Nachgedacht über ...

Die Seele

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von Joachim Größer (2016)

 

„Die Seele ist außen knusprig, innen weich, luftig und feucht.“ So könnte ein Schwabe reden, isst er doch häufig ein Weißbrotgebäck, einem Baguette ähnlich, das er „Schwäbische Seele“ oder in Kurzfassung nur „Seele“ nennt.

 

Und wenn man von einem seelenlosen Menschen spricht, so ist dies einer, der ohne Mitgefühl ist. „Er hat seine Seele dem Teufel verkauft.“ Eine Redewendung, die wir aus Märchen und Sagen kennen. Und der Mensch, der „seine Seele verkauft“ ist immer habgierig, nur auf den eigenen Vorteil bedacht.

 

Ein „Seelenverkäufer“ war (oder ist) ein Schiff, das bereits so verrottet ist, dass eine Überfahrt zur Todesfahrt werden kann.

 

Zu Luthers Zeiten konnten Sünden durch die Zahlung von Geld erlassen werden. „Sobald der Gülden im Becken klingt im huy die Seel im Himmel springt.“ Das rief der Ablasshändler Tetzel dem Volke zu. Und dieser „Seelenhandel“ erzürnte den Mönch Martin Luther so sehr, dass er mit seinen 95 Thesen 1517 zur Erneuerung der Kirche aufrief. Die Reformation nahm ihren Lauf.

 

Berühmte Dichter bedachten die Seele. So schrieb Goethe anno 1797:

 

Arm am Beutel, krank am Herzen,

schleppt ich meine langen Tage.

Armut ist die größte Plage,

Reichtum ist das höchste Gut!

Und zu enden meine Schmerzen,

ging ich einen Schatz zu graben.

Meine Seele sollst du haben!

Schrieb ich hin mit eignem Blut.

 

Erkannt? Der Schatzgräber – 1. Strophe der Ballade. Ein wunderschönes Gedicht!

 

Was ist denn eigentlich die Seele? Jeder kennt sie doch – jeder hat sie!

 

In einem Lexikon der 60-er Jahre wurde beim Begriff „Seele“ auf die Psyche verwiesen und dort steht dann: „ griech. ‚Atem, Seele‘, Bezeichnung für die Gesamtheit der Prozesse der höheren Nerventätigkeit des Menschen.“

Ein neueres Lexikon aus dem Jahr 2000 verweist sofort auf die Religionsgeschichte: „das geistige, Leben spendende Prinzip im Menschen.“

Und bei Wikipedia nachgelesen weiß man sofort, dass die „Seele“ von allen Religionen vereinnahmt wurde. Und in allen Religionen spricht man von einer „Seelenwanderung“. Die antike Religion der Ägypter und die Naturreligionen der Steinzeitmenschen, die Religionen der Kelten und Germanen, sie alle kannten die Wiedergeburt der Seele in einer anderen Welt. Nahrung, Waffen, Schmuck waren Grabbeigaben für dieses andere Leben.

Und in den alten indischen religiösen Vorstellungen geht die Seele nach dem Tode in einen anderen, höheren oder niederen Körper. Wiederverkörperung oder Reinkarnation nennt man das.

Menschen, die eine Nahtod-Erfahrung machten, sprechen von einem wunderbaren Erlebnis. Viel Licht und Glücksgefühle begleiteten diesen Vorgang. Die Seele verlässt den Menschen. Dieses Phänomen wird seit Langem wissenschaftlich untersucht, ohne aber eindeutige Erkenntnisse. Die Religion hat da schon eine Erklärung parat, wo die Wissenschaft noch rätselt: Gott/Geist ruft die Seele in den Himmel. Die Seele lebt nach dem Tode weiter.

 

Die Seele ist schon verdammt kompliziert. Aber was wären wir ohne Seele?

 

Tiere?! Die modernen Religionen sprachen dem Tier eine Seele ab, denn Gott hat den Menschen und nur den Menschen zum Herrscher über die Erde und alles Getier gemacht.

