Politik in Geschichten: "Die perfekte Gesellschaft"

Die perfekte Gesellschaft

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von Joachim Größer (2019)

 

Andreas durchwühlte die Zeitungen. Er wusste, er hatte vor einigen Tagen eine Anzeige gelesen, die ihn interessierte. Aber dann war der Gedanke, dieser Anzeige nachzugehen, im Alltagstrott aus dem Gedächtnis verschwunden. Und sein Chef brachte diesen Gedanken mit seiner unnützen und blöden Forderung „Herr Krohl, bisher haben Sie sich in diesem Monat durch keine Großtat hervorgetan. Es wird mal wieder Zeit, etwas Sensationelles für unser Blättchen abzuliefern!“ wieder ins Bewusstsein.

„Ich hab’s! Das isses!“, erleichtert atmete Andreas Krohl, freischaffender Journalist mit und ohne Festanstellung, auf. „Dieses Blättchen“ - wie sein Chef die Zeitung bezeichnete, hatte eine respektvolle Auflage. Und er, A. Krohl, wurde mit der Aussicht auf eine Festanstellung, an dieses „Blättchen“ geködert und damit gebunden.

Und seiner Gewohnheit entsprechen, las er laut: „Wir bieten Ihnen die perfekte Gesellschaft! Leben Sie in unserem Paradies ohne Sorgen und Verpflichtungen. Wir übernehmen die Organisation Ihres täglichen Lebens! Sie leben! Wir arbeiten für Sie!“

Und da stand noch eine Web-Seite und Info-Telefonnummer.

Die Webseite zeigte viele schöne Bilder, Bilder wie aus einem Hochglanzpapier-Journal. Und Krohl als Journalist wusste, was er von dieser vorgegaukelten Welt zu halten hatte. Also - so etwas geht nur über persönlichen Kontakt, nur über persönliches Betrachten, nur über Kenntnis der Einzelheiten.

Den Termin bekam er bereits für den nächsten Tag. Eine wunderschöne Dame, wirklich eine Dame empfing ihn in einem hypermodernen Büro, das sich wiederum in einem Gebäude aus Stahl und Glas befand. Alles in diesem Haus geschah ohne Zutun eines Menschen. Stimmen fragten nach seinem Begehr, Stimmen leiteten ihn zum Fahrstuhl, Stimmen öffneten die Bürotür. Den ersten Menschen, den Andreas Krohl in diesem Haus sah, war diese Frau. Und die war toll anzusehen. Das Dekolletee zeigte ihren Brustansatz - verführerisch und frech, ihre Figur war makellos und ihre Stimme - ja ihre Stimme, sie klang wie alle Stimmen in diesem Haus - wie die Stimmen, die ihn geleitet haben.

Ein fürchterlicher Verdacht kam dem Andreas Krohl auf: Ist diese wunderschöne Frau nur das Abbild eines Menschen? Ist sie der perfekte „menschliche“ Computer?

Der Journalist wollte unbedingt ergründen, ob er mit einem Menschen verhandelt oder mit einem Computer. Also musste Krohl in die Trickkiste greifen. Er ließ sich ein Glas Wasser geben, ging mit dem vollen Glas auf die Hübsche zu, stolperte und goss das Wasser über ihr schönes Dekolletee.

Ein leiser Aufschrei, ein „Aber mein Herr!“ und mit einem Lächeln verschwand die Schöne hinter einer fast undurchsichtigen Tür. Keine zwei Minuten später erschien sie in neuer Kleidung. War das seine Schöne oder war diese Frau jetzt ein Abbild seiner Schönen?

Andreas Krohl ergründete dies nicht. Die Tatsachen, die er aber jetzt erfuhr, überzeugten ihn wieder einmal, den richtigen „Riecher“ gehabt zu haben. Da sprach diese tolle Frau, die ihre wunderschönen Beine überschlagen seinen Blicken präsentierte, von der Lappalie, dem Unternehmen mit dem Namen „Die perfekte Gesellschaft“ ein oder zwei Millionen Euro zur Verfügung zu stellen. Hat die Gesellschaft das Geld, so braucht sich der Geldgeber um nichts mehr kümmern. Die Gesellschaft vermittelt, umsorgt, arbeitet mit seinem Geld, bezahlt mit den Gewinnen den Lebensunterhalt des Gastes.

