Geschichten vom Weihnachtsmann

2. Die Konferenz der Weihnachtsmänner

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(von Joachim Größer)

 

„Und ist das auch wahr?“, fragte Robert seine große Schwester. „So wahr, wie ich Ines heiße!“, antwortete diese. Der sechsjährige Robert kuschelte sich ins Bett.

Seine Schwester gab ihm einen Gute-Nacht-Kuss und sagte leise: „Jetzt schlaf aber und träume vom Weihnachtsmann! Bestimmt wird deine Post in Himmelpforten schon angekommen sein. Du wirst sehen, am Weihnachtsabend liegt der große Baukasten garantiert unter dem Tannenbaum.“

„Ach, wenn das nur wahr wäre“, dachte Robert. Laut fragte er: „Gehst du jetzt auch ins Bett?“

„Ich darf noch aufbleiben – bis Mama und Papa aus dem Theater kommen. Jetzt schlaf aber, Robert!“

Ines ging ins Wohnzimmer. Zurück ließ sie einen kleinen Jungen, der sich heute in der 1. Klasse mit seinen besten Freunden verzankt hatte. Grund war Franks Ansicht, der steif und fest behauptete, es gäbe doch überhaupt keinen Weihnachtsmann. Denn, so meinte er, wie solle ein einziger Weihnachtsmann die vielen Geschenke an die Kinder verteilen. Auch Robin und Klaus erklärten, dass der Weihnachtsmann nur eine Erfindung der Erwachsenen sei. Robert dagegen behauptete, dass es doch einen Weihnachtsmann gäbe. Und als er das wieder und immer wieder behauptete, lachten ihn seine Freunde aus. Nur die kleine Sabine unterstützte Robert. „Wir fragen unsere Lehrerin!“, rief sie. „Frau Schmidt weiß alles!“

Doch Frau Schmidt zuckte nur lächelnd mit den Schultern und meinte schmunzelnd: „Wer weiß?!“

So kam es, dass Robert am Nachmittag nicht mit seinen Freunden spielte und immer nur an das eine dachte: „Gibt es einen Weihnachtsmann oder gibt es ihn wirklich nicht!“

Dreimal machte er den Versuch, seine Mutter deswegen zu fragen. Aber die war mit so viel anderen Dingen beschäftigt, dass Robert sich die Frage verkniff. Seinen Papa brauchte er auch nicht zu fragen, denn der kam viel zu spät von der Arbeit und Mama empfing ihn schon mit den Worten: „Los Rudolf! Beeil dich! In 30 Minuten müssen wir im Theater sein!“

So blieb nur die 15-jährige Ines, Roberts große Schwester. Ines gab ihm zwar eine Antwort auf seine Frage - aber Ines war ja selbst noch Schulkind!

Aber irgendwie beruhigt war er jetzt. Hatte ihm Ines doch als Gute-Nacht-Geschichte die Mär vom Weihnachtsmann erzählt, der sich mit seinen Kollegen aus Amerika, Lappland und Russland traf. Sie hatte die Geschichte so überzeugend erzählt, dass man das der Ines schon glauben musste. Wie war das doch? Drei Tage vor Weihnachten ist immer diese große Konferenz. Auf dem Nordlicht eilen die Weihnachtsmänner herbei. Sie treffen sich, um zu beraten, wie sie sich gegenseitig helfen können. Der Weihnachtsmann aus Russland heißt Väterchen Frost und der verteilt die Geschenke erst zu Neujahr. Der Weihnachtsmann aus Deutschland, manche nennen ihn auch Nikolaus, und der aus Lappland, er heißt Joulupukki, bekommen auch die Hilfe von Santa Claus, dem amerikanischen Weihnachtsmann. Da dort die Weihnachtsgeschenke erst in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember unter den Tannenbaum gelegt werden und der Tag sowieso aufgrund der Zeitverschiebung mehrere Stunden später beginnt, hat er ja Zeit, seinen Kollegen in Europa zu helfen. So hatte Ines die Geschichte erzählt. Und so kann das ja wirklich sein.

Robert wälzte sich in seinem Bett hin und her. Er konnte nicht einschlafen. „Drei Tage vor Weihnachten“, dachte er. „Ja, so hat das Ines gesagt: Drei Tage vor Weihnachten ist die Weihnachtsmännerkonferenz.“

Robert sprang aus dem Bett. Heut ist doch der 21. Dezember! Bis zum Weihnachtsabend sind es noch drei Tage! Drei Tage! Robert ging ans Fenster und starrte hinaus. Obwohl es tiefste Nacht war, erhellte doch der weiße Schnee die Landschaft. Einige Sterne funkelten über dem Berg hinter dem Haus. Immer mehr Sterne erstrahlten am Firmament. Aber – das waren ja keine Sterne! Das war das Nordlicht! Es funkelte und glitzerte, es strahlte in so vielen Farben, dass die Augen geblendet wurden.