In den Naturreligionen „sprachen“ die Schamanen/Priester mit den Tieren, baten sie um Verzeihung, wenn sie ein Tier töteten. Und wenn wir uns heute die moderne Verhaltensforschung anschauen, dann wissen wir, dass Elstern, Rabenvögel, Delfine, Menschenaffen ein sogenanntes „Ich“-Bewusstsein haben. Sie erkennen sich in einem Spiegel, sie wissen, dass dieses Tier ihnen im Spiegel gegenüber sie selbst sind. Und je mehr man forscht, umso mehr wächst die Erkenntnis, dass viel mehr Tiere dieses Ich-Bewusstsein haben. Und ist nicht dieses Bewusstsein die Seele? Ich weiß, dass ich bin!Ich weiß, dass ich lebe!

Delfine retten Menschen vor dem Ertrinken. Ein Delfin schwimmt zum Taucher und zeigt ihm, dass er helfen soll, den Angelhaken aus der Flosse zu ziehen. Delfine sind kreativ und erfinden eigene Sprünge im Delfinarium, um dem Trainer zu gefallen. Wie bewertet man dieses Verhalten zwischen einem Tier und dem Menschen? Hier bestehen doch echte Bindungen zwischen zwei Lebewesen. Und kein Hundefreund wird seinem Liebling die „Seele“ absprechen.

 

Diese Erkenntnisse sind weder kurios noch befremdlich. Ein wirkliches Kuriosum las ich vor einem Jahrzehnt. Da wollten doch „Forscher“ die Seele wiegen. Sie gingen davon aus, dass, gibt es eine Seele, sie auch materiell vorhanden sein muss. Also kann man auch das Gewicht feststellen. Ein Sterbenskranker stellte seinen Körper zur Verfügung. Er wurde gewogen, und nachdem die Seele ihn verlassen hatte, konstatierten die „Forscher“: „Die Seele wiegt drei Gramm!“ Nun weiß die Medizin, dass die Muskeln im Tod sich entspannen – auch die Schließmuskeln. Sollten die drei Gramm Seele vielleicht …? Ich wage es nicht zu denken!

 

Wenn auch die Seele nicht gemessen werden kann, hören kann man sie bestimmt, wenn nämlich die „Volksseele hochkocht“. Dann ist mit dem Volk nicht „gut Kirschen essen!“ Die Mächtigen haben dann verschiedene Möglichkeiten, die Volkes Seele zu heilen. Machbar wäre, man bleibt bei der Wahrheit, verdammt die Lügen und bietet ein „Bauernopfer“ an. Der- oder Diejenige nimmt alle Schuld auf sich. Und alles wird gut.

Die zweite Methode ist aggressiv. Man schiebt anderen die Schuld in die „berühmten Schuhe“ – am besten macht sich da eine ausländische Macht, die man auf den Kieker hat - und bestreitet sonst alles. Damit das funktioniert, braucht man einen „langen Atem“. Und da in der Definition - vgl. altes Lexikon – Psyche = „griech. Atem, Seele“ ist, könnte man so die Volksseele beruhigen. Solch Vorgehen hat in der Vergangenheit schon öfters geklappt, aber wenn sich der „böse Beschuldigte“ wehrt, dann …

Dann mobilisiert man die staatsausübende Gewalt, natürlich nur heimlich und verdeckt. Aber ab und zu zeigt man, wie kräftig man zuschlagen kann und diesen „schlagkräftigen Argumenten“ kann sich keiner entziehen: weder Wutbürger noch Gutbürger.

 

Ach ja, die Volksseele. Jedes Volk soll sie haben, aber keiner kennt sie wirklich. Auch die Deutschen haben ihre Volksseele, wenn auch zurzeit eine immer noch gespaltene. Die mächtige westdeutsche Seele kapiert nach 25 Jahren immer noch nicht, wie die ostdeutsche Seele „tickt“. Kein Wunder - hat man sich doch nie damit beschäftigt, glaubte man doch an eine gesamtdeutsche Seele. Die „starb“ aber 1945 und 40 Jahre, zwei Menschengenerationen lang, unterschiedliche Beeinflussung bewirken verdammt viel. Der Bundesbürger las den „Landser“, der DDR-Bürger „Timur und sein Trupp“.

Erst nach mehr als 40 Jahren, wieder nach zwei Generationen, werden die „Seelen sich wieder vereinen“. Erst dann ist die Deutsche Einheit wirklich vollbracht. Dann erst sind die Wunden dieser Vereinigung verheilt.

Man sagt, die Volksseele erkennt man in der Literatur. Und da hat sogar ein Stückchen der einheitlichen deutschen Volksseele überlebt. Nicht Goethe oder Schiller, nicht Karl May oder Karl Marx begründen die deutsche „Einheitsseele“. Es sind die Gebrüder Grimm, die mit ihren gesammelten Märchen den Deutschen ihre Volksseele einhauchten. Ob hüben oder drüben, der Wald, das Rotkäppchen, Frau Holle, das Gute und das Böse – sie gehörten immer zum deutschen Volk. Und versuchen Sie mal, den Deutschen ihren Wald zu nehmen! Ich garantiere Ihnen, ich wäre auch …

 

Die russische Volksseele wird oft herangeführt, wenn man das Leiden dieses Volkes beschreiben will. „Erst wenn wir leiden, sind wir stark!“ Diesen Ausspruch eines Russen muss man ernst nehmen; in ihrer 1000-jährigen Geschichte hat dieses Volk immer gelitten und immer gesiegt. Dieses Riesenreich beherbergt mehr als 100 Völker und alle Weltreligionen sind hier vertreten. Das Heimatgefühl dominiert die russische Seele und Heimat ist „Mütterchen Russland“. Und wenn ihr „Mütterchen“ in Gefahr war, so verbündeten sich alle gegen diese Gefahr von außen. Drei Bücher möchte ich hier anführen, die die russische Mentalität in kritischen Phasen, im Krieg, aufzeigen:

-          Krieg und Frieden (Leo Tolstoi) – Napoleonische Kriege    

-          Der stille Don (Michael Scholochow) – 1. Weltkrieg,

           Oktoberrevolution, Bürgerkrieg

-          Die Lebenden und die Toten (Konstantin Simonow) – 2. Weltkrieg

Und anmerken möchte ich noch, wer diese „russische Seele“ missachtet, betreibt die falsche Politik.

 

Auch ein Riesenland, auch hier gibt es ein Völkergemisch und Religionen der gesamten Welt sind vertreten – die USA. Im Vergleich zu den Staaten in der „Alten Welt“ sind die Vereinigten Staaten von Amerika jung – erst älter als 200 Jahre und immer ein Einwanderungsland. Und daraus ergibt sich eine Besonderheit, die ein Politologe vor Kurzem etwa so beschrieb:

Die USA benehmen sich wie Halbstarke. Sie zetteln Krawalle an, stänkern, protzen mit ihren Muskeln, pöbeln und beleidigen, und sie sind ständig bereit, anderen ihren Willen aufzuzwingen.

Hart, sehr hart! Ich hab lange über diese Aussage, die ich in einem Artikel gelesen hatte, nachgedacht. Aber wenn man sich die aktuelle US-Politik ansieht, so muss man dem Politologen recht geben. Alle bisherigen amerikanischen Präsidenten waren Kriegsherren. Und wenn ich an die Reden des Präsidenten in den letzten Jahren denke, so wird ein nur sehr unkritischer Mensch seine Aussagen gutheißen. Ging es doch darum, der USA die Führungsrolle in der Welt mit allen Mitteln zu sichern und den amerikanischen Präsidenten als die Führerpersönlichkeit für die ganze Welt anzuerkennen. Er, der Herr Präsident, sprach deutlich aus, was die Mächtigen der USA dachten. Und staatsmännisch klug waren seine Worte nicht gewählt.

 Nur lehrt die Geschichte, dass solche Alleinvertretungsansprüche einer Nation immer zum Scheitern verurteilt waren.

Und diese Politik verkörpert auch nicht die „amerikanische Seele“. Diese hat ganz andere Seiten. Welcher Literat steht dafür? Stephen King, der Bestsellerautor und seine düsteren Horrorgeschichten? Nein – ich glaube nicht! Für mich verkörpert der Schreiber der fünf „Lederstrumpf“-Bücher, James Fenimoore Cooper, die amerikanische Seele. Und mit diesem Cooper muss man in einem Atemzug den Schöpfer von „Tom Sawyer“ und „Huckleberry Finn“, Mark Twain, nennen.

 

Da es auf unserem Planeten etwa 200 Staaten gibt, einige wenige von ihnen sind international nicht anerkannt und damit auch in der UNO nicht vertreten, erwarten Sie bitte jetzt nicht von mir, ihre „Volksseelen“ zu „analysieren“. Ich wäre glatt überfordert! Versuchen Sie es doch selbst! Reisen Sie viel? Halten Sie sich längere Zeit in einem Land auf? Analysieren Sie, Erstaunliches zur aktuellen Politik zeigt sich Ihnen bestimmt auf.

 

Wenden wir uns nun von der unerfreulichen Politik ab und machen mit der Tagespolitik unseren Seelenfrieden. Diesen Seelenfrieden sollten alle Lebenden für erstrebenswert erachten und ihn auch für das Leben nach dem Tod im Jenseits finden. Diesen Seelenfrieden versprach 2000 Jahre lang die christliche Religion – für das Leben nach dem Tod. Nur wohin kommen die Ungläubigen, diese komischen Atheisten, wie ich einer bin? In die Hölle!? Dort wird der arme Kerl gepiesackt und man versucht, die Seele vor der ewigen Verdammnis doch noch zu erretten. Man muss nur in den heiligen Schoss der katholischen Kirche zurückkehren. Aber wenn ich doch schon tot bin? Kein Problem, auch dafür hat die Kirche ein erprobtes Rezept: Allerseelen. Zu Allerseelen wird Ablass gewährt. Man kann das Los der Toten im Fegefeuer erleichtern, indem man für sie betet. Aber da die meisten Menschen doch gut sind, kommen sie doch in den Himmel?! Und wohin kommt aber nun ein guter Atheist?

Die Naturvölker haben immer ihren Ahnen, ihren Seelen gedacht. Und Allerseelen ist nichts anderes, als den Verstorbenen zu gedenken. Und wenn man heute Allerseelen so auslegt, dann ist dies sogar eine gute Sache. Und wenn man sich der Toten auch noch in 10, in 20 oder in 50 Jahren erinnert, so bleibt die Seele der Toten - ihr „Ich“ - unsterblich.

 

Hat man seinen Seelenfrieden gefunden, dann sollte man darauf achten, dass Leib und Seele eine harmonische Einheit bilden. Wenn nämlich die Seele leidet, dann spürt dies der Leib. Liebeskummer haben und ein üppiges Mahl genießen? Das können die wenigstens. Aber bei dem Einen schlagen Sorge und Kummer so auf die Seele, sodass derjenige, um nicht zu leiden, sich dem Wohltu-Gefühl „Essen“ hingibt. Der „Kummerspeck“ wächst und wächst und dann leidet nicht nur die Seele, sondern auch der Leib. Und der Schmerz des Leibes wirkt auf die Seele und „dumme Gedanken“ kommen auf und so mancher Teenager verfällt in Depressionen – ein Ausdruck der seelischen Erkrankung.

 

Und wenn der Seelenkummer geheilt ist, so schwelgt der vor Kurzem noch tief Betrübte in höchster Glückseligkeit. Nur warum schreibt man hier selig nur mit einem „e“? Trotz Rechtschreibreform bleibt die deutsche Sprache manchmal ein „Buch mit sieben Siegeln“. Nur wenn man das Buch mit den sieben Siegeln (fünftes Kapitel der „Offenbarung des Johannes“ im Neuen Testament) öffnet, dann lässt man die vier Unheil bringenden apokalyptischen Reiter auf die Erde, dann verlangen die Seelen der Märtyrer Vergeltung für ihren Tod, und beim Öffnen des sechsten Siegels erbebt die Erde, die Sonne färbt sich schwarz, der Mond wird blutrot und die Sterne fallen auf die Erde. Öffnet man das siebente Siegel – o weh! Das Ende der Welt ist da! Die logische Konsequenz wäre nun, das „Buch mit den sieben Siegeln“ bleibt geschlossen. Also - ich schreibe „selig“ und nicht „seelig“, mache meinen Seelenfrieden mit der deutschen Rechtschreibung, und wenn mich „mein Seelchen“ zum Essen ruft, so forme ich die Einheit von Leib und Seele auf sehr angenehme Weise!