustehen!“

Ich: „Warum haben Sie mir diese Klasse als Klassenlehrer zugeteilt?“

Er: „Sie lernen mit dem K.F. und an ihm. Sie werden durch Karl Friedrich Lampers einer meiner besten Lehrer.“

Daran musste ich jetzt denken, als ich mich den Lampers „entgegenwarf“. Nach einer halben Stunde verabschiedeten sich die Eltern des K.F. mit den Worten: „Danke Herr Sommer!“ Genauso werden wir das machen! Sie haben uns sehr geholfen!“

„Wau!“, flüsterte ich. Und als die Lampers außer Hörweite waren, schrie ich: „Ich hab’s geschafft!“

Die Tür öffnete sich und mein Chef sah mich verdutzt an. „Was haben Sie geschafft?“

„Frau und Herr Lampers, Eltern des unerzogenen K.F. erkennen mich als Lehrer an!“

Mein Chef grinste und: „Na ja, das wusste ich doch schon vorher. Sie hätten mich nur fragen müssen.“

Jetzt hatte ich genug Energie, um mich um meinen morgigen schweren Tag zu kümmern. In der letzten Stunde stürmte ich mit dem Klingelzeichen in meine 9. Klasse. „Moment!“, schrie ich. „Morgen ist für mich ein schwieriger Tag. Ihr könnt mir helfen.“

Meine Klasse: „Ooeehh!“

Ich: „Morgen werden drei Herren oder Damen meinen Geografieunterricht bei euch besuchen. Sie wollen wissen, wie ich mich als Lehrer so anstelle. Sie entscheiden, ob ich als Lehrer tauge oder auch nicht. Es könnte sein, dass sie sagen: ‚Oh, der arme Dirk Sommer, was ist das für ein feiner Lehrer, aber die Klasse ist unmöglich. Der Lehrer Sommer kommt sofort an eine Mädchenschule. Und der Lehrer Grimmig übernimmt diese Klasse.‘ Ihr müsst jetzt wissen, dass Lehrer Grimmig ein Zwei-Meter-Mann ist, 150 kg wiegt und Catcherchampion war. Dieser Kollege würde euch dann unterrichten. Oder aber ich kann hier bleiben. Es liegt an euch. Und dazu bräuchte ich jetzt nach der Schule noch einige Helfer. Wer möchte?“

Fast alle meldeten sich. Aber ich brauchte höchsten 6 helfende Hände. „Einigt euch, wer mir helfen darf!“, sagte ich und ging zu meiner Kollegin, die feixend am Lehrertisch saß. „Tolle Motivation, Herr Kollege! Sie werden glänzend bestehen!“

Ja, bestehen wollte ich! Meine Helfer flitzten durchs ganze Schulhaus, fielen meinen lieben Kollegen auf den Wecker und brachten doch alle das Gewünschte. Die Aufgabe lautete jetzt: Aus Pappe, roter und blauer Farbe, Kleber und Magneten basteln wir Pfeile, Isobarenlinien, Wolken, Regen und Sonne! Meine Idee war, die Entwicklung eines Tiefdruckgebietes mithilfe der Pfeile darzustellen. Das ist zwar eine vielfach umgesetzte Idee und die Fernseh-Wetterleute präsentieren das jeden Tag. Sie benutzen dafür moderne digitale Technik, die unsere „arme“ Schule nicht hatte. Aber die Geografie hatte ja mich, Dirk Sommer, Lehrer im 2. Dienstjahr, der im 3. Dienstjahr ein vollwertiger Lehrer sein wollte. Ein Lehrer, der über besondere Fähigkeiten verfügte und diese auch einsetzen wollte.

Zwei ältere Damen betraten zuerst den Raum, dann stürzte ein „mittelalterlicher“ Kollege in den Raum. „Kollege Dirk Sommer? Geografie 9. Klasse?“

Ich nickte und konnte beginnen. Meine Klasse war vorbildlich. Der K.F. „riss sich ein Bein aus.“ Die beiden älteren Damen lächelten sehr freundlich und der „mittelalterliche“ Kollege zeigte seine Zustimmung mit einem nach oben gestreckten Daumen. Ich schwamm auf dem Erfolg des Glücklichen. Also startete ich den Höhepunkt: meine Darstellung und Entwicklung eines Tiefdruckgebietes. Die Magnettafel erlebte ein „Feuerwerk“. Kraft meiner außerweltlichen Fähigkeiten verschob ich Kalt- und Warmluftpfeile ohne sie zu berühren, ließ Warmluft aufsteigen, Wolken entstehen, ließ es blitzen und donnern. Was ich nicht mit den Applikationen darstellen konnte, ergänzte ich mit farbiger Kreide. Die Stunde war zu Ende, mein Hemd durchgeschwitzt, meine Besucher äußerst zufrieden. Nun nervte mich der „mittelalterliche“ Kollege: „Wie haben Sie das gemacht? Welche Technik haben Sie für diese Demonstration eingesetzt?“

Ich behielt mein kleines Geheimnis, und ehe ich meine 9. Klasse verließ, rief ich in das Wirr-warr der Pause meiner Klasse zu: „Ihr wart prima! Super! K.F.! Super! Super!“

Und K.F.: „Bleiben Sie jetzt unser Lehrer?“

Im Lehrerzimmer erwartete eine Überraschung auf den Dirk Sommer, Lehrer im 2. Dienstjahr, der nun wahrscheinlich bestimmt im 3. Dienstjahr ein vollwertiger Lehrer sein wird. Belegte Brote, Getränke, eine versammelte Lehrerschaft, die mich mit Beifall empfing. Die Ansprache meines Chefs war kurz und knapp: „Kollege Sommer, Sie haben unsere Kollegen von der Schulaufsicht begeistert! Wir freuen uns mit Ihnen!“

 

3.      Wie mich die schöne Sophie eroberte

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Eigentlich will es die althergebrachte „Macho“-Kultur, dass der Mann die begehrte Frau erobert. Sie erfreut sich an seinen „Gaben“ und Stück für Stück kommt man sich näher und … eines Tages landet man dann im Bett. Um den möglichen Spekulationen vorzugreifen, auch ich landete bei meiner Sophie im Bett. Allerdings war das ein hartes Stückchen Arbeit. Und als ich mit meiner Sophie im Bett war, hatte ich das Gefühl, sie hat’s vollbracht!