Robert drückte sich die Nase an der kalten Fensterscheibe platt. „So schön sieht das Nordlicht aus“, murmelte er. Doch dann schrie er: „Der Weihnachtsmann!“

Wirklich, es war der Weihnachtsmann. Er jagte mit seinem Schlitten, der von Rentieren gezogen wurde, herbei. „Ho! Ho!“, rief er mit donnernder Stimme. „Ho, ho!“

„Das ist Santa Claus“, flüsterte Robert, „der Weihnachtsmann aus Amerika.“ Und er war das wirklich. Die Rentiere jagten auf dem Nordlicht so schnell daher, dass Robert Angst bekam, der Schlitten mit Santa Claus könnte umfallen. Aber Santa Claus war ein sehr guter Schlittenlenker. Dem Robert fielen auch sofort die Namen der Rentiere ein. „Dasher, Dancer, Prancer, Vixen, Comet, Donner und Blitzen“, flüsterte er. Aber ein Rentier fehlte doch – das berühmteste Rentier, das Rentier mit der roten Nase: Rudolph! Vielleicht hatte es Robert vor lauter Aufregung auch nur übersehen. Zeit, darüber nachzudenken, hatte er keine, denn ein neues Rentiergespann brauste über die Nordlichter dahin: Es war der Weihnachtsmann aus Lappland. Auch dieser Weihnachtsmann lenkte den Schlitten mit solch einem Geschick, dass Robert nur staunen konnte. Direkt über der großen Tanne, die sich dunkel am Himmel abzeichnete, jagte das Schlittengespann dahin. Zuerst sah es so aus, als ob der Schlitten den mächtigen Baum rammen würde - ein lautes „Ho, ho!“ und mit einem eleganten Schwung sprang das Rentiergespann über den Baum hinweg. Dem Robert glühten vor Aufregung die Wangen.

„Das müssten meine Freunde Frank und Klaus sehen! Dann würden sie mir glauben, dass es einen Weihnachtsmann gibt!“, dachte Robert.

Wie recht Robert hatte. Denn jetzt sah er den einheimischen Weihnachtsmann. Ja, das war er! Wie die anderen Weihnachtsmänner hatte auch er einen großen, weißen Bart, trug den berühmten roten Mantel und natürlich die rote Zipfelmütze. Aber er kam nicht, wie Robert immer dachte, mit einem Schlitten gefahren - nein, dieser Weihnachtsmann ritt auf einem Esel, der so schnell laufen konnte, dass er es mit dem schnellsten Rentier aufnehmen konnte. Die drei Weihnachtsmänner rasten aufeinander zu, dass Robert vor Schreck die Augen schloss. „Jetzt sind sie zusammengestoßen“, dachte er und vorsichtig öffnete er erst das linke und dann das rechte Auge. Aber, wie kann es auch anders sein, die drei Weihnachtsmänner standen sich jetzt gegenüber und begrüßten sich mit Händeschütteln, Schulternklopfen und lauten „Ho, ho!“-Rufen.

Damit Robert auch verstehen konnte, was die Weihnachtsmänner zu bereden haben, öffnete er das Fenster. Huch, war das kalt! Robert holte sich die warme Bettdecke und kuschelte sich darin ein. Nun stand er am offenen Fenster und hörte Santa Claus reden: „Nanu, unser russischer Freund fehlt heute gar. Sonst ist er immer der Erste, doch nun ...“

„Da kommt er!“, rief Joulupukki, der Weihnachtsmann aus Lappland. Er hatte Väterchen Frost zuerst gesehen. Ja, das war die berühmte Troika des Deduschka Moros, des Väterchen Frost. Drei prächtige Schimmel zogen einen golden funkelnden Schlitten. Im Schlitten stehend, lenkte Väterchen Frost mit „Ho, ho!“ und seinem magischen Zepter die drei feurigen Pferde. Sein langer, weißer Bart wehte im Fahrtwind. Und in seinem eisgrauen, bläulich schimmernden Pelzmantel glitzerten Eis- und Schneekristalle. Ein lautes „Brrrr!“ und die Troika stand still.

Robert stand immer noch am offenen Fenster. Das, was er sah, war so fantastisch, so märchenhaft! Wer von den Menschenkindern sieht schon einen richtigen echten Weihnachtsmann?! Er, Robert, sechs Jahre alt und Schüler der 1. Klasse, er sieht gleich vier!

„So spät heute?“, fragte Santa Claus.

