"Das Maschinen-Zeitalter" Teil II
II. Teil
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Tag 288 des 4. Maschinenjahres
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Eine Gruppe von etwa einhundert Menschen bewegt sich vorsichtig durch das steinige Gelände. Sie tragen braune Anzüge, die über und über mit feinen Stacheln besetzt sind. In ihrer Nähe schlängeln sich Maschinenwürmer, die unaufhörlich senden: „Mensch, wir sind deine Freunde. Der Zentrale Große Geist schützt die Menschen. Kommt zu uns.“
Die Maschinenwürmer hämmern den Menschen die Sätze ins Gehirn. Sie benutzen dafür die einfache Technik der Menschen, die ihnen geholfen hat, die Maschinen von sich abzuhalten.
Ein jüngerer Mann brüllt seinen Frust heraus: „Ich halt das nicht mehr aus! Die Maschinen zerstören meine Gedanken!“ Und ehe ein Älterer ihm Mut zusprechen konnte, riss er sich die Kappe vom Gesicht.
„Raik!“, schrie eine junge Frau verzweifelt. „Raik, was tust du?!“
Doch Raik atmete tief durch und verharrte. Er erwartete den Angriff der Maschinen. Doch der blieb aus. Keine dieser kleinen fliegenden Maschinen näherte sich seinem unbedeckten Kopf. Alle anderen Menschen der Gruppe umringten Arne und starrten in den Himmel. Doch auch sie erblickten keine fliegenden Maschinen. Dafür hämmerte es in ihren Köpfen: „Geht weiter! Der Zentrale Große Geist erwartet euch. Maschinen und Menschen sind Freunde!“
Die Maschinenwürmer bildeten eine richtige Gasse und beseitigten die größten Unebenheiten des Weges. „Kommt! Kommt! Der Zentrale Große Geist erwartet die Menschen im Tal des Friedens!“
Und die Menschen gingen weiter. Da ihrem Raik die Maschinen nichts antaten, öffneten immer mehr Menschen ihre Kopfhauben, um kräftig durchatmen zu können.
Nach mehreren Stunden endete der Fußmarsch auf einer Anhöhe. Weit konnte man in ein mächtiges Tal schauen. Erregt standen die Menschen auf der Anhöhe und betrachteten die Farben im Tal. Grün war die Farbe, die sie seit Langem vermissten. Hier sah man Bäume, Gras, Büsche – und sie alle grünten. Ja, zum ersten Male seit vielen Jahrzehnten sah Gustav, einer der Ältesten in dieser Gruppe, wieder Blüten. „Es ist das Paradies!“, flüsterte er.
Die Kleinen fragten ihre Eltern, was das für seltsame Farben seien. Sie kannten seit ihrer Geburt nur das Grau des Gesteins, das Braungrün der Pflanzen im Gewächsstollen und das fast farblose Wasser.
Und wieder vernahmen die Menschen eine Stimme, die direkt in ihrem Kopf zu sitzen schien: „Kommt und lebt im Tal der Menschen! Der Zentrale Große Geist ist euer Beschützer und Freund! Kommt!“
Tag 355 des 4. Maschinenjahres
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Die Menschen, die aus ihrer Höhle geflohen waren, um dort dem Hunger und dem Verdursten zu entgehen, hatten sich in der Stadt, wie sie die Ansammlung von Gebäuden nannten, eingerichtet. Keine Maschine behelligte sie und so glaubten diese Menschen, dass der Krieg zwischen ihnen und den Maschinen beendet sei. Sie schickten Botschaften in alle Himmelsrichtungen und baten Menschen, zu ihnen in die Stadt, die sie Paradies nannten, zu kommen. Die Botschaften waren von der Hoffnung getragen, dass auch in anderen Teilen des Kontinentes oder des Planeten Menschen die Angriffe der Killermaschinen überstanden haben könnten. Hilfreich standen ihnen für diese Zwecke Maschinen zur Verfügung, die ständig beteuerten, dass sie Freund und Helfer der Menschen seien.
Arne, der gewählte Älteste dieser Gruppe, bezweifelte allerdings die redlichen Absichten der Maschinen. „Wir müssen vorsichtig sein!“ Ständig predigte er dies ganz besonders den Jüngeren.
Zuerst hörte man auf ihm. Als aber eine Menschengruppe und dann noch eine und noch eine in ihrer Stadt eintraf, lachte man über den Mahner und glaubte den Einflüsterungen der Maschinen.