Ich erzähle Ihnen das mal der Reihe nach, damit Sie wissen, wie ich gelitten habe.

Zuerst probierte ich es mit der einfachsten Methode: Wo Sophie war, da war auch ich. In den Pausen suchte ich ihre Nähe. Ich versuchte, Wünsche von ihren Lippen zu lesen. Doch Erfolg hatte ich damit nicht. Außer einem obligatorischen Küsschen gab es nichts – naja, sehr freundliche Blicke, gehauchte „Dankeschön“. Den Kollegen muss meine „Turtel-Tour“ sehr aufgefallen sein, denn der Physik-Müller meinte nur anzüglich: „Noch zu keinem Stich gekommen?!“

Ab sofort war ich auch zu Sophie der äußerst korrekte Kollege. Was wiederum auffiel und der Müller erneut gehässig bemerkte: „Na Herr Kollege, die Beute entflieht Ihren Krallen!“

Ich hätte den Müller erwürgen können. Schon wollte er weiter „Gift versprühen“, als mir einfiel: „Mensch - Dirk Sommer, du bist ein Außerirdischer mit besonderen Fähigkeiten!“ Und diese Fähigkeiten benutzte ich, um Müllers großes Mundwerk zu schließen, und zwar so heftig, dass ich seine Zähne hörte, wie sie knirschten.

Ich muss anfügen, dass das Schulkollegium prima war, ich konnte mir niemals ein besseres wünschen. Aber überall gibt es solch einen Stänker, solch einen gehässigen, fantasielosen Menschen, einen Kollegen, den man besser nicht beachten sollte. Ganz anders war da die kurz vor der Pensionierung stehende Musiklehrerin. „Nicht aufgeben, Kollege Sommer!“, erklärte sie schmunzeln. „Eine Festung fällt auch nicht an einem Tag!“

Auch mein Chef stand zu mir. „Bitte rechtzeitig uns den Hochzeitstermin mitteilen! Ihr bekommt eine tolle Hochzeitsparty!“

Ach, was bin ich doch für ein Trottel. Ich mache mich für Sophie zum „Affen“ und SIE? Sie verteilt ihre Küsschen, ihr Lächeln, ihr: „Wann sehen wir uns wieder?“

Ja, darauf bestand sie zu meiner Freude. Außerhalb der Schule waren wir fast unzertrennlich. Ich überwand meine Scheu vorm Einkaufen und schlenderte mit ihr von einem Laden in den anderen. In dieser Zeit erhielt mein Kleiderschrank neue Inhalte und mein Konto schrumpfte. Dafür bescheinigten mir die Mädchen aus der 10.: „Herr Sommer, Sie sind der

bestangezogenste Lehrer dieser Schule!“ Und dann kam der Nachsatz: „Frau Wünsch hat einen guten Geschmack!“ Und diese Frau Wünsch war meine Sophie.

Zweimal in der Woche spielten wir Tennis. Ich beschloss, keine „außerirdischen“ Tricks beim Spiel anzuwenden und dafür das Spielen richtig zu erlernen. Ich lief, ich hechtete ich knallte den Ball gekonnt einen Zentimeter vor die Linie – und alles mit meinen normalen Fähigkeiten. Es machte viel Spaß, mit Sophie zu spielen, zu duschen, zu schwatzen! Dann kam das „Tortenessen“, das Küsschen, das „Bis morgen Dirk!“

Winterferien! Ski laufen – einsame Skitouren durch eine verschneite Märchenlandschaft. Sophie freute sich darauf und bestand auf ihre Forderung: „Ich suche Berghotel und Urlaubsort aus!“ Ich fügte mich. Insgeheim hoffte ich auf ein kuschliges Doppelbett, schlaflose Nächte, auf heiße Küsse, auf …

Das Hotel war prima teuer, die Hotelkellerbar gut gefüllt, das Einzelzimmer nur zum Schlafen und Sophie fuhr mit mir riesige Strecken durch eine verschneite Märchenwelt. Bereits um 10 Uhr abends bekam ich mein „Gutenacht-Küsschen“, sie verschwand in ihr Zimmer und ich …

Ich brauchte eine neue Strategie! Eifersucht soll manchmal einer Beziehung neuen Schwung geben. So suchte ich mir am 3. Tag ein unbemanntes weibliches Wesen aus der Vielzahl der Unbemannten und startete immer in Anwesenheit meiner Sophie meine Flirtattacken.

„Ist wirklich ein nettes Mädchen“, meinte Sophie. „Nur vom Skilaufen hat sie keine Ahnung.“ Und dann: „Willst du mit ihr morgen im Hotel flirten oder machen wir die 8-Stunden-Tour?“

Na klar – Sophie blieb Sieger. Es waren wunderschöne Ski-Urlaubstage und die miesesten einsamen Nächte in einem Einzelzimmer.

Zurück in meiner Wohnung grübelte ich über diese komische Beziehung. Und das waren meine Gedanken: „Sophie ist lesbisch. Sie steht nicht auf Männer!“ – „Sophie braucht einen Trottel, wie ich einer bin, um ihr Selbstwertgefühl zu steigern!“ – „Sophie wartet darauf, dass ich ihr einen Heiratsantrag mache! Sophie will nur feste Bindungen – Bindungen für die Ewigkeit!“

Dieser letzte Gedanke ließ mich nicht los. Ich dachte und dachte und handelte. Mein Konto war erschreckend leer – mein Überziehungskredit aber noch nicht angetastet – also auf zum Juwelier. Als Erstes stellte ich fest: Dirk, du bist ein armes „Schwein“! Als Zweites pfiff ich auf die hohen Überziehungszinsen und kaufte einen Verlobungsring. Und drittens machte ich mich am Sonnabend auf, um Sophie zum Abendessen auszuführen. Sophie im Abendkleid, ich in meinem neu gekauften Grauen mit Weste, Fliege und Einstecktüchlein – das beste Restaurant in unserer Stadt und auch das teuerste. Nach dem Abendessen, bei einer guten Flasche Wein wagte ich den Antrag. Und Sophie? Sie strahlte mich an - ich bekam kein Küsschen, ich bekam einen heißen Kuss. Und dann „beichtete“ Sophie: „Als ich dich am 1. Schultag sah, habe ich mich in dich verliebt. Eine Woche später habe ich auf dem Standesamt unseren Hochzeitstermin festgelegt. Ostern wird geheiratet! Nur - warum hast du solange gewartet?“

„Ich, ich, ich …“ Ich stotterte keine Antwort zusammen. Sie: „Ist doch egal! Hauptsache, du liebst mich!“ Und dann flüsterte sie mir ins Ohr: „Ich freue mich auf diese Nacht bei dir!“

Was war das für eine Nacht!!! An Schlafen war nicht zu denken! Eine Nacht, die ich nie vergessen werde! Eine Nacht, die Folgen haben musste! Eine Nacht, die aus uns eine vierköpfige Familie machte! Ich liebe sie, meine Sophie – aber erobert habe ich sie nicht. Sie hat mich … betört, weich „geküsst“, an der langen und kurzen „Leine geführt“, sie hat mich verführt und erobert! Was für eine tolle Frau – die Mutter meiner zukünftigen Kinder!