Als Andreas nach dem Unterschied der unterschiedlichen Geldeinlagen erkundigte, antwortete ihm seine schöne Gegenüber mit einem bezaubernden Lächeln: „Nur bei zwei Millionen erarbeitet unsere Gesellschaft eine stolze Rendite. Natürlich können Sie auch mehrere Millionen unserer Gesellschaft anvertrauen. Sie werden es nicht bereuen!“

Nun hatte ein Andreas Krohl weder eine Million, geschweige denn gleich mehrere. Krohl war ein junger aber ehrgeiziger Journalist und mit seinen geringen Ersparnissen kein potenzieller zukünftiger Gast in dieser perfekten Gesellschaft. Aber Krohl war Journalist, und zwar ein mit allen Mitteln vertrauter. Also sagte er: „Eine Million ist doch kein Kleingeld. Da müsste man doch schon wissen, wie es dort zugeht? Oder?“

Und die Schöne ihm gegenüber säuselte: „Da bieten wir Ihnen einen Monat zur Probe an. Sie zahlen nur 10.000 € und können sich von unserem hervorragenden Management überzeugen lassen. In diesem Betrag sind alle unseren späteren Leistungen enthalten.“

Krohl’s Antwort war nicht gerade verhandlungsfreundlich. „Ist das richtig: Ich zahle 10.000 € für 30 Tage? Ein bissel viel für einen Monat!“

Andreas Krohl klang verärgert und darauf reagierte die Schöne sofort mit einem anziehenden Lächeln: „Wir arbeiten mit diesem Geld. Sollten Sie unser Angebot nicht annehmen wollen, so erhalten Sie garantiert - ich betone es ausdrücklich - Sie erhalten 9.000 € zurück. Das ist doch ein faires Angebot?!“

Andreas nickte. „Ja, das klingt schon besser! Aber kann ich mir nicht eine solche Anlage mal anschauen - nur für eine Stunde oder so?“

„Auch das ermöglichen wir unseren Gästen. Sie haben zur Auswahl ...“

Und die Dame referierte über die Anwesen, die die Gesellschaft betreut. Da gab es Anlagen für Junggesellen, auch als Begegnungsstätte und Partnersuche geeignet. Mehrere Anlagen bestehen für Familien mit und ohne Kinder. In diesen Anlagen, die fast die Größe einer mittleren Stadt haben, gab es Kinderkrippen, Kindergärten, Schulen. Geplant seien hier auch Eliteuniversitäten, die die zukünftigen Studenten ab dem Kindergarten betreuen.

„Und wenn Sie glauben, das Alter für unsere Seniorenresidenzen erreicht zu haben und auch ständige Pflege benötigen, ziehen wir mit Ihrem persönlichen Eigentum um. Sie brauchen sich um nichts zu kümmern. Aber dafür haben Sie noch viele Jahrzehnte Zeit, Herr Krohl.“

Die wunderschöne Dame betörte Andreas mit ihrem Lächeln. Und da Andreas Krohl nur die Schöne anstarrte und nichts sagte, ergriff seine Hübsche erneut das Wort: „Wie möchten Sie unser Angebot annehmen?“

Krohl erwachte aus seiner Erstarrung. Er schüttelte sich, als wolle er einen Zwang verdrängen. Im Nachhinein glaubte er, die Schöne habe ihn hypnotisiert. „Ich schaue mir morgen die Anlage für die Junggesellen an. Ein Rundgang, sagen wir ein bis zwei Stunden? Ginge das?“

„Aber ja Herr Krohl! Hier ist Ihr Besucherausweis. Die Adresse entnehmen Sie bitte dieser Broschüre. Eine Mitarbeiterin wird Sie um 11 Uhr empfangen. Wenn Ihnen unser Angebot gefällt, so stehe ich Ihnen übermorgen um 10 Uhr für die Vertragsunterzeichnung zur Verfügung.“

Ja - ein Andreas Krohl, freischaffender Journalist, geködert mit einer eventuellen Festanstellung im Verlag, fand keinen Grund zu zögern. 1.000 € wollte er riskieren, wollte über diese Gesellschaft schreiben und mit diesem Artikel seinen berechtigten Wunsch auf eine Festanstellung unterstreichen.

