Das Fest der Schneemänner

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Das Fest der Schneemänner

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von Joachim Größer (2008)

 

Endlich schneite es! Und wie es heute schneite! Helen drückte ihre Nase an der Fensterscheibe platt. Bald kommt ihr großer Bruder aus der Schule und dann wird sie mit ihm einen Schneemann bauen. Aber bis dahin war noch viel Zeit. So starrte sie immer und immer wieder auf den Hof, auf die Wiese vor dem Wald und träumte davon, einen Schneemann zu bauen, der viel größer als sie selbst war. Endlich hörte sie den Schlüssel im Türschloss sich drehen. „Jannik, Jannik!“, rief sie. „Los komm, wir wollen einen Schneemann bauen!“

Aber ihr Bruder antwortete nur: „Zuerst will ich etwas essen und dann muss ich meine Hausaufgaben machen und dann kommt Anton zu Besuch und dann ...“

Enttäuscht maulte Helen: „Aber du hast mir versprochen, wenn der erste Schnee fällt, baust du mit mir einen riesengroßen Schneemann. Er soll größer sein, als ich es bin! Das hast du mir versprochen!“

„Na ja“, erwiderte ihr Bruder. Und als er die Tränen in Helens Augen sah, ergänzte er: „Wir können ja gemeinsam mit Anton einen Schneemann bauen.“

„Prima!“, rief Helen und wischte sich die Tränen aus den Augen. „Wann kommt denn Anton?“

„Er muss doch auch erst seine Hausaufgaben machen“, antwortete Jannik. „Spiel doch noch mit deinen Puppen!“

Aber dazu hatte Helen gar keine Lust. Sie saß am Fenster, schaute dem Flockenwirbel zu und ab und zu blickte sie zur Straße, ob nicht doch schon Anton zu sehen sei. Aber die Lehrerin musste wohl viele Hausaufgaben aufgegeben haben, denn auch ihr Bruder saß noch immer über seinem Heft und kaute am Bleistift.

„Wirst du noch lange brauchen?“, fragte Helen leise.

„Ja“, knurrte Jannik, „sehr lange – es fällt mir nämlich nichts ein!“

„Vielleicht kann ich dir helfen. Vielleicht fällt mir etwas ein“, antwortete Helen schüchtern.

„Was soll dir schon einfallen! Ich muss eine Fantasiegeschichte schreiben – verstehst du: eine Fantasiegeschichte!“

„Ich dachte ja nur.“ Helen ging verschüchtert wieder ans Fenster und schaute hinaus. Dann stürzte sie schreiend zur Haustür: „Anton kommt!“

„Komm rein, Anton“, sagte sie lächelnd, „wir warten schon auf dich.“

Als Helen die Tür wieder schließen wollte, sagte Anton: „Lass die Tür angelehnt. Martin kommt auch noch. Ich bleibe gleich angezogen.“ Helen ließ die Tür angelehnt und hüpfte zu Jannik ins Zimmer. „Anton ist da und sein Bruder kommt auch! Jetzt bauen wir den riesengroßen Schneemann!“

Hinter ihr schaute Anton ins Zimmer. Als er Jannik über seinen Hausaufgaben brüten sah, feixte er: „Das ist garantiert die Fantasiegeschichte, stimmt's?“

„Ja“, knurrte Jannik, „mir fällt aber auch gar nichts ein.“

„Mir fiel auch nichts ein“, antwortete ihm Anton, „und da wir dafür drei Tage Zeit haben, mach ich meine morgen.“

„Prima Idee!“ Jannik packte ganz schnell seine Hausaufgaben in den Ranzen. „In fünf Minuten sind wir im Wald.“

Helen hörte dies ihren Bruder sagen und protestierte laut: „Jannik, du wolltest mit mir einen Schneemann bauen und Anton sollte dabei helfen! Versprochen ist versprochen!“

Jannik schaute zu Anton. „Ich hab's ihr versprochen.“

„Macht nichts, Jannik“, meinte Anton. „Wir müssen doch noch auf Martin warten.“ Und so packte Jannik ganz schnell seinen Ranzen weg und Jannik und Helen zogen ihre warmen Jacken an, als sich die Tür öffnete und Martin mit strahlendem Gesicht verkündete: „Da bin ich! Wir können in den Wald.“ Dabei schüttelte er sich.