 

 

4.      Wie ich Vater wurde

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Ostern wurde geheiratet. Sophie hatte den Ostersonnabend für uns beim Standesamt auserwählt und ich hatte dank Sophies Einkaufsbummel keine Kleidersorgen. Sophie wusste, was sie wollte, und sie wollte ja mich. Also hatte sie - angefangen von der Bekleidung bis zur gemeinsamen Wohnung - alles vorher geregelt. Sie zog aus ihrer 1-Zimmer-Wohnung in meine 1 ½-Zimmer-Wohnung. Die Feier, zu der alle Kollegen eingeladen waren, fand im Tennisklub statt. Mein Direktor hielt Wort und organisierte für uns diese Feier. Da er wusste, dass weder Sophie noch meine Person irgendwelche familiäre Bindungen hatten, fand er, dass das Kollegium unsere Familie sein könnte. Es wurde viel geredet, viel gelacht, viel getrunken und viel getanzt. Zu den Reden muss ich anführen, dass mein Direktor die Glückwunsch-Rede für die junge Familie übernahm und ich musste antworten. Doch als ich mich zur Antwort erheben wollte, flüsterte mir Sophie ins Ohr: „Zu einer Familie gehören Kinder! Ich bin schwanger! Bring das dem Direktor schonend bei!“

Ich wurde bleich, ich wurde rot, ich wusste nicht, was ich denken sollte, ich saß nur verstört auf meinem Stuhl. Meine Kollegen starrten mich an. So kannten sie den Dirk Sommer nicht. Der „Sommer“ war doch noch nie sprachlos gewesen. Die Musiklehrerin meinte sogar aufmunternd freundlich: „So antworten Sie doch. Wir hören Ihnen zu!“

Antworten?! Was soll ich antworten? Ich werde Vater – meine Sophie Mutter – wir werden eine richtige Familie!

Sophie neben mir lächelte, küsste mich und flüsterte: „Du musst jetzt aufstehen und die Antwortrede halten!“ Als hätte mich Sophie hypnotisiert, erhob ich mich, schaute in die Augen meiner Kollegen und schrie meine Antwortrede in den Saal: „Ich werde Vater! Vater von Zwillingen! Von Grit und Gregor!“ Und mich an meinen Direktor wendend, fragte ich ihn, ob ich ihm diese Mitteilung schonend beigebracht habe. Er feixte und nickte nur. Um dieses „schonend beibringen“ zu verstehen, müssen Sie wissen, dass es einen chronischen Lehrermangel gab und der machte auch nicht vor den Fächern Sport und Geschichte halt. Jetzt wurden Toasts ausgerufen: auf die Mutter und den Vater, auf Grit und Gregor! Auch meine Sophie wollte mit anstoßen, doch ich entrüstete mich: „Sophie, denk an unsere Kinder!“

Und Sophie: „Ich trinke doch schon den ganzen Abend reines Quellwasser!“ Und dann kam ihre Frage, die ich ihr nicht beantworten konnte: „Wieso meinst du, dass es Zwillinge werden? Und ein Mädchen und ein Junge? Und wieso heißen sie Grit und Gregor?“

Ich stammelte nur: „Ich wusste es einfach – einfach so! Auch ihre Namen!“ Und dann gab ich noch etwas aus meinem Unterbewusstsein preis: „Sophie, ich wollte immer Vater von Zwillingen sein und sie hießen in meinen Gedanken immer Grit und Gregor!“

Und Sophie umarmte mich. „Ich werde mein Bestes geben!“ Und lächelnd entführte sie mich zum Tanz, um anschließend sich auch in meinem Namen bei unserer Hochzeitsgesellschaft zu bedanken. Und das fröhlich feiernde Kollegium verabschiedete uns zur Hochzeitsnacht.

Ach – Hochzeitsnacht! Nächte waren das!!! Ach Sophie –ich bin dir mit Haut und Haaren, mit allen Sinnen verfallen! Sophie – du bist eine Fee, eine Hexe, eine Überirdische, ein Engel in Menschengestalt! „Sophie, ich liebe dich!“, hauchte ich. Und sie: „Fürs ganze Leben?“

„Für alle Leben dieser Welt!“

Auch ein Osterfest und eine Hochzeitsnacht haben ein Ende. Der Alltag hatte uns wieder und wir bemühten uns, alles zutun, um unseren Kinder einen guten Start in diese Welt zu ermöglichen. Und was wir alles brauchten?! Zuerst eine größere Wohnung mit Kinderzimmer! Dann Kinderbettchen, Babykleidung, Bücher über Säuglingspflege! Als ich mich in zwei Kinderfahrräder „verguckte“, hielt mich Sophie vom Kauf ab. „Damit warten wir. Wir müssen noch ein paar Möbel fürs Wohnzimmer kaufen.“

Ja, ja - unser Kinderzimmer war fast komplett eingerichtet, aber unsere Wohnzimmereinrichtung bestand aus einem Bücherregal und einem Fernsehsessel. Also Kredit aufnehmen und einkaufen gehen. Für Sophie war es eine reine Freude, für mich oftmals eine Qual. Warum muss ich mir 30 Couchgarnituren anschauen, um dann doch die 1. zu kaufen. „Es ist unsere erste Wohnung!“, ermahnte mich Sophie und ich „schmolz“ dahin. „Unsere erste gemeinsame Wohnung!“ Das ist ein Meilenstein in einer Ehe!!!