Bereits eine halbe Stunde vor dem Termin fuhr er mit seinem altehrwürdigen Auto auf einen kleinen Parkplatz vor der Anlage. „Nur für Besucher“, las er - und „Bitte begeben Sie sich zum Eingang! Sie werden erwartet!“ Das stand auf keinem Schild; dies hörte er auf diesem Parkplatz. Und die Stimme kam ihm mächtig bekannt vor. Es war dies Stimme, die ihn schon einmal geleitet und mit der er gestern verhandelt hatte.

Andreas schaute auf seine Uhr. „Nee, noch nicht, ich hab noch 30 Minuten!“

Und zur Stimme sagte er: „Ich komme gleich!“ Er war sich sicher, seine Antwort wurde verstanden.

Er näherte sich der Anlage, die von Weitem wie eine riesige grüne runde Hecke aussah – gleich der Dornenhecke aus dem Märchen „Dornröschen“. Keine 10 m vor diesem grünen Wall blieb Andreas Krohl stehen und musterte diese hohe Bauanlage. „Drei Meter bestimmt, drei Meter bester Edelstahl, begrünt mit immergrünen Kletterpflanzen. Da kommt keiner drüber!“

Er ging näher an diese „grüne Mauer“ heran, als er einen Summton hörte. Er suchte die grüne Wand ab und entdeckte ein Rohr. Er ging weiter, das Summen war wieder zu hören und jetzt sah er, dass das Rohr auf ihn zielte. Einige Schritte weiter, erneutes Summen, ein zweites Rohr zielte auf ihn.

„Verdammt!“, murmelte Andreas, „Die ganze Anlage ist mit Maschinengewehren gesichert!“

Ein Journalist muss neugierig sein, Angst darf er auch nicht haben - also marschierte Andreas Krohl weiter. Der Summton begleitete ihn. Er wusste, dass er beobachtet wurde, trotzdem war er überrascht, dass ihn eine freundliche Stimme, „seine Stimme“ bat: „Herr Krohl, bitte begeben Sie sich zum Eingang. Sie werden erwartet.“

Wenn er jetzt nicht der Aufforderung folgen sollte, würden die „Beschützer“ dieser perfekten Gesellschaft misstrauisch werden und seine 30 Tage Aufenthalt würden nicht zustande kommen.

Also eilte er zum Tor, welches sich sofort öffnete. Begrüßt wurde er hinter dem Tor von zwei Personen, einer wunderschönen Frau und einem Mann, der nach Andreas Meinung, den sogenannten Frauenschwarm verkörperte.

Die Frau küsste ihm die Wangen nach französischer Art, der Mann dröhnte sein „Willkommen!“ und bestätigt mit einem mächtigen, sehr kräftigen Handschlag.

„Sie haben sich überzeugt, dass niemand unaufgefordert unser Heim betreten kann. Hier können Sie in Ruhe leben, lieben und viel Spaß haben! Sie können Besucher empfangen und jederzeit, das Heim verlassen - natürlich auch nachts! Jetzt schauen wir uns ihr zukünftiges Heim an, lieber Herr Krohl!“

Der Mann hatte gesprochen, die Frau hatte ihn immerzu nur mit verliebten Augen angelächelt.

Der einstündige Rundgang war wirklich aufschlussreich. Es war eine typische Bungalow-Siedlung, wie man sie aus den USA kannte. Die Wege, der Rasen, die Blumenbeete waren bestens gepflegt. Die Häuser erstrahlten in angenehmen hellen Farben, die aber im Ensemble der Siedlung eine gekonnte Harmonie verkörperten. Nur Menschen sah er kaum. Auf seine Frage erhielt er die lakonische Antwort: „Die Arbeit, Herr Krohl! Die meisten unserer Bewohner gehen von hier aus ihren Tätigkeiten nach.“

Komisch kam jetzt dem Andreas Krohl vor, dass mit einem Male Menschen vor ihren Häusern im Freien weilten. „Willkommen im neuen Heim!“, rief ihm eine Superschöne zu. Sie winkte dem Krohl, und als er zurück winkte, erhielt er einen gehauchten Kuss. Und wieder hatte der Journalist das Gefühl, hier werden ihm menschliche Computer vorgeführt.

„So, Herr Krohl, jetzt zeigen wir Ihnen ihr zukünftiges Heim! Willkommen! Bitte eintreten!“

Die Dame lächelte ihn ins Haus und ein verblüffter Krohl zeigte sich beeindruckt. Eine solche Inneneinrichtung hatte er sich schon immer gewünscht. Wenn er da an sein Stübchen im 6. Stock dachte - Welten lagen da dazwischen, Welten.