„Raus mit dir!“, schimpfte jetzt Jannik. Und sein Schimpfen war auch berechtigt. Sah doch Martin wie ein Schneemann aus, über und über mit Schnee bedeckt. Und der Schnee hinterließ sofort nasse Flecken im ganzen Flur.

Lachend verließ Martin das Haus, rannte zur Wiese und schmiss sich in den weißen, weichen Schnee. „Ist das nicht herrlich!“, rief er. „Bei uns unten im Tal kommt der Schnee als Regen an. Aber hier ...!“Der letzte Teil des Satzes fiel dem weichen Schnee zum Opfer. Anton hatte sich auf Martin gestürzt und seifte ihn gehörig ein. Das nahm nun Martin zum Anlass und beschmiss Anton und Jannik mit Schnee. Nur Helen stand abseits und klagte: „Ihr habt mir versprochen, mit mir einen riesengroßen Schneemann zu bauen!“

„Machen wir, Helen!“, rief ihr Bruder und rannte zu ihr. Er beschmiss sie mit weichem Schnee, sodass sie selbst einem Schneemann glich.

„So, jetzt hast du deinen Schneemann!“, rief Jannik und machte einen Purzelbaum. Da saß er nun im Schnee und lachte.

„Einen Schneemann bauen?!“, rief jetzt Martin. „Prima! Ich fang schon mal an!“ Und er rollte eine Schneekugel. „Los, jeder baut einen Schneemann! Die stellen wir hier auf und dann können sich die Schneemänner unterhalten, wenn sie Langeweile haben!“ Martin lachte.

„Ja, das machen wir!“ Anton rollte auch eine Schneekugel. Jannik wurde von Helen festgehalten: „Aber du hast doch ...?!“

„Helen, jetzt baust du einen kleinen Schneemann, und wenn jeder seinen Schneemann fertig hat, dann bauen wir dir einen riesengroßen!“

So begann auch Helen, eine Schneekugel zu rollen.

Bald standen vier Schneemänner auf der Wiese. Sie standen sich gegenüber, erhielten eine Rute und wurden mit Hüten aus Tannenzweigen geschmückt.

„So, jetzt könnt ihr euch unterhalten!“, bemerkte Martin grinsend.

„Aber Martin!“, rief Helen. „Wie sollen die sich denn ohne Münder unterhalten und Augen und Nase fehlen auch noch!“

Tannenzapfen, Aststückchen und kleine Zweige wurden herangeholt und jedes der Kinder versuchte, seinem Schneemann ein besonderes Gesicht zu geben. Bei dem einen Schneemann konnte man vermuten, dass er Zahnschmerzen habe – so schief war sein Gesicht. Der andere lachte mit scheinbar offenem Mund und dem dritten hatte sein Schöpfer eine riesenlange Nase gegeben. Nur der kleinste Schneemann, Helens Schneemann, machte ein ernstes Gesicht.

„Warum lässt du deinen Schneemann so ernst dreinblicken?“, fragte sie Anton.

„Mein Schneemann hat mir gesagt, dass er erst dann ein fröhliches Gesicht machen kann, wenn ein riesengroßer Schneemann neben ihm steht“, antwortete Helen.

Jannik feixte. „Das ist meine kleine Schwester!“ Er fing aber an, eine Schneekugel zu rollen. Auch Anton und Martin rollten große Kugeln. Sehr schnell lagen drei große Kugeln im Schnee. „Was ist denn nun der Kopf?“, maulte Helen. „Mein Schneemann soll schön aussehen.“

„Machen wir!“, erwiderte Anton und rollte seine Schneekugel weiter. Bald schaffte er es nicht mehr allein und Jannik und Martin mussten helfen. Die Bauchkugel wurde etwas kleiner gerollt, war aber trotzdem so schwer, dass die Jungs extra eine Rampe aus Schnee bauen mussten. Und um den Kopf draufzusetzen, mussten die Jungs zu dritt die Schneekugel hochhieven. Nun stand er da: Helens riesengroßer Schneemann.