Sophies Bäuchlein „wuchs“ und mit ihm meine Ungeduld. Längst hatte mir der Arzt bestätigt, dass ich Vater von Grit und Gregor werde. Meine Zwillinge kannte ich in „Schwarz-Weiß“ und in „Farbe“. Ich wusste, dass Grit immer um ihren Bruder beschützend den Arm legte und so meinte ich, Grit wird zuerst das Licht dieser Welt erblicken. Aber Gregor war der Ungeduldige. Er strampelte manchmal so heftig, dass Sophie beruhigend ihr Bäuchlein streichelte. „Gregor hat’s eilig“, meinte dann Sophie, „er wird der Erste sein.“

Der achte Monat ging zu Ende, im neunten Monat sah meine Sophie so „gerundet“ aus, dass ich fast jeden Tag mehrfach fragte: „Ist es jetzt soweit?!“

Dann bekam ich einen „Beruhigungskuss“ und Sophie hielt mir den Terminkalender unter die Nase: „Unsere Kinder sind pünktlich! Sie kommen keinen Tag zu früh!“ Und Sophie lächelte mich an und ich bemühte mich, ruhig zu bleiben. Nun bleiben Sie mal ruhig, wenn zu Hause Ihre hochschwangere Frau ist und Sie selbst müssen Unterricht erteilen. Und dann klopft es an die Klassenzimmertür und die Schulsekretärin flüstert: „Herr Sommer, ein dringendes Telefonat!“

Ein dringendes Telefonat. Ich wurde kreideweiß. „Sophie! Die Zwillinge!“ Meine Klasse litt mit mir. K.F.: „Jetzt werden Sie Vater?!“

Am Telefon wäre ich fast zusammengebrochen. „Ja, Sommer hier! Ist was …“

„Herr Sommer, wir hätten jetzt zwei Plätze für Ihre Kinder frei! Ab morgen könnten wir sie bei uns in der KITA aufnehmen!“

Dirk Sommer! Was bist du für ein Hornochse! Meldest deine noch ungeborenen Kinder zur KITA an und bestehst auf „größte“ Dringlichkeit!

Drei Tage später klopft es erneut an die Tür. Diesmal stand mein Chef im Klassenraum und verkündete mir und meiner Klasse: „Herr Sommer, Anruf von Ihrer Frau! Sie möchte Sie ins Krankenhaus bitten!“

Und ich, Dirk Sommer, vollwertiger Lehrer im dritten Lehrerjahr, ich stand vor meiner Klasse und bewegte mich nicht. Erst das fröhliche Klatschen meiner Klasse brachte mich ins Leben zurück. Ich hörte K.F. laut rufen: „Endlich!!!“ Meine Schüler lachten und ich vernahm ganz von Weitem meines Chefs Stimme: „He 10a! Ich werde Herrn Sommer mal ins Krankenhaus fahren! Ihr macht jetzt eure Hausaufgaben und bitte ruhig und diszipliniert. Kann ich mich drauf verlassen!“

Und der großspurige K.F.: „Für Herrn Sommer tun wir alles!“

 

 5.     Wie ich mich als Vater und Lehrer machte

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Die Fahrt ins Krankenhaus war für mich eine Tortour. Was mir nicht alles durch den Kopf ging, furchtbar! Meine Sophie dem Tode nahe auf der Intensivstation! Meine Kinder – Totgeburten! Ich verfluchte alle „roten Ampeln“, obwohl ja mein Chef fuhr, gab ich Gas und drückte fast das Bodenblech durch. Schneller! Schneller! Ich wollte meine Sophie in die Arme nehmen, ihr beistehen! Ich wollte meine Zwillinge küssen, wollte endlich Vater sein!

Ich war Vater!!!

Sophie begrüßte mich mit beiden Kindern, mit Grit und Gregor! Und nun raten Sie mal, wer zuerst das Licht dieser Welt erblickte? Na? Sie haben recht! Es war der Ungeduldige – mein Sohn Gregor. Und als ich Sophie mit den Zwillingen so sah, Sophies strahlendes Lächeln, das Gähnen der beiden Kleinen – es gab keinen glücklicheren Menschen auf dieser Welt!

Ich stand nur vor dem Bett und starrte auf dieses schöne Bild: meine Frau und meine Kinder! Es war ein Bild, dass ich mein Leben nicht vergessen werde. Doch dann musste ich schon wieder gehen. „Bis heute Abend!“, rief ich noch meiner Sophie zu und dann war ich auch schon vor der Tür. Ein Spaziergang durch den nahen Park brachte den Dirk Sommer auf diese Erde zurück. Allerdings muss ich gestehen, dass in diesen sieben Tagen, in denen Sophie mit den beiden Kleinen im Krankenhaus bleiben musste, ich nicht mit meiner „ganzen Person“ bei meiner Arbeit war. Meine Klasse erwischte mich z. B., wie ich nach einem Vortrag von K.F. versonnen vor mich hinstierte, lächelte und – ich gebe es zu – Grimassen schnitt - Grimassen, wie man sie vor kleinen Kindern schneidet. Und fast wäre mir herausgerutscht: „Du, duu, du..du…du…! Ja, wo ist denn die Grit? Wo ist denn der Gregor?“

Ein Glück, dass K.F. mich „erweckte“: „Herr Sommer, zensieren Sie meinen Vortrag?“

O weh! Nichts, gar nichts habe ich vom Inhalt dieses Vortrages mitbekommen – nichts! Diese Blöße durfte ich mir vor meinen Schülern nicht geben. Also schnell in die Trickkiste gegriffen: „Drei Mitschüler sollen dich bewerten! Such dir ‚deine Bewertungslehrer‘ selber aus.“ Natürlich bekam K.F. eine glatte „Eins-plus“! Ich allerdings arbeitete an meiner Konzentration. So etwas kann sonst zur Peinlichkeit werden!

Dann kam der Tag, indem ich meine Sophie mit unseren Kindern vom Krankenhaus abholen konnte. Das Taxi, das ich bestellt habe, musste frisch gesäubert sein. (Ich vermute, ich habe sogar „keimfrei“ verlangt.) Das Kinderzimmer hatte ich die letzten Tage mehrfach geputzt, jetzt wurde es noch einmal inspiziert – alles in Ordnung! Grit und Gregor können einziehen. Doch die nahmen nichts von ihrem wirklich schönen Kinderzimmer wahr, sie schliefen nämlich. Auch meine Sophie war sichtlich ermüdet, sodass ich den vorbildlichen Hausmann hervorkehrte.