Jetzt wurde ihm die Technik vorgeführt. Alles wurde sprachgesteuert, alles! „Sie haben einen Wunsch?“, säuselte die ihm bekannte Stimme. Andreas war etwas überrumpelt. „Ich, ja ich, ich möchte einen Kognak.“

Was anderes fiel ihm im Moment nicht ein, und die „Heinzelmännchen“ lieferten. Aus der Wand öffnete sich ein Fach und ein gefülltes Kognakglas konnte entnommen werden. Andreas Krohl probierte. „Nicht schlecht! Richtig temperiert! Vermute französisch?! Süffig!“

Der Mann nickte verstehend. „Und wie wäre es jetzt mit ...“ Er beugte sich zu Herrn Krohl und flüsterte ihm ins Ohr: „Erotikmassage!“ Und laut: „Bitte eine Erotikmassage!“

Und ehe der Journalist diesen Wunsch verneinen konnte, erschien ein junges Mädchen, welches garantiert keine natürlichen Eltern hatte. Und wieder war da diese Stimme: sanft, einschmeichelnd und trotzdem bestimmend - die perfekte Computerstimme.

Das Mädchen, Krohl schätzte sie auf höchstens 18 Jahre - Menschenjahre, wenn dieses Geschöpf denn ein Mensch sein sollte. Sie geleitete ihn in einen Nebenraum und wollte ihn entkleiden. Krohl verweigerte sich zur Verwunderung des Mädchens. „Ich möchte keine Massage“, sagte Krohl. „Könnten wir uns unterhalten?“

„Das Mädchen war jetzt sehr verwundert, um nicht zu sagen verstört, und Krohl überlegte krampfhaft, ob ein Computermensch sich so „verwundern“ könnte.

„Welche Ausbildung haben Sie?“

„Ich ... ich... Ich darf darüber nicht sprechen!“

„Gefällt Ihnen diese Arbeit?“

„Ich darf darüber nicht sprechen!“

Andreas Krohl merkte, mit dieser Methode konnte er nicht herausfinden, ob das hübsche Mädchen Mensch oder Maschine ist.

„Darf ich Sie anfassen?“, fragte er schüchtern.

Und das Mädchen erfreut: „Aber ja, Berührung gehört zur Massage!“

Sie berührte Andreas den Arm des Mädchens, strich sanft über die Haut und das Mädchen nahm seine Hand und legte sie auf ihre Brust.

Erschrocken zuckte Andreas Krohl zurück.

„O, es ist schon spät! Ich muss los, habe noch einen Termin!“ Andreas Krohl verabschiedete sich mit einem Lächeln von dem hübschen Mädchen und verließ den Raum. Sich im Flur nach seinen beiden Begleitern umsehend, resümierte er: „War doch ein Mensch! Ein hübsches Menschlein!“

Von seinen Begleitern fehlte jede Spur. Dafür huschte die Hübsche an ihm vorbei und flüsterte verstohlen lächelnd: „Es freute mich, Sie kennengelernt zu haben, mein Herr!“

Der Journalist wartete noch einige Minuten und da seine Begleiter spurlos verschwunden waren, beschloss er, das Haus auf eigene Faust zu erkunden. So inspizierte er alle Zimmer, staunte über den Komfort und dachte: „So lebt man also, wenn man Millionär ist!“

Vor einer Tür im 2. Stock wurde er neugierig. Hörte er doch Geräusche, die ihm sehr bekannt vorkamen. Also nachschauen! Tür öffnen und zwei splitternackte Menschen beim Liebesspiel erwischen! Verdattert rief er „Verzeihung!“, grinste und verließ das Zimmer.

„Also eins weiß ich jetzt, das sind keine menschlichen Roboter. Die leben und lieben wie meine Marion und ich.“ Andreas Krohl war irgendwie erleichtert.

Dafür standen jetzt zwei sehr aufgeregte Menschen neben ihm auf dem Flur, fassten ihn an und zerrten ihn ins Zimmer.