„Habt ihr einen alten Eimer und einen alten Besen?“, fragte Martin.

„Ja, haben wir bestimmt“, antwortete Jannik, „ich schau mal im Schuppen nach.“

„Und bring eine Mohrrübe mit!“, rief Anton hinterher.

„Und einen alten Schal, damit Max nicht friert!“, ergänzte Martin.

„Wer ist denn Max?“, fragte Helen, die Augen nicht von dem Riesenschneemann lassend.

„Na, dein Schneemann!“, erwiderte lachend Martin.

„Nee, Max gefällt mir nicht“, entgegnete Helen. „Ich werde ihn Fridolin nennen. Das klingt lustiger.“

Jannik stapfte keuchend mit Eimer und Stallbesen zur Wiese. Im Eimer lagen mehrere Möhren. „Die habe ich deinem Kaninchen geklaut, Helen“, grinste Jannik, erwartend, dass seine Schwester protestieren würde. Doch die nickte nur zustimmend mit dem Kopf. „Dann können wir allen Schneemännern eine rote Nase machen.“

So erhielt der Riesenschneemann einen Eimerhut, eine große rote Mohrrübennase und einen Besen, dem allerdings schon fast alle Borsten fehlten. Martin legte ihm einen langen Schal um den dicken Hals. „So Helen, jetzt müssen wir noch die Namenstaufe durchführen!“

„Und wie wollen wir ihn taufen?“, fragte Jannik.

„Helen möchte ihn Fridolin nennen“, sagte Martin und formte Schneebälle. Dann stellte er sich 10 Meter vor dem Schneemann auf und rief: „Ich – taufe - dich - Fridolin!“ Und bei jedem Wort warf er einen Schneeball.

„Bist du nun zufrieden, Helen?“, fragte ihr Bruder.

Und Helen antwortete ihm: „So einen schönen Schneemann hatte ich noch nie. Er ist wirklich wunderschön!“

„Na dann können wir jetzt in den Wald“, rief Jannik und rannte gleich los. Martin und Anton folgten ihm, sich gegenseitig mit Schneebällen bewerfend.

Helen stand vor ihrem Schneemann Fridolin und meinte sehr ernst: „Fridolin, du bist der schönste Schneemann, den ich kenne. Und damit du recht lange stehen bleiben kannst, soll es kalt bleiben und es soll noch viel mehr schneien!“

Helen stellte sich inmitten der fünf Schneemänner auf und begann, ein Winterlied zu singen:

 

Weiße Flöckchen fallen,

Kinder, kommt heraus,

seht, Frau Holle

schüttelt ihre Betten aus.

 

Winter ist's geworden,

Schnee liegt überall,

Spaß macht nun das Spielen

mit dem weißen Ball.

 

Und fegt Schneegestöber

über Wald und Feld,

fahr'n wir mit dem Schlitten,

wie es uns gefällt.

 

Helen trällerte ihr Liedchen, so schön, dass es erneut heftig zu schneien begann. So glaubte sie es jedenfalls. Und damit der Schneefall nicht aufhören sollte, sang sie alle Winter- und Schneelieder, die ihr einfielen. Die fünf Schneemänner standen und lauschten ihrem Gesang. Und es schneite und schneite. Die Hüte der Schneemänner bekamen einen weißen Überzug. Selbst auf den roten Mohrrübennasen blieb der Schnee liegen.

„Helen! Helen!“ Das war die Stimme ihrer Mutter. Helen sagte zu den Schneemännern: „Meine Mama ruft mich. Ich muss jetzt gehen, aber morgen singe ich euch wieder schöne Lieder vor. Bestimmt! Versprochen ist versprochen!“

Helen rannte durch den tiefen Schnee und wurde schon an der Haustür von ihrer Mutter empfangen. „Mädchen“, lachte sie, „du siehst ja wie ein Schneemann aus!“

Und Helen erzählte ihrer Mutter, wie die Jungs mit ihr fünf Schneemänner gebaut haben. „Und stell dir vor, Mama“, rief sie, „der größte ist so groß!“ Und sie stellte sich auf die Zehenspitzen und streckte beide Arme hoch.