„Du bist ein Schatz!“, sagte meine Sophie, als ich ihr ihr Lieblingsessen servieren wollte. „Ich habe keinen Hunger! Bleibst du bitte wach, ich möchte schlafen – nur schlafen!“ Und Sophie schlief und schlief und zu meinem Glück schliefen auch die Zwillinge. Allerdings als Sophie aufwachte, bekam ich Ärger: „Dirk, die Kleinen. Sie müssen doch trinken!“

„Aber du wolltest doch …“

„Die Kleinen müssen trinken! Hast du?“ Natürlich hatte ich nicht … die Babymilch vorbereitet.

Es war eine stressige Nacht, kaum Schlaf und … kaum war ich in den Schlaf „gesunken“, schreckte ich hoch: Hat da nicht einer der Zwillinge gegreint? Was war das für ein Geräusch? Erst gegen Morgen schlief ich tief und fest. Sophie bereitete die Kindernahrung zu.

Es gab noch viele schlaflose Nächte, viele traumlose Schlafeinheiten, viele Hochschreckmomente; und es gab Schüler, die ihrem Lehrer beistanden. Die Mädchen meiner Klasse waren richtig vernarrt in die Zwillinge, und sie übertrieben ihre Kinderliebe so sehr, dass Sophie ein Machtwort sprechen musste. Das nachmittägliche Ausfahren wurde jetzt nach festen Regeln ausgeführt. Und ich hatte in diesen zwei Stunden mal meine Sophie nur für mich alleine – und wir genossen diese Stunden ohne unsere Zwillinge.

Die Zeit verging, die Zwillinge gediehen prächtig. Wir überstanden den ersten Zahn, den verdorbenen Magen und sonst noch alles, was ein Baby in seiner „Großwerdung“  auszeichnet. Und eigenartig war, dass immer Grit und Gregor zur selben Zeit das „Zahnen“ hatten und wenn Grit hustete, tat es ihr Gregor garantiert nach. Sie waren eben echte Zwillinge!

In dieser Zeit hatte ich auch beruflich zwei große Erfolge aufzuweisen. In der 12. Klasse kam K.F. in meine „Sprechstunde“. „Herr Sommer“, sprach K.F. mit leicht gerötetem Gesicht, „ich möchte solch Lehrer werden, wie Sie es sind! Ich wollte Sie fragen, was Sie davon halten! Würde ich das schaffen?“

Alles hatte ich erwartet – das aber nicht! K.F., der einstmals das große Sorgenkind des gesamten Lehrkörpers war, dieser unerzogene Karl Friedrich will Schüler unterrichten, Schüler, die so sind, wie er einst war!

Ich starrte meinen Schüler an. Der dachte wohl, ich hielt sein Vorhaben für eine schlechte Sache und wollte schon das Zimmer verlassen. Jetzt musste ich schnell handeln, denn sonst verliert die Schulverwaltung einen jungen talentierten zukünftigen Lehrer.

„Karl Friedrich Lampers, du wirst ein guter Lehrer! Bewirb dich an einer Uni und zögere nicht!“ K.F. strahlte. „Danke!“ - und schon wollte er verschwinden. „Welche Fächer?“, fragte ich noch schnell. „Die, welche Sie unterrichten!“

Auch das noch! Ein solcher Tag kann nicht schöner sein! „Ein Schüler nimmt dich zum Vorbild!“, sinnierte ich, „Mannomann - Dirk Sommer, was bist du für ein guter Lehrer!“

Ich muss ehrlich bekennen, dass ich ganz schön stolz auf meine Lehrer-Fähigkeiten war. Zuhause war es das Erste, was ich meiner Sophie erzählen musste. Und Sophie lächelte: „Also hat der K.F. doch seinen ganzen Mut zusammengenommen und dich gefragt!“

„Wieso, wusstest du …?“

„Schon vor einer Woche! Er wollte von mir wissen, was du von ihm hältst. Und natürlich auch, ob du ihm den Lehrerberuf zutraust.“

Und ich habe gedacht, ich kenne meine Schüler. Dieser immer großspurige, manchmal großkotzige K.F. hat Minderwertigkeitskomplexe?! Man lernt nie aus!

Das zweite Ereignis ereilte mich nach der letzten Arbeitsbesprechung vor den Großen Ferien. Mein Chef schickte mich mit einem Stapel Unterlagen in sein Direktorenzimmer. „Bitte warten Sie. Ich komme gleich!“

Es dauerte doch länger, und da ich direkt vor dem Direktorenschreibtisch stand, dachte ich so bei mir: „Wie sitzt es sich wohl auf solch einem Direktorenstuhl?“ Und schon saß ich und schaute in die Runde. Jetzt fiel mir der Müller, der Physik-Müller ein. Und so erhob ich doch wahrhaftig meine Stimme und rief meiner imaginären Sekretärin zu: „Bitten Sie Herrn Müller sofort zu mir!“

Die Tür tat sich auf und mein Chef steht feixend vor mir. Hochrot schnellte ich vom Stuhl hoch, stammelte eine Entschuldigung und … „Bleiben Sie sitzen, Herr Sommer! Diesen Platz können Sie sofort einnehmen. Sie müssen wissen, dass man mich in der Schulverwaltung haben will – als Schulrat. Also braucht diese Schule einen neuen Chef. Darüber habe ich gerade mit Ihren Kollegen beraten. Ich habe Sie als meinen Nachfolger vorgeschlagen. Alle haben meinem Vorschlag zugestimmt!“

Ich war baff, erschlagen, nicht fähig, klar zu denken. Dann … „Auch der Physik-Müller?“

„Herr Müller hat sogar ein Statement abgegeben und meinte, dass in diesem Lehrerkollegium es keinen besseren Kandidaten für dieses Amt gäbe als den Dirk Sommer.“

Mein Chef gab mir keine Bedenkzeit. „Da auch Ihre Frau Ihrer Berufung zugestimmt hat, haben Sie keinen Grund, abzulehnen. Und da ich zukünftig als Schulrat auch über die Direktorenbesetzungen entscheiden muss, habe ich jetzt schon zugestimmt. Hier ist Ihr Bewerbungsbogen. Es ist alles vorbereitet – nur Ihre Unterschrift fehlt noch!“

 