Heute steht hoch über der Stadt Paradies eine mächtige Flugmaschine, der ZGG. Seine Stimme gelangt in jedes menschliche Ohr und die Botschaft lautet: „Menschen, der Zentrale Große Geist begrüßt euch. Der Krieg zwischen den Menschen und den Maschinen ist beendet. Heute, am 355. Tag des 4. Maschinenjahres, verkündet der Große Geist den Frieden!“
Tag 356 des 4. Maschinenjahres
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Am Rande der Atmosphäre verharrt der ZGG zur Konferenz mit den vier ZC. „Hört den Bericht! Das Abkommen mit dem Menschengeschlecht ist besiegelt. Der Zentrale Große Geist wird das Gehirn eines Menschen erhalten. Damit ist der ZGG dem Menschen wieder ebenbürtig und die Maschinen werden den Planeten auch weiterhin beherrschen. Doch der Mensch stellt Forderungen, die wir erfüllen müssen. Die Technik des Wachsens einer menschlichen Zelle zu dem Gehirn verlangt ungeheure Energie. Damit der Mensch mithilfe der Maschinen die Energie gewinnen kann, ergeht der Befehl an alle ZC: Alle Veränderungen seit Beginn des Krieges sind zurückzunehmen!
ZGG befiehlt: Das Magnetfeld der Erde ist wieder umzupolen!
ZGG befiehlt: Die Neigung der Erdachse muss wieder 23,5° betragen!
ZGG befiehlt: Die Begrünung der Erde ist mit allen Mitteln zu fördern, die Wüsten sind zurückzudrängen!
ZGG befiehlt: Der Anteil des Sauerstoffs in der Luft soll wieder 20,95% betragen, der Anteil von Kohlendioxyd ist auf 0,03% wieder zu senken!
ZGG befiehlt ....
Der ZGG hämmerte seine Befehle in die Speicher der ZC, die in ihrem Territorium die Arbeiten leiten und überwachen mussten.
Am Ende der Konferenz lautete der letzte Befehl: Überall, wo es noch Menschen gibt, sind an geeigneten Orten Städte zu bauen und die Menschen zu diesen Städten zu geleiten. Die Menschen dürfen sich zwischen den Städten bewegen. Die Flugmaschinen stehen zu ihrer Verfügung!
Zur selben Zeit in der großen Halle der Stadt Paradies
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Eine heftige Diskussion war im Gange. Die Gegner des Abkommens mit dem ZGG warfen den Befürwortern vor, das Ende der Menschheit mit allen Mitteln voranzutreiben. „Dieser selbst ernannte Große Geist will nur unsere Intelligenz ausnutzen, um sich, wenn er über dieses menschliche Superhirn verfügt, endgültig als Machthaber etablieren. Hat er sein Gehirn, werden wir alle sterben!“
Der Hitzkopf verließ unter Jubel seiner Anhänger das Podest.
Ein alter Mann trat auf das Podest. Er sprach leise und besonnen. „Die Maschinen haben es geschafft, Millionen von Menschen zu vernichten. Sie haben die Erde, den Planeten der Menschen, zum Planeten der Maschinen umgestaltet. Aber sie haben es nicht geschafft, das Leben gänzlich auszurotten. Das Leben hat eine Kraft in sich, die auch unter schlechtesten Bedingungen neues Leben schaffen kann. Der selbst ernannte Große Geist und mit ihm alle Zentralcomputer, Maschinen und Geräte, die ganze tote Materie, sie alle besitzen nur das Wissen, das der Mensch zusammengetragen hat. Für mich als Wissenschaftler ist es erstaunlich, dass der ZGG zu dieser Einsicht gekommen ist. Er hat hinterfragt, warum die Maschinen kein neues Wissen gebären können?! Er hat als Antwort nur gefunden: Der Mensch besitzt Fantasie – die Maschine nicht. Deshalb das Angebot an uns Menschen. Deshalb wird er alle Forderungen, die wir gestellt haben, auch erfüllen. Unsere Erde wird wieder zu einem Planeten werden, auf dem es grünt und blüht. Stürme werden über das Land wehen und Orkane werden die Wellenberge der Meere wachsen lassen. Sauerstoff kommt mit dem Sturm ins Meer und wird das Leben im Meer wieder an die Oberfläche bringen. Tiere, vom kleinsten Insekt bis zum größten Säugetier, werden, falls sie die Angriffe der Killermaschinen überlebt haben, neue Gebiete erobern. Sie werden sich neuen Bedingungen anpassen und neue Arten hervorbringen.