„Verzeihung! Verzeihung, Herr Krohl!“, flüsterte der Frauenschwarm. „Wir müssen Ihnen einiges erklären. Bitte flüstern Sie nur! Man darf uns nicht hören!“

Und die beiden erklärten, dass sie sich lieben, heiraten möchten, aber laut Vertrag keine Beziehungen eingehen dürfen. Das dürfen sie nur mit den Heimbewohnern. Aus diesem Vertrag kommen sie aber erst in zwei Jahren und deshalb nutzen sie solche Möglichkeiten, um ihrer Liebe zu frönen. Wenn ihre Liebesbeziehung herauskäme, würden sie das gesamte angesparte Gehalt von 5 Jahren verlieren. „Bitte Herr Krohl, bitte verraten Sie uns nicht!“, flüsterte die Frau.

Und Krohl witterte die Gelegenheit, mehr über diese „Perfekte Gesellschaft“ zu erfahren. So flüsterte er: „Ich kann schweigen und ich werde schweigen! Aber könnten Sie mir einige Fragen beantworten, Fragen, die mir hier wohl keiner beantworten wird?!“

Die beiden tuschelten sehr lange, dann sagte der Mann sehr leise: „Wir führen Sie durch die Außenanlage langsam zum Tor. Dort gibt es eine Stelle, wo es keine Abhöranlage gibt.“

Und so begaben sich die Drei nach draußen, schlenderten durch die schönen Blumenbeete, und sie kamen zu einer Wiese, die jedem englischen Rasen Konkurrenz machen konnte. Dort, auf einer leichten Anhöhe, setzten sie sich ins Gras.

„Hier ist ein Funkloch“, sagte der Mann, „wir haben es durch einen Zufall herausgefunden und mehrfach überprüft. Jetzt können wir Ihre Fragen beantworten!“

Und ein sehr wissbegieriger Journalist stellte Fragen über Fragen. Die Antworten waren erschütternd. Die Mitarbeiter wurden per Annonce gesucht, unterzogen sich einem Schönheitstest, lernten ein spezielles Hochdeutsch, perfekte Manieren und, und, und ... Am Ende der vierteljährigen Ausbildung, winkte ein Vertrag mit einer guten Bezahlung und vielem Kleingedruckten, der die Mitarbeiter zu modernen Sklaven, und wenn es die Heimgäste wollten, zu Sex-Sklaven machte.

Auch zu den sogenannten Heimbewohnern äußerten sich die beiden. Einige glaubten wirklich, das perfekte Heim gefunden zu haben. Andere wollten aus dem Vertrag aussteigen, aber vieles Kleingedruckte erschwerte jede Vertragsauflösung. Gerade, als die junge Frau über die Leitung der Anlage sprechen wollte, zog sie ihr Freund vom Boden hoch und beide gestikulierten so, als wollte sie dem Gast die Anlage von hier oben erklären. Der Mann flüsterte, als er dem Andreas Krohl beim Aufstehen half: „Wenn Sie am Tor angesprochen werden, was wir auf der Anhöhe gemacht haben, so sagen Sie bitte, Sie wollten die ganze Anlage überblicken.“ Und als der Journalist nickte, flüsterten die beiden: „Danke!“

Und es kam so, wie es der junge Mann vorausgesagt hatte. Am Tor erwartete ihn ein sehr freundlicher Mann, so Mitte 40, perfekt gekleidet und mit besten Manieren. Aber ehe der Manager, denn das war er bestimmt, seine Frage stellen konnte, meinte der Herr Krohl: „Sie haben eine wirklich schöne Anlage geschaffen. Von der Höhe hat man einen guten Überblick!“ Und sich an seine beiden Begleiter wendend, sagte ein Herr Krohl äußerst freundlich: „Danke Ihnen, dass Sie meinen Wunsch erfüllt haben!“ Die beiden Liebenden dankten mit einem sehr freundlichen Lächeln und verabschiedeten sich.

„Herr Krohl, unsere ‘Perfekte Gesellschaft’ findet Ihre Zustimmung? Darf ich so Ihre Aussage interpretieren?“

„Oh ja, Sie dürfen das so interpretieren! Perfekt, alles ist perfekt!“

„Darf ich der Zentrale melden, dass Sie morgen zur Vertragsunterzeichnung kommen werden?“

„Ja, das dürfen Sie! Ich müsste nur noch mit meiner Verlobten reden. Aber da sehe ich eigentlich keine ...“

Krohls Handy klingelte. „Meine Verlobte“, erklärte Krohl und der Manager trat zur Seite, um nicht zu stören. Es war wirklich seine Marion und sie wollte nur wissen, ob es beim heutigen Abendessen bliebe.