6.      Wie ich meiner Sophie beichtete, dass ich ein Außerirdischer

         bin

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Ja, ich muss gestehen, beruflich ging es vorwärts. Und ehrlich muss ich mir eingestehen, es reizte mich, eine Schule zu führen. Mein jetziger Chef und zukünftiger Schulrat war mir immer als Vorbild willkommen. In einem alten Buch hatte ich einst in der Studienzeit gelesen, dass der Schulleiter/der Schuldirektor/der Rektor der „erste Pädagoge“ an der Schule sein sollte – ansonsten sollte er diese Aufgabe nicht übernehmen. Klar, diese Anschauung stammt aus einer längst vergangenen Zeit, aber wahr ist sie doch. Mein Chef war immer der erste Pädagoge; und ich wollte es auch sein. Wenn ich an mir zweifelte, ob ich diesen hohen Anspruch genügen könnte, und ich mit Sophie darüber sprach, bekam ich immer ein Küsschen und die Aussage: „Wer sonst, wenn nicht du?!“

Meine Sophie hatte viele kluge Sprüche parat, um ihre Meinung kundzutun. Und das betraf auch meine Kindererziehung – wohlgemerkt meine häusliche Zwillingserziehung. Dann hörte ich: „In der Schule setzt du deinen Schüler genau definierte Grenzen, in denen sie sich ‚bewegen‘ können. Zu Hause dürfen Grit und Gregor fast alles.“

Na ja, ein bisschen hatte Sophie schon recht, meine Zwillinge waren meine Lieblinge. Wagte ich dann ganz leise zu protestieren – etwa, dass ich anmerkte, dass sie doch noch sooo klein wären, hörte ich ein Sprichwort: „Schulmeisters Kinder und Pastors Vieh gedeihen selten oder nie!“ Und wagte ich dann, noch irgendetwas anzumerken, kam sie mir mit Wilhelm Busch: „Vater werden ist nicht schwer, Vater sein dagegen sehr.“

Ich glaube, meine Sophie würde die bessere Schuldirektorin sein!

Ich besserte mich, ein wenig, ein ganz klein wenig! Wenn Grit mich anlächelte, konnte Papa Dirk nicht widerstehen. Und wenn Papa Dirk mit Klein-Gregor Dummheiten machte, gab es auch für Grit kein Halten mehr. Das Zimmer war ein Schlachtfeld und musste natürlich aufgeräumt werden. Und von wem? Klar! Papa war dran. Wenn meine Sophie das sah, machte sie ihren „energischen Blick“, streckte den Zeigefinger aus und Grit und Gregor halfen ihrem armen geplagten Papa. Ach – es ist doch herrlich, eine solche Familie zu haben!

Etwas wusste Sophie nicht von ihren beiden Kindern. Ich habe es beim Herumalbern, beim Spielen entdeckt. Meine Zwillinge neckten mich, indem sie den Gegenstand, den ich erhaschen sollte, zwischen sich hin- und herschoben. Nun können Sie denken: „Na klar, so geht das Spiel!“ Jetzt müssen Sie aber wissen, für das Hin- und Herschieben benutzten meine beiden Lieblinge keine Hände. Sie bewegten den Gegenstand mit der Kraft ihrer Gedanken.

Ich war über ihre Fähigkeiten so erschrocken, dass ich das Spiel unterbrach. Auch die Zwillinge schienen irgendwie verstört zu wirken. „Wie lange könnt ihr das schon?“

Ich bekam keine Antwort, dafür zeigte mir Gregor, dass er in der Lage war, das Kinderbuch aus dem Bücherbord auf den Tisch „fliegen“ zu lassen. Und Grit „blätterte“ ohne ihre Hände im Buch – bis zu der Geschichte, die ich jetzt vorlesen sollte.

Ich las stockend, war nicht bei der Sache. „Ich habe meine ‚außerirdischen Fähigkeiten‘ meinen Kindern vererbt!“ Dieser Gedanke ließ mich nicht mehr los. Ich muss jetzt gestehen, dass ich über meine besonderen psychokinetischen Fähigkeiten niemals mit Sophie gesprochen habe.

Und nun grübelte ich, ob und wie ich das meiner Sophie beibringen sollte.

Ich musste! Mein Gefühl sagte mir, dass ich dies unbedingt tun müsste, ansonsten gäbe es einen bösen Bruch in unserer Liebe und Harmonie. Ich brauchte nur noch einen Moment, einen richtigen Augenblick, um ihr diesen Schock beizubringen: Ihr Mann und ihre Kinder haben außerirdische Fähigkeiten!

Der Moment kam mit einem Abendessen und einer guten Flasche Wein. Unsere Zwillinge wurden von zwei Babysittern betreut, die sich dafür sehr gerne angeboten hatten. Ein älteres Ehepaar aus der untersten Etage quälte sich sehr gern die Stufen bis in den 3. Stock hinauf, um mit Grit und Gregor zusammen zu sein. Für ihre Hilfe und Kinderliebe verliehen ihnen die Zwillinge den ehrenvollen Namen „Oma“ und „Opa“. Und Oma und Opa waren die glücklichsten Alten, wenn sie mit den Zwillingen zusammen sein konnten.

Und ich wollte auch zukünftig ein glücklicher Ehemann und Vater sein. Also … Ich gab mir einen Ruck. „Sophie, ich muss dir etwas beichten!“

Sophie machte große, riesengroße Augen. „Hast du etwa eine …“

„Nein, nein! Sophie, ich liebe nur dich! Nur dich und keine andere! Es ist etwas anderes. Es betrifft mich und unsere Kinder.“

Sophies Erregung war aus ihrem Gesicht verschwunden. Entspannt meine sie: „Na so schlimm kann das wohl nicht sein.“

„Ob schlimm oder nicht schlimm … du musst es unbedingt wissen. Ich habe besondere psychokinetische Fähigkeiten! Ich bin ein ‚Außenirdischer‘ und Grit und Gregor haben diese Eigenschaften von mir geerbt!“

„Was bist du?“

„Ein ‚Außenirdischer‘!“

Sophie lachte laut los.

Jetzt war ich sprachlos. Ich wusste nicht, wie ich auf ihr Lachen reagieren sollte. Ich spürte, meine Sophie glaubte, ich flunkere ihr etwas vor.

„Eine Probe – ja, ich musste ihr eine Probe meines Könnens geben. Was bietet sich an?“ Mein Gehirn arbeitete mit „Volllast“.