Als Helen zu Bett ging, huschte sie noch einmal zum Fenster. Sie winkte ihren Schneemännern zu und wünschte ihnen eine gute Nacht. Da war es ihr, als ob der Schneemann Fridolin ihr zugeblinzelt hätte. Aber wahrscheinlich hatte sie sich nur getäuscht.

Mitten in der Nacht, die Kirchturmuhr schlug die 12. Stunde, wurde Helen geweckt. Schneebälle wurden gegen ihr Fenster geworfen. Sie sprang aus dem Bett und hüpfte barfuß ans Fenster. Aber was sah sie? Unten auf dem Hof standen ihre fünf Schneemänner und warfen mit Schneebällen ans Fenster. Erstaunt öffnete sie das Fenster und klatsch - mitten ins Gesicht traf sie ein Schneeball.

„O weh, entschuldige Helen“, rief der Schneemann Fridolin, „ich hoffe, ich habe dir nicht wehgetan!“

„I wo“, antwortete Helen mit heller Stimme, „aber wieso steht ihr nicht mehr auf der Wiese, wieso könnt ihr euch bewegen und wieso kannst du sprechen, Fridolin?“

„Weil heute ein besonderer Tag ist, Helen! Heute findet doch das Fest der Schneemänner statt. Und weil ich der größte und schönste Schneemann im ganzen Dorf, ja im ganzen Waldgebiet, bin, darf ich Menschen zum Feste einladen. Kommt zu uns! Wir wollen tanzen und singen! Wir wollen rodeln und eine Schneeballschlacht machen! Komm! Komm, Helen!“

„Ich komme, Fridolin!“, rief Helen. „Kann ich meinen großen Bruder mitbringen?“

„Ja, bring ihn mit!“ Fridolin folgte bereits den anderen vier Schneemännern, die zurück zur Wiese gingen.

Helen schlich leise über den Flur, damit ihre Mutter sie nicht hören konnte. Vorsichtig öffnete sie die Tür zum Zimmer ihres Bruders. „Jannik“, flüsterte sie. Doch Jannik schlief tief und fest. „Jannik!“ Das sagte sie bereits lauter, aber da ihr Bruder immer weiter schlief, schüttelte sie ihn. Endlich machte er die Augen auf. „Was ist denn?“, fragte er verschlafen.

„Komm, steh auf! Fridolin hat uns zum Fest der Schneemänner eingeladen!“

„Hä? Fest der Schneemänner? Du spinnst doch, Helen!“ Jannik drehte sich im Bett auf die andere Seite. Aber Helen gab nicht auf. Sie rüttelte und schüttelte ihn, bis er sich bequemte, aufzustehen.

Sie zog ihn ans Fenster und zeigte nach draußen. „Schau selbst, auf der großen Wiese am Waldrand dort versammeln sich die Schneemänner. Und Jannik staunte nicht schlecht. Im Flockenwirbel konnte man sehr deutlich sehen, dass von allen Seiten kleine und große, hübsche und weniger hübsche, dicke und dünne Schneemänner zur Wiese eilten. Einige hatten Hüte auf, andere trugen Bärte aus Fichtennadeln. Einer hatte sogar eine alte zerfetzte Jacke an, die er aber so stolz trug, als wäre es das Gewand eines Königs.

„Das gibt es nicht! Das kann es nicht geben!“ Jannik schaute wie gebannt nach draußen.

„Los komm, zieh dich an, die Schneemänner warten doch auf uns!“, sagte Helen und verschwand leise in ihr Zimmer. Jannik zog sich die warmen Sachen über den Pyjama, dabei immer wieder nach draußen schauend. „Das gibt es doch nicht!“, murmelte er wieder und wieder.