Krohl war überzeugt, dass der Inhalt dieses Telefonats von der „Perfekten Gesellschaft“ aufgezeichnet wurde. So konnte er verkünden: „Heute Abendessen mit meiner Marion. Wir werden alles besprechen. Ach wird meine Verlobte Augen machen.“

Freundlich verabschiedete sich der Manager mit Handschlag. „Ich werde Ihren morgigen Besuch der Zentrale melden, Herr Krohl!“

Hinter dem Journalisten schloss sich das Tor geräuschlos. Irgendwie kam es dem Andreas Krohl so vor, als hätte er gerade ein Gefängnis verlassen.

Das Abendessen mit seiner Marion wäre fast zum Fiasko geworden. Als Andreas Krohl seiner Verlobten von der Erotikmassage erzählte, verfinsterte sich Marions Gesichtsausdruck.

„Du willst dort einen Monat leben, um einen Artikel zu schreiben? Ein Artikel ist dir wichtiger als deine Verlobte. Willst Erotik pur, unser Bettgeflüster reicht dem Herrn Journalisten nicht mehr? Und du willst mich heiraten?“

Beschwichtigend erklärte Andreas seiner Marion: „Es geht doch um meine Festanstellung. Mit den paar ‘Kröten’, die ich verdiene, können wir doch keine Familie gründen. Verstehst du das denn nicht?“

„Ich verdiene auch! Entscheide dich: entweder Erotikmassage oder Familiengründung!“

Sie verabschiedete sich von ihrem völlig verstörten Verlobten mit einem Küsschen. „Ruf mich an, wenn du dich entschieden hast!“

Ein Journalist Krohl musste jetzt nicht lange nachdenken. Er kannte seine Marion und er wusste, geht er ins „Heim“, dann gibt es kein Kuscheln mehr mit Marion.

Seine Entscheidung war schon getroffen, als Marion noch in Blickweite war. Eine Sorge hatte er auf alle Fälle nicht mehr: 10.000 € aufzutreiben!

Pünktlich war Herr Krohl am nächsten Tag im Büro. Es war wohl die gleiche Dame, die er schon kennengelernt hatte. Andreas Krohl holte einen kleinen hübschen Blumenstrauß aus seiner Aktentasche und überreichte ihn mit den Worten „Ich bitte mein ungeschicktes Verhalten bei unserer ersten Begegnung zu entschuldigen!“

Die Reaktion der Dame brachte jetzt Andreas Krohl wieder zum Zweifeln, ob diese Hübsche die gleiche ist, der er das Wasser über die Bluse gekippt hatte. Auch - ist sie nun ein Mensch oder ein menschlicher Computer?

Die Dame ihm gegenüber bedankte sich sehr förmlich, holte jetzt einen Stapel Papier aus einem Fach und wollte zum Verkaufsgespräch übergehen.

Sofort hakte Krohl ein: „Meine Dame, mein Wunsch, in Ihrem Heim zu leben, muss ich leider aufgeben. Meine Verlobte wird mich verlassen, wenn ich nicht mehr bei ihr bin. Auch nicht für einen Monat! Ich muss mich entscheiden und ich habe mich entschieden. Ich liebe meine Marion. Bitte haben Sie für meinen Rückzieher Verständnis.“

Kaum war das letzte Wort ausgesprochen, als sich die Mine seiner hübschen Dame verfinsterte.

„Wir bedauern Ihre Entscheidung, Herr Krohl! Leben Sie wohl!“

Noch nicht einmal ein „Auf Wiedersehen“ hatte die Schöne für den Journalisten übrig. Sie wollte den Raum verlassen, als Krohl sie bat: „Ich bin Journalist. Ich möchte trotzdem über Ihr Unternehmen schreiben. Könnten Sie mir einige Fragen beantworten?“

Eiskalt wurde Andreas Krohl abserviert. „Hier können Sie aus den Broschüren alles entnehmen, was Sie gebrauchen könnten.“

Noch ein wütender Blick und Krohl stand mit einer Handvoll Broschüren allein im Zimmer.

Zwei Tage hämmerte Krohl auf seinem Laptop. Und als er fertig war, griff er zum Telefon. Säuselnd lud er Marion zu einem Festessen in ein piekfeines Restaurant ein. Und Marion nahm die Einladung an. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Und als er seine Marion von ihrem Zuhause abholte, da wusste er, dass er die richtige Wahl getroffen hatte. Sie sah wunderschön aus, schön, wie ein echter Mensch. Krohl brauchte nicht zu rätseln: Mensch oder menschlicher Computer. Seine Marion war ein Mensch - nur ein Mensch.