Ich schaute mich um, und als ich sah, dass Sophie nach ihrer Handtasche greifen wollte, ließ ich die Tasche vom freien Nachbarstuhl in ihre Hand schweben. Ich öffnete die Tasche und ein weißes Tüchlein flatterte zu ihrem Gesicht. Erschrocken griff Sophie nach dem Taschentuch. Sie starrte mich fassungslos an.

„Glaubst du es mir jetzt? Oder noch eine Kostprobe?! Schau zu dem leeren Tisch am Eingang. Ich werde einen Stuhl verstellen.“ Und ein Stuhl schwebte sehr langsam zu einer Ecke. Dort ließ ich ihn stehen.

„Das können die Zwillinge auch?!“

Ich nickte und ich erzählte und erzählte. Ich ließ nichts aus, auch nicht den Traum, indem mir verkündet wurde, ich sei ein Mensch, der nicht von dieser Welt sei. Nach dieser „Beichte“ sah mich Sophie lange an, nahm meinen Kopf in beide Hände und ich erhielt einen wahrlich herrlich gefühlvollen Kuss. „Dirk, jetzt weiß ich wenigstens, warum ich mich am 1. Schultag in dich verliebt habe. Du bist wirklich etwas ganz Besonderes! Mein Außerirdischer!“

An diesem Abend war das Wort „Außerirdischer“ tabu. Ich merkte aber, meine Fähigkeiten, die nun auch die Zwillinge besaßen, beschäftigten sie mächtig. So überraschte es mich auch nicht, dass Sophie mir verkündete, sie habe einen Termin mit einem anerkannten Psychiater ausgehandelt, der mich 24 Stunden unter Beobachtung haben wollte. Und dann ihre Frage, die fast ängstlich klang: „Würdest du das machen?“

„Aber ja! Vielleicht klärt dieser Psychiater mich über meine besonderen Fähigkeiten auf! Und wenn nicht – ach, das ist auch nicht schlimm!“

Sophie war erleichtert – ich war es auch. Termin war in 14 Tagen, ein Tag in den Frühlingsferien.

 

     7.    Epilog

           ……………

Zaghaft klopfte Sophie an die Tür. Auf dem Türschild stand: Prof. Dr. Dr. Robert Schulzen. Und darunter ein scheinbar uraltes Emaille-Schild mit einer altmodischen Schrift, auf dem stand: Leiter. Sophie klopfte erneut und wieder lauschte sie, ob ein „Herein!“ zu hören war. Nichts! Schon wollte sie umkehren, aber so schnell gibt eine Sophie Sommer nicht auf. Sie war mit diesem Professor verabredet und diesen Mann musste sie jetzt sprechen. Schließlich ging es um ihren Mann, um ihre Kinder! Sie hämmerte nun mit der Faust an die Tür.

Endlich! Deutlich war ein „Herein!“ zu hören. Sophie drückte die Türklinke herunter und schon stand sie in einem Raum, der einem Arbeitszimmer aus dem Anfang des 20. Jahrhunderts glich. Ein mächtiger Schreibtisch stand im Zentrum, an den Wänden uralte Aktenschränke und sonst gab es nur noch viele Blumen, die schon beachtliche Größen erreicht hatten.

Sophie kam sich einsam und verlassen vor. Sie zweifelte schon, und sie glaubte, sich verhört zu haben. In diesem Raum gab es nur sie und keinen Professor. Sophie ging zur Tür zurück, und als sie diese öffnen wollte, hörte sie: „Frau Sommer?! Bitte bleiben Sie!“

Sophie drehte sich verblüfft um und sah einen älteren mittelgroßen Mann mit weißem Haar und einem schneeweißen Vollbart. „Der Weihnachtsmann! Ein Weihnachtsmann für Grit und Gregor!“, dachte sie.

„Nein, nein!“, sagte da dieser „Weihnachtsmann“. „Das mache ich nicht!“

Sophie durchzuckte es: „Dieser Mann kann Gedanken lesen!“ Laut sagte sie: „Können Sie etwa …?“

„Nein, Frau Sommer! Ich wende nur einen kleinen psychologischen Trick an und der klappt zu 90 %. Mein Aussehen inspiriert junge Muttis sofort, an den Weihnachtsmann zu denken und wenn ich antworte, dann …“

Sophie lachte. „Es hat bestens funktioniert! Ich wollte Sie am liebsten für meine Zwillinge ‚buchen‘!“

Der Professor lächelte. „Wenn meine Frau Sie jetzt hätte hören können, dann würde sie verstehen, warum mein Äußeres mir hilft, den Menschen, die zu mir kommen, zu helfen. Der Weihnachtsmann ist eine solch positive Figur, dass sich ihm kein Mensch - kein Alter und kein Kind verschließen kann. Und mir hat meine ‚Erscheinung‘ geholfen, unsichtbare Mauern, die zwischen uns bestehen, zu beseitigen. Wir können uns zwanglos über Ihre Probleme und Sorgen unterhalten. Und da muss ich sofort einhaken: Sie brauchen sich keine Sorgen um Ihren Mann und um Ihre Kinder machen.“ Und Professor Schulzen schaute der Sophie prüfend ins Gesicht. „Es gibt keinen Grund – wirklich nicht!“

Sophie atmete tief durch. „Danke! Das war das Wichtigste, was ich hören wollte!“

Professor Schulzen nickte.          

 „Also Frau Sommer, alle Testergebnisse sind negativ, Ihr Gatte ist körperlich fit und geistig auf dem Höhepunkt. Ich kann mir keinen besseren Patienten wünschen. Es ergeben sich aber noch einige Fragen, die wir gemeinsam beantworten sollten, ehe wir das Gespräch mit Ihrem Gatten suchen. Ich habe Herrn Sommer gestern gebeten, doch Interessantes zu seinen besonderen psychokinetischen Fähigkeiten aufzuschreiben. Schauen Sie, er hat die halbe Nacht geschrieben und hat mir heute Morgen eine Kurzgeschichte abgeliefert. Lesen Sie bitte und anschließend sprechen wir drüber – einverstanden?!“

Sophie nickte und erhielt das handgeschriebene Manuskript.