Helen öffnete die Zimmertür. „Bist du endlich fertig?“

„Ja doch, ich komme schon“, antwortete ihr Bruder und beide huschten leise zur Flurtür, die Schuhe noch in der Hand. Ohne Quietschen konnten sie die Tür öffnen und dann standen sie draußen im Flockenwirbel. Schnell zogen sie die warmen Winterstiefel an und dann rannten sie zur großen Wiese hinters Haus.

Kaum sahen die Schneemänner sie, bildeten sie auch schon einen Kreis um die beiden Kinder. Der größte Schneemann, ihr Fridolin trat vor. Er räusperte sich verlegen und begann dann laut und deutlich eine kleine Rede zu halten.

„Ich, meine Schöpfer gaben mir den Namen Fridolin“, sagte er und verbeugte sich zu den Kindern, „ich, Fridolin der I., eröffne unser Fest. Ehrengast ist heute Helen, ein Menschenkind, das mich groß und stark wollte und wie ihr seht, bin ich das auch geworden.“

Die anderen Schneemänner nickten zustimmend. „Ihr Bruder war so nett und hat mich mit seinen Freunden, die Anton und Martin heißen, geschaffen. Ich wünsche uns allen ein wunderschönes Fest!“ Damit glaubte Fridolin, das Fest eröffnet zu haben. Aber ein Schneemann, er hatte nur einen Arm und machte deswegen ein griesgrämiges Gesicht, meinte: „Fridolin, zuerst muss doch immer erst ein Schneelied gesungen werden! Hast du das schon vergessen?!“

„Ei ja, ei ja!“, rief Fridolin. „Helft mir, ich habe doch alle Schneelieder vergessen. Heute ist doch erst der erste Schnee gefallen!“

Aber die anderen Schneemänner schüttelten nur ihren Kopf. Und einer schüttelte den Kopf so heftig, dass der herunterfiel und zwei andere Schneemänner ihm beim Wiederaufsetzen seines Kopfes helfen mussten. Da hatte ein kleiner Schneemann einen Einfall. Es war der Schneemann, den Helen selbst geschaffen hatte. „Helen hat heute ein wunderschönes Winterlied gesungen. Vielleicht kann sie für uns singen?!“

Alle Schneemänner schauten zu Helen. „Bitte, Helen“, riefen sie, „sing uns ein Lied!“

Und Helen ließ sich nicht lange bitten. Sie reckte und streckte sich und rief: „Gern mach ich das, aber ihr müsst mit mir singen!“ Die Schneemänner nickten und so sang Helen das Lied vom Schneeflöckchen, Weißröckchen. Dann ein Lied vom Schlitten fahren und als sie das Lied „Schneemann bau'n und Schneeballschlacht“ anstimmte, wollten dieses Lied alle Schneemänner sofort lernen. Und bald sangen mindestens fünfzig Schneemänner, große und kleine, dicke und dünne, hübsche und weniger hübsche ihr liebstes Winterlied:

 

Schneemann bau'n und Schneeballschlacht,

Winter ist so schön,

hat geschneit die ganze Nacht:

Wir wollen rodeln gehen.

Halli, hallo!

Wir wollen rodeln gehn!

 

Und besonders beim Refrain trällerten die Schneemänner, dass es eine Freude war, zuzuhören.

Dreimal sangen sie das Lied. Dann meinte Fridolin: „Genug, ihr Schneemänner! Genug!“

Jetzt hörten die beiden Menschenkinder ein feines Stimmchen: „Fridolin, immer vergesst ihr Männer, dass es auch Frauen gibt. Stimmt's, Isolde?!“

Und es drängelten sich zwei kleine Schneefrauen nach vorn. „So ist es, Herfriede! So ist es!“, erwiderte Isolde.