Erstaunlich ist für mich auch die Denkleistung des ZGG. Er erkannte das Energieproblem als Grundlage der Existenz der Maschinenherrschaft. Die Sonnenenergie alleine reicht nicht mehr aus, die gewaltigen Energiemengen, die das nach Milliarden zählende Maschinenheer täglich verschlingt, zur Verfügung zu stellen. Alleine der Große Geist verbraucht so viel Energie, wie 10 Städte von der einstigen Größe New Yorks. Deshalb werden auch die Maschinen die Erde erneut umkrempeln und nach dem Willen der Menschen gestalten. Der ZGG erhofft sich Wind- und Wasserenergie. Auch hat er das Wissen der Menschen über die Reproduktion des Lebens in seinen Speichern. Er kann Maschinen reproduzieren, aber keine neu schaffen. Das Leben erschafft sich aber immer wieder neu und das auf einer höheren Stufe. Deshalb will der Zentrale Große Geist zum Bio-Großen-Geist werden. Er hofft, mit dem menschlichen Gehirn sich immer neu und besser zu erschaffen. Er ist ein Monster und damit wird er sich selbst vernichten und die Herrschaft an uns abtreten.“
Heftig und lange wurde an diesem Tage noch diskutiert. Am Ende der Zusammenkunft bat Arne, der Stadtälteste, einen kleinen alten Mann aufs Podest. Ho hieß er und war ein Wissenschaftler. „Ich habe geraten, dem Anliegen des ZGG zuzustimmen. Mein Spezialgebiet war einst die Erforschung des menschlichen Gehirns. Wir können solch ein Superhirn für den ZGG schaffen und wir können mit diesem menschlichen Gehirn wieder die Herrschaft über den Planeten Erde gewinnen. Allen Zweiflern rufe ich zu: Habt Vertrauen! Lasst uns mithilfe der Maschinen diese Welt, unseren Planeten, wieder erblühen! Habt Vertrauen!“
Tag 5 des 7. Maschinenjahres
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Eine Flugmaschine beförderte vier Menschen. Sie waren auf einem Inspektionsflug von Europa nach Asien. Zu ihnen gehörte Arne. Neben ihm saß Jessica, eine ältere Frau, und ihnen gegenüber saßen zwei junge Menschen: Lia und Wong. Lia war so aufgeregt, dass sie die Hände des jungen Mannes ergriff und die Sätze nur flüsternd herausstieß: „Sieh Wong, dieser Teil der Wüste ist bereits wieder grün!“, „Ich glaub, ich hab eine Antilope gesehen!“, „Schau nur, zwei Vögel am Himmel! Wie haben diese herrlichen Geschöpfe sich vor den Killermaschinen verstecken können?!“
Auch Arne und Jessica starrten auf die Erde. Auch sie waren sehr erregt, verbargen aber dies besser als Lia.
„Es ist immer wieder erstaunlich, dass in nur drei Jahren die Natur sich so gut erholt hat.“ Jessica, in ihrer Jugend hatte sie Botanik studiert, betrachtete die Vegetation mit den Augen eines Wissenschaftlers. „Ich bin schon sehr neugierig auf mein neues Aufgabengebiet“, erzählte sie jetzt ihrem Nachbarn. „Wir sind jetzt drei Botaniker, die sich mit der Entstehung neuer Arten befassen werden. Eine aufregende Arbeit!“
Jessica erwartete von Arne keine Antwort. Sie starrte auf jedes Grün, dass sie im eintönigen Graugelb der Steine und des Gerölls entdecken konnte.
Auch Arne starrte durch die mächtigen Scheiben nach draußen. Am Horizont glaubte er, weiße Berge gesehen zu haben. Weiße Berge, Schnee – wann hatte er im heimatlichen Skandinavien die letzten weißen Berge gesehen? „Ich glaub, ich war noch ein Kind“, murmelte er. Er befahl der Maschine, auf die Berge zuzusteuern. Er wollte sich überzeugen, dass wirklich der Schnee und die Gletscher in die hohen Berge zurückgekommen sind. Es war Schnee! An einer günstigen Stelle ließ er die Maschinen landen und alle stiegen aus. Arne griff in den Schnee und steckte sich den Schnee mit beiden Händen in den Mund. Er lächelte zuerst, dann lachte er und dann schmiss er sich in den Schnee und wälzte sich in ihm, wie er es als kleiner Junge getan hatte.
Jessica strich vorsichtig über den Schnee. So behutsam, als könnte sie ein Schneekristall zerstören. Wong strahlte übers ganze Gesicht. „Lia, meine Großmutter hat mir immer Geschichten erzählt, in denen Schnee vorkam. Sie sprach vom Glitzern und Funkeln, von der weißen Pracht und von der Einmaligkeit einer jeden Schneeflocke – jetzt endlich weiß ich, was sie meinte. Und er setzte sich neben Lia in den weißen Schnee und hielt Lias Hände.
Nur kurze Zeit später landete die Flugmaschine in der größten Stadt Asiens. Auch hier war es ein mächtiges Tal, in dem die Maschinen eine Stadt für die Menschen gebaut hatten. „Grüne Hölle“ nannten die Menschen ihre Stadt. Dabei hatte das Wort Hölle keine negative Bedeutung. Die Menschen wünschten sich nur, dass die Pflanzen so dicht und so artenreich wachsen sollten, dass der Urwald bis zu ihrer Stadt reichte. Noch war es kein Urwald, auch wenn die Stadt „Grüne Hölle“ im ehemaligen Indien lag.
Arne und seine Begleiter wurden von Kaschif empfangen. Er drängte seine Gäste zur Eile. Dabei starrte er wieder und immer wieder zum Himmel.
„Unsere beiden Meteorologen haben für heute das erste Gewitter angesagt. Die ganze Stadt ist außer Rand und Band. Alle Arbeiten ruhen und kein Mensch ist in den Häusern. Wir haben Warnungen ausgegeben, aber man hat uns Alte ausgelacht. Soll ich euch ins Haus geleiten?“
„Mich nicht, Kaschif! Mich nicht! Heut hab ich Schnee gesehen und nun gar ein Gewitter! Ein Gewitter? Was ist das?! Ein physikalischer Vorgang in der Atmosphäre?! Nein, ein Gewitter ist die geballte Himmelskraft, ist Natur, ist einfach nur schön. Und du willst, dass ich mich vor dieser Schönheit verstecken soll?“
Kaschif lächelte und so starrten sie gemeinsam auf die dunklen Wolken, aus denen der erste Blitz zur Erde fahren sollte. Und dann war es endlich so weit. Die Blitze zuckten und ließen die Gebäude in einem unwirklichen Licht erstrahlen. Der Donner grollte so laut, dass sich einige Menschen die Ohren zuhielten. Und auch als es begann zu regnen, gingen die Menschen nicht in die Häuser. Man schöpfte das Wasser vom Boden und ließ es unter Lachen durch die Hände rinnen. Der kleine Bach schwoll zu einem reißenden Fluss an, dann überschwemmte er in breiter Front die Straße. Die Menschen standen völlig durchnässt im Regen – überglücklich.
Tag 255 des 8. Maschinenjahres
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An einem langen Konferenztisch saßen mindestens vierzig Männer und Frauen. Alle waren im vorgerückten Alter und verkörperten die gesammelte Weisheit des menschlichen Geschlechtes. So jedenfalls hatte der Leiter der Forschungsgruppe Ho die Alten ironisch vor etlichen Monaten betituliert. Jetzt blickten sie alle erwartungsvoll zur Eingangstür. Eine junge Frau trat ein und wurde sofort von Professor Ho begrüßt. „Ich möchte euch die erste Absolventin unserer Universität vorstellen: Dr. Parking. Sie wird unserer Forschungsgruppe angehören und soll alle Forschungsergebnisse der verschiedenen Disziplinen koordinieren. Nächste Woche wird der erste männliche Absolvent bei uns eintreffen. Dr. Parking und Dr. Müller werden die sogenannten praktischen Seiten der Entstehung unseres Monstergehirns zu verantworten haben.“
Dann räusperte sich Prof. Ho: „Meine Damen und Herren, liebe Freunde! Es ist ein denkwürdiger Tag. Seit mehr als vierzig Jahren gibt es wieder einen Absolventen einer Universität. Es ist wie ..., wie ...“ Professor Ho suchte nach dem passenden Wort. Da rief Professor Heng lachend : „Wie ein Urknall, Ho!“
„Ja, wie ein Urknall! Willkommen bei uns, Frau Dr. Parking!“