Nachdem sie das Menü ausgesucht hatten, reichte ihr Andreas seinen ausgedruckten Artikel. „Bitte lies und sag mir deine Meinung.“

Und Marion las: „Heute schreiben wir den 15. Mai 2030. Meine Geschichte handelt aber von einer Gesellschaft, wie sie im Jahre 2050 entstanden sein könnte ...“

Marion las und war so vertieft in die Lektüre, dass sie von Krohl unterbrochen werden musste. „Marion, unser Essen! Marion, das Essen wird kalt!!“

Und Marion: „Nur noch eine Seite! Gleich!“

Die Seite war schnell überflogen. Dann: „Gib das deinem Chef! Wenn er dich jetzt nicht fest einstellt, dann verlasse den Verlag! Und du hast nicht geschummelt`? Nichts Erfundenes hinzugefügt?“

Als Krohl erklärte, er könne alles beeiden, da meinte Marion: „Wenn das unsere Zukunft sein soll, dann habe ich Angst vor der Zukunft!“

Am nächsten Morgen erwartete ein aufgeregter Herr Krohl den Chefredakteur. Kaum hatte der sein Büro betreten, als auch schon Andreas Krohl anklopfte.

„Nanu, schon so früh unterwegs?! Haben Sie eine Story?!“

„Hab ich!“ Krohl legte den Stapel Papier auf den Schreibtisch seines Chefs.

„Gut, ich werde lesen. Wenn’s gefällt, kommt es in die Wochenend-Ausgabe.“ Ein freundliches Lächeln seines Chefs und Andreas Krohl war entlassen.

Bereits am späten Nachmittag klingelte sein Handy. Die Chefsekretärin war dran: „Der Chefredakteur erwartet Sie morgen früh um 8 Uhr.“

Ein Andreas Krohl hatte eine schlechte Nacht. Er hatte Marion angerufen und ihr vom morgigen Termin erzählt. „Marion, wenn ich jetzt die Festanstellung bekomme, heiraten wir in einem Monat! Einverstanden?“

Überpünktlich wartete er vor dem Büro des Chefs. Und der bat ihn sofort zu sich. Ohne Umschweife sagte sein Chef: „Herr Krohl, ein brillanter Artikel. Ihr Meisterwerk!“ Dann schaute er sehr ernst dem Andreas Krohl in die Augen: „Wir werden dies nicht drucken! Und wenn Sie diesen Artikel einer anderen Zeitung anbieten, so werden Sie nirgendwo mehr einen Ihrer Artikel in einer Zeitung gedruckt sehen. Haben Sie das verstanden?!“

Andreas Krohl stand wie ein begossener Pudel vor seinem Chef. Er musste schlucken, oft schlucken. Dann kam ihm ein furchtbarer Verdacht: Lebt etwa sein Chef in der „Perfekten Gesellschaft“?

Und mit dem Nachdenken kam ihm die Wut hoch. Und er sprach: „Sie leben im Paradies? Im Paradies für Junggesellen?“

Und sein Chef lächelte betroffen. „Herr Krohl, ich bin glücklich seit 30 Jahren verheiratet. Meine vier Kinder studieren. Glauben Sie, mein Gehalt reicht für Millionen?“

Und ein Chefredakteur zeigte jetzt mit dem Zeigefinger nach oben.

„Der Herausgeber? Der Eigentümer!“, flüsterte Andreas. Und auch der Chef flüsterte: „Großes Aktienpaket mit sagenhafter Rendite!“

In normaler Lautstärke sagte der Chefredakteur: „Unser Herausgeber war von Ihrer Schreibkunst sehr positiv überrascht. Er bietet Ihnen eine Festanstellung mit einem guten Einstiegsgehalt an. Nehmen Sie es an. Ein besseres Angebot werden Sie nicht bekommen.“

Und Andreas Krohl nahm das Angebot an. Als er die Unterschrift unter dem Arbeitsvertrag setzte, flüsterte er: „Er hat mich gekauft! Man hat mich gekauft, wie einen Sklaven im Altertum! Ich bin ein Arbeitssklave - ohne freie Entscheidung, ohne Rechte. Ich muss nur gehorchen!“

Draußen auf der Straße rief er Marion an: „Marion, Liebes! Wir heiraten ...!“