„O verzeiht, ihr lieben Schneefrauen!“ Fridolin machte eine elegante Verbeugung. „Um euch wieder zu versöhnen, möchte ich um den ersten Tanz bitten, meine Schönen!“

Fridolin hob den Arm und es erklangen ganz liebliche Melodien. Den Schneewalzer tanzte Fridolin mit den beiden Schneedamen, und dann tanzten alle. Einige Schneemänner allein, andere zu zweit oder zu dritt, Helen tanzte mit Fridolin und Isolde hüpfte mit Jannik durch den tiefen Schnee. Und da Jannik sich recht ungeschickt anstellte, half ihm Isolde. „Eins-zwei-drei! Eins-zwei-drei!“, rief sie und schwenkte dabei ihre kleinen Füße.

„Jetzt möchte ich rodeln!“, rief einer der Schneemänner und alle fielen ein: „Ja, jetzt möchten wir rodeln!“ Und wie von Geisterhand standen viele Rodelschlitten, einige aus Holz, andere aus Plaste oder Metall, auf der Wiese. Hui, wie die Schneemänner und -frauen rodeln konnte. Gab es einen Zusammenstoß, purzelten oftmals Köpfe und Bäuche durcheinander und das ergab dann ein Suchen nach dem richtigen Körperteil. Hannes, ein sehr dicker Schneemann hatte mit einem Male statt eines Bauches zwei Köpfe und dafür stand Roberto mit zwei Bäuchen auf der Wiese. Schnell wurden Kopf und Bauch getauscht und hui ging's mit dem Schlitten hinunter ins Tal.

Jannik rodelte mit Isolde und Helen saß vor Fridolin auf einem großen Schlitten.

Zum Abschluss des Festes gab es eine zünftige Schneeballschlacht. Und beim Werfen waren die Schneemänner gar nicht zimperlich, nur die beiden Schneefrauen hielten sich zurück. „Man könnte ja mein schönes Hütchen beschädigen“, meinte Isolde. Und Herfriede stimmte ihr zu: „Ja, wie schnell ist so etwas geschehen. Und mein Hut passt so schön zu meinem blassen, vornehmen Gesicht. Stimmt's Isolde?!“ Und natürlich stimmte ihr Isolde zu.

Dafür waren Helen und Jannik um so ausgelassener. Solch eine lustige und fröhliche Schneeballschlacht hatten sich die Schneemänner gewünscht. Doch dann, Fridolin rief „Ruhe!“, erstarrten alle Schneemänner und -frauen. Die Kirchturmuhr schlug viermal und als fünfter Schlag erklang der tiefe Glockenton einmal.

Jetzt liefen die Schneemänner und die beiden Schneefrauen auf ihre Plätze, dorthin, wo sie die Kinder des Dorfes gebaut hatten. Nur Fridolin bedankte sich bei Helen und Jannik für das wunderschöne Fest. „Aber Fridolin, wir müssen uns doch bei euch bedanken. Ihr habt uns doch eingeladen!“, sagte Helen. Doch Fridolin wehrte ab: „Nein, nein! Hättet ihr uns nicht gebaut, gäbe es uns ja nicht. Danke!“ Fridolin rannte jetzt mit sehr großen Schritten auf seinen Platz, so schnell, dass er fast gestolpert wäre.

Helen ging mit Jannik ins Haus. Vorsichtig und leise schlichen sie in ihre Zimmer. Helen ging noch einmal zum Fenster und winkte ihren fünf Schneemännern zu. Jannik aber holte sein Deutschheft, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb: „Das Fest der Schneemänner – eine Fantasiegeschichte!“

Am nächsten Morgen musste Helen bevor sie in den Kindergarten ging unbedingt noch einmal auf die große Wiese hinter dem Haus. Dort standen alle fünf Schneemänner, stumm und steif. Ihre Hüte und selbst die roten Mohrrübennasen waren mit einer dicken Schneeschicht bedeckt. „Das Lied singe ich jetzt nur für euch!“, sagte sie und begann sogleich zu singen:

 

Schneemann bau'n und Schneeballschlacht,

Winter ist so schön ...

 

Und es war ihr, als habe Fridolin ihr zugezwinkert.

 

(Anmerkung: „Weiße Flöckchen fallen ...“, Musik aus Jugoslawien - deutscher Text von Karl Haus;

„Schneemann bau'n ...“, Musik von Siegfried Bimberg - Text von Christel König)