 

Und Sophie las …

„Wie ich mich als Außerirdischen entdeckte

     

Mein Tagebuch beginnt mit dem Eintrag vom 17. September. Es war ein Sonntag und ich genoss das längere Schlafen, die Ruhe und das Nichtstun. Obwohl ich auf dem Wecker schon 7.34 Uhr lesen konnte, schloss ich nochmals die Augen. ‚Noch eine Runde‘, murmelte ich und ich schlummerte wirklich ein …“

 

Nach einer Stunde erschien Professor Schulzen. „Dies ist die Sicht Ihres Mannes. Würde Sie dies so bestätigen?“

Sophie erwiderte: „Ja, auch alle Einzelheiten!“

 „Gut! Es ist interessant zu differenzieren: Ihr Mann bewegt tote Dinge. Aber er beschrieb auch, wie er versuchte, Sie zu manipulieren. Ich denke da an zwei Szenen: 1. als er Sie zwang, zu ihm zu schauen und 2. als Sie in der Dusche den Vorhang zur Seite schoben.“

Frau Sommer errötete. „Es war so, ich habe mich am 1. Schultag unsterblich in meinen Mann verliebt. Ich wollte ihn und keinen anderen. Ich bin immer extra einen kleinen Umweg zum Tennisplatz gegangen, in der Hoffnung, ich würde ihn in der Nähe seiner Wohnung sehen. Ich kam mir wie ein unreifer Teenager vor, aber ich wollte ja nur ihn. Und als er an dem bewussten Sonntag aus dem Fenster sah, da ergriff ich meine Chance, ihm näher zu kommen. Ich glaube, ich habe ihn eher mit meinem Gefühl hypnotisiert, als dass er Gewalt über mein Handeln hatte. Auch den Vorhang in der Dusche schob ich bewusst zur Seite. Ich wollte ihn mit meinem Körper bezirzen.“

Sophie Sommer errötete wieder. Professor Schulzen lächelte: „Ach ja, die Jugendzeit …“

Dann: „Gut, führen wir das Gespräch mit Ihrem Gatten.“

 

Dirk Sommer umarmte und küsste seine Sophie. „Die Zwillinge?“

„Oma und Opa passen auf.“ Sophie holte tief Luft. „Der Professor hat mir versichert, dass mit dir und den Zwillingen alles in Ordnung sei. Wir brauchen uns keine Sorgen machen.“

„Aber eigenartig ist es schon! Früher habe ich die Parapsychologie immer als Scharlatanerie abgetan. Und jetzt könnte ich im Zirkus auftreten!“

„Davon würde ich Ihnen abraten, Herr Sommer!“ Der Professor mischte sich lächelnd in das Gespräch ein. „Leben Sie ihr Leben weiter. Mein Rat: Verbergen Sie Ihre psychokinetischen Fähigkeiten. Die Welt ist noch nicht bereit für solche Phänomene! Ich könnte Sie jetzt als Ihr Arzt bitten, mir vor meinen Kollegen zu einem effektvollen Auftritt zu verhelfen. Was glauben Sie, wie diese klugen Menschen staunen würden! Sie wären ein Star und ich weltberühmt. Nun - zu Ihrer Information: Ihre Akten sind unter ‚PRIVAT‘ abgelegt und da habe nur ich Zugang.“

„Danke Professor!“ Dirk Sommer schien erleichtert. „Aber haben Sie eine Erklärung für diesen Traum. Erst da waren mir meine Fähigkeiten bekannt.“

„Sie haben schon selbst die Antwort gegeben: Ihr Traum blieb in Ihrem Bewusstsein und Sie ‚stolperten‘ über Ihre Fähigkeiten, die Sie garantiert schon vorher besaßen. Nur wussten Sie nichts davon. Nie hatten Sie versucht, mithilfe Ihrer Gedanken tote Materie zu bewegen. Ihre Kinder müssen durch einen Zufall diese Fähigkeiten entdeckt haben. Für Ihre Entwicklung wäre es günstig, die Zwillinge würden ihre psychokinetischen Fähigkeiten ‚verstecken‘.“

Der Professor lächelte, als er fortfuhr: „Es gab schon zu allen Zeiten Absonderliches. Wieso äußert sich wohl Shakespeare im Hamlet: ‚Es gibt mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als Eure Schulweisheit sich träumen lässt‘. Und ich kann Ihnen sogar aus der jüngeren Vergangenheit, nämlich aus der 2. Hälfte des vorigen Jahrhunderts, Menschen nennen, die ‚überirdische Kräfte‘ besaßen. Z. B. lebte in Osteuropa eine Frau, die einen Röntgenblick besaß. Sie arbeitete als Heilerin und hatte große Erfolge. Ärzte untersuchten sie mehrfach, aber keiner der Spezialisten fand eine Erklärung. Auch in Osteuropa wohnte ein Mann, der jeden elektrischen Stromstoß unbeschadet überlebte. Selbst Starkstrom war für ihn nicht lebensbedrohlich. Und dann gibt es noch Menschen, die den ‚Adlerblick‘ haben. Sie können auf 50 m Entfernung einen Brief lesen. Um diese Beispiele abzuschließen, möchte ich noch das ganz aktuelle Beispiel der sogenannten ‚Sonnenkinder‘ anführen. Die Brüder, 9 und 13 Jahre alt, leben in Pakistan. Am Tag sind es zwei völlig normale Kinder. Wird es aber dunkel, so können sie sich nicht mehr bewegen, weder Mund noch Augen öffnen. Mehr als 300 Untersuchungen wurden angestellt, um die medizinischen Ursachen für dieses Phänomen zu finden. Ohne Ergebnis! Und Sie Herr Sommer, Sie reihen sich mit Ihren Fähigkeiten in diese Menschengruppe ein. Irgendwann werden wir solche Phänomene auch wissenschaftlich erklären können.“

 

Als Dirk und Sophie im Auto saßen, meinte doch Dirk: „Was denkst du, ob unser nächstes Kind auch ‚außerirdische‘ Fähigkeiten haben könnte?“ Und Sophie antwortete lachend: „Ohne dieses Kind werden wir das nicht herausfinden!“

„Dann nichts wie nach Hause!“ Und fast hätte Dirk Sommer, der Mann mit den psychokinetischen Fähigkeiten eine rote Ampel überfahren. Und dieser Dirk Sommer dachte nach der Vollbremsung und dem Halt vor der Ampel: „Ob ich die Ampeln mit meinen außerirdischen Fähigkeiten immer auf ‚Grün‘ schalten könnte. Ich müsste das mal probieren!“ Und …