Väterchen Frost schüttelte sich und Tausend und Abertausend Schneekristalle schwebten durch die Luft. „Ach, entschuldigt nur“, erwiderte Väterchen Frost, „mein Weg aus der Taiga ist weit. Auch musste ich in der Poststelle, in Weliki Ustjug, Station machen. Meine Enkelin, ihr kennt doch meine kleine Snegurotschka, hat mir nämlich von einem Brief erzählt, den der Schlingel Aljoscha an mich geschrieben hat. Dieser Bengel schrieb doch, dass er nur an mich glauben würde, wenn er die elektrische Eisenbahn zum Neujahrsfest bekommen würde!“ Väterchen Frost schüttelte schmunzelnd sein weißes Haupt. „So ein Bengel, der Aljoscha! So ein Bengel! Also habe ich einen Umweg über Moskau machen müssen und habe ihm einen Traum geschickt.“ Väterchen Frost lachte jetzt ganz laut und weit durch die Lüfte hallte sein „Ho, ho! Ha, ha!“

„Was war das denn für ein Traum?“, fragte Joulupukki.

„Ach, nichts Besonderes“, sagte schmunzelnd Väterchen Frost, „er träumt die ganze Nacht nur von mir.“ Und wieder dröhnte sein „Ha, ha!“ und „Ho, ho!“ durch die frostige Luft.

„Ja, ja, die lieben Kinder“, sagte jetzt Santa Claus. „So etwas Ähnliches habe ich mit der kleinen Jill erlebt. Kaum ging sie in die Schule, erzählte sie allen Leuten, dass es mich, den Santa Claus, gar nicht gäbe. Aber ich habe sie etwas Besseres gelehrt.“

„Und was hast du gemacht?“, fragte Väterchen Frost.

„Ach, das ist mein Geheimtipp. Na ja, euch kann ich es ja sagen! Also, in der Nacht vom 24. zum 25. Dezember lege ich doch immer die Geschenkpäckchen unter die Tanne. Für Jill lag nichts da. Ganz große Augen hat da Jill gemacht. Aber noch größere Augen bekam sie, als ich plötzlich vor ihr stand und ihr aus meinem unergründlichen Sack ihre Päckchen gab. Das ist nun schon einige Jahre her – und, was soll ich euch sagen, Jill ist bis heute eine treue Anhängerin!“

„Ja, ja, die Kinder“, murmelte Joulupukki in seinen dichten Vollbart. „Man könnte so viele Geschichten über sie erzählen!“

„Da hast du Recht“, erwiderte Nikolaus, „erst heute habe ich auf dem Schulhof ein Gespräch belauscht. Stellt euch vor, der kleine Robert hat mich wacker verteidigt. Seine besten Freunde meinen nämlich, dass wir nur eine Erfindung der Erwachsenen sind. Fuchsteufelswild wurde er da - der Robert. Er hat deswegen sogar am Nachmittag nicht mit seinen Freunden gespielt. Jetzt liegt er bestimmt traurig in seinem Bett und denkt darüber nach, wer wohl recht hat.“ Nikolaus griff in seine große Manteltasche und zog eine riesige Papierrolle hervor.

„Ich muss doch mal sehen, was sich Robert zu Weihnachten gewünscht hat. Ah, ja! Hier steht: Robert. Und da steht: Baukasten! Den soll er bekommen - und zwar einen riesengroßen! Und, weil er mich so verteidigt hat, erhält er noch das ferngesteuerte Auto. Diesen Wunsch hat er zwar nicht aufgeschrieben, aber ich weiß, das ist sein geheimer Wunsch!“

Der Nikolaus zog aus der anderen Manteltasche einen großen Bleistift und schrieb Roberts geheimen Wunsch auf die Liste.

Robert hatte alles verstanden, was die vier Weihnachtsmänner erzählten. Er strahlte vor Glück. Jetzt wusste er, dass es einen Weihnachtsmann gibt und er wusste auch, dass er seine Wünsche erfüllen wird. Er flüsterte leise: „Danke!“ Dann schloss er das Fenster, huschte ins Bett und kuschelte sich in die Decke ein. Vom Bett aus versuchte er, die vier Weihnachtsmänner zu sehen, aber das Nordlicht war verschwunden. Nur einige wenige Schneeflocken tanzten am Fenster vorbei. „Ob die von dem Mantel des Väterchen Frost gefallen sind?“, dachte Robert. Er schloss die Augen ganz fest und flüsterte: „Es gibt ihn doch, den Weihnachtsmann! Er bringt mir den großen Baukasten und auch das ferngesteuerte Auto!“

Als Roberts Eltern aus dem Theater kamen, huschten sie leise in Roberts Zimmer. Seine Mama küsste ihn auf die Stirn und sein Papa deckte ihn zu. Da flüsterte Robert: „Es gibt ihn doch, den Weihnachtsmann! Er bringt mir den großen Baukasten und auch das ferngesteuerte Auto!“

„Bestimmt, Robert!“, antwortete sein Vater schmunzelnd und seine Mama strich ihm lächelnd übers